Texte zur Spiritualität  

Auf dieser Seite finden sich mehrfach Hinweise auf den "Bund Neudeutschland" (ND), auf die "Katholische Studierende Jugend" (KSJ) und auf Aktivitäten in deren Umfeld. Der Bund Neudeutschland wurde 1919 als katholische Schülerbewegung gegründet und gliedert sich heute in die "Gemeinschaft katholischer Männer und Frauen" (KMF) und die "Katholische Studierende Jugend" (KSJ). Seit den Anfängen bis heute sind in diesen Gemeinschaften Jesuiten engagiert. Auch an den Programmen von ND und KSJ - "Hirschberg-Programm" des Bundes Neudeutschland, sowie "Plattform" der KSJ - wirkten Jesuiten maßgeblich mit. Daher spiegeln beide Programme - wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung und in der Sprache der jeweiligen Zeit - ignatianische Spiritualität. Die "Urfassung" des Hirschberg-Programms stammt aus dem Jahre 1923, die aktuelle Fassung aus dem Jahr 1994. Die "Plattform" der KSJ entstand in ihrem theologischen, bzw. spirituellen Teil im Jahr 1972.

Aus der Plattform der KSJ:
Aspekte politischer Spiritualität

1. Christen bekennen Jesus als den Christus, weil sie das Beste von dem, was sie bewegt, in ihm wiedererkennen und daher bereit sind, seinen Weg zu gehen. Die von Jesus ausgehende „Faszination" hat eine doppelte Ursache: Einmal beeindruckt die Radikalität, mit der Jesus human gewesen ist und Solidarität mit den Menschen in Predigt und Gebet praktiziert hat.

Diese Radikalität ist bei Jesus von einem letztgültigen Gewicht und unerbittlichem Ernst, wodurch er sich für uns als Christen von anderen humanen Gestalten und ihrer Lehre unterscheidet.

Zum anderen beeindruckt Jesus durch die dynamische „Zentralität" seines humanen Engagements. Damit ist gemeint, daß Jesus in einer einzigartigen Weise die jeweilige konkrete Problematik auf ihre Mitte, auf die letzte Sinnfrage, auf Gott, hin durchschaut und von daher in Frage stellt. Mit diesem Gott, den er seinen Vater nennt, identifiziert er sich in einer so einmaligen und absoluten Weise, daß in ihm und in seiner Nachfolge ein letzter göttlicher Sinn deutlich wird, der ansatzweise und bruchstückhaft überall in der Welt zu finden ist. 

2. Jesus erweist die Radikalität und Zentralität seines humanen Engagements gerade in seinem Leiden und Sterben und wird darin durch die Auferstehung von Gott bestätigt.  Hierin liegt seine Besonderheit.

3. Sein Leben und sein Programm ist die Verkündigung der Herrschaft Gottes. Diese als endgültiges Heil zugesagte Herrschaft Gottes ist anfanghaft überall schon da, wo Menschen für Friede, Freiheit, Gerechtigkeit, Glück, Geborgenheit und Versöhnung eintreten. 

4. Herrschaft Gottes ist alternativ zu jeder denkbaren menschlichen Herrschaft; jede Herrschaft über Menschen ist damit grundsätzlich in Frage gestellt. 

5. Herrschaft Gottes macht es unmöglich, die Geschichte jemals für abgeschlossen zu halten. Herrschaft Gottes erfordert, daß jede geschichtliche Realität in Frage gestellt wird, und zielt auf die Überwindung gesellschaftlicher Herrschaftssysteme; in diesem Zusammenhang verpflichtet Herrschaft Gottes zu ständiger Ideologiekritik. 

6. Herrschaft Gottes ist Grund einer Hoffnung, die durch die Erfahrungen der Menschen mit ihrer Geschichte häufig widerlegt zu werden scheint; sie gibt dem Menschen den Mut, das Leben nicht als sinnlos und absurd zu deuten, denn Sinnlosigkeit und Absurdität sind in Kreuz und Auferstehung überwunden. 

7. Bekenntnis zu Jesu von Nazareth beinhaltet die Verpflichtung zu wachsamem Engagement für den anderen, insbesondere für benachteiligte oder unterdrückte Minderheiten und Ausgebeutete. Da die Sinnfrage des Menschen umfassender ist als die konkrete soziale Problematik, bewinhaltet diese Verpflichtung auch Eintreten und Hilfe für alle menschlieche Not und Defizite des einzelnen. Notwendig damit verbunden ist eine Stellungnahme gegen die Ungerechtigkeit der herrschenden Mächte und Zustände. Überall da, wo Menschen in unbegründeter Abhängigkeit gehalten werden, wo objektive Unrechtstatbestände verschleiert werden, besteht ein Widerspruch zur Herrschaft Gottes. Das bedeutet nicht eine Absage an die Universalität der Heilszusage Jesu für alle Menschen, sondern will im Gegenteil auch denen, von denen das Unrecht ausgeht, die wahre Menschlichkeit der Botschaft Jesu aufschließen. 

8. Bekenntnis zu Jesus von Nazareth beinhaltet den ausdrücklichen Rückbezug auf die von ihm errichtete Hoffnung. Gebet und Gottesdienst sind Vollzüge des individuellen und gemeinschaftlichen Innewerdens dieser Hoffnung und ihrer Benennung mit der Wirklichkeit, die Jesus Vater nannte.

Überall da, wo die menschliche Wirklichkeit als abgeschlossen bezeichnet wird, wo man glaubt, aus eigener Kraft eine letztgültige Vollendung menschlicher Zustände herbeiführen zu können, besteht ein Widerspruch zur Herrschaft Gottes. 

9. Bekenntnis zu Jesus von Nazareth bedeutet, die menschliche Wirklichkeit als den Ort des Erscheinens Gottes zu bekennen und den Gegensatz von vertikalem („gottbezogenem") und horizontalem („humanem") Denken als Scheingegensatz zu entlarven. Überall da, wo man Gott ohne Bezug zum Menschen sieht, setzt man sich in Widerspruch zur Herrschaft Gottes. 

10. Wo unter dem Anspruch Jesu Christi Herrschaft Gottes verkündet und geglaubt wird und wo Menschen in seiner Nachfolge Herrschaft Gottes zu realisieren suchen, da ist Kirche. Sie lebt als Gemeinschaft, die sich von ihm berufen weiß, und sich zu ihm als Herren bekennt. Sie begegnet ihm im Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung und wird dazu befreit, die in Jesus angebrochene Herrschaft Gottes zu bezeugen und zu erhoffen, die Gegenwart kritisch in Frage zu stellen und radikal und umfassend für die Sache des Menschen einzutreten, das heißt, sich für menschliche Gerechtigkeit, Friede und Versöhnung einzusetzen. So die angebrochene Herrschaft Gottes in der Geschichte bezeugend, kann Kirche ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft des Menschen und der Geschichte sein. 

11. Die Kirche kann niemals Selbstzweck sein, sondern steht stets unter dem Anspruch Jesu im Dienst am Menschen. Hinter diesem Anspruch bleibt sie jederzeit zurück und muß sich von ihm in Frage stellen lassen.

Deshalb ist eine unkritische Identifikation mit der konkreten Gestalt der Kirche nicht möglich. Überall etwa, wo sie statt zu dienen zu herrschen versucht, muß sie sich der Selbstkritik unterziehen... 

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Herrschaft Gottes ist nicht allein die Verheißung totaler Befreiung im Endzustand der Erlösung, Herrschaft Gottes ist schon hier und jetzt der wesentliche Antrieb zu politischem Handeln, das auf die Überwindung ungerechter und ungerechtfertigter .Herrschaft über Menschen abzielt. 

Um politisch handeln zu können, braucht jeder Mensch positive emotionale Grunderfahrungen (Vertrauen, Geborgenheit, Solidarität, Offenheit usw.).

Diese Erfahrungen sollten die Gruppen ermöglichen und vermitteln (Sozialisation). Solche positiven Grunderfahrungen sind Bedingung sowohl für politisches Denken und Handeln als auch für eine organisch in die Persönlichkeit integrierte Religiosität (Ichfindung). Religiosität ist nicht Heiligung irgendwelcher Situationen von außen her, sondern ein „Ergriffensein von dem, was uns in allem unbedingt angeht" (Tillich). Von daher finden wir uns nicht ab mit anonymen Ängsten und ungerechten Herrschaftsstrukturen. Wir sehen eine reale Chance für die Gesellschaft und uns selbst, indem wir die Verheißung Jesu Christi anzunehmen versuchen durch Reflexion, Meditation und Gebet. 

Gemeinsame Erfahrungen mit diesem Versuch befähigen und ermuntern den einzelnen und die Gemeinschaft, die anonymen Ängste und Belastungen zu sehen und zu überwinden... 

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Als Christinnen und Christen leben wir in dem Bewußtsein, daß jeder Mensch von Gott erwünscht und einmalig ist. Menschsein bedeutet, bedingungslos akzeptiert zu sein - unabhängig von Leistung und Nützlichkeit. Diese unbedingte Zusage erhalten wir durch unseren Glauben an Gott. Das ist der Glaube, den wir in Jesus von Nazaret verwirklicht sehen, der den Menschen die Daseinsangst nimmt, ihnen Sicherheit gibt und Trost spendet, der zugleich ihr Selbstbewußtsein begründet und zu Selbstbestimmung und Solidarität ermutigt. Gott schuf den Menschen als sein Ebenbild. Daraus leitet sich die Würde eines jedes Menschen her. Diese Würde ist von keiner menschlichen, staatlichen oder kirchlichen Instanz verliehen. 

In der jüdisch-christlichen Tradition verwurzelt, glauben wir mit Jesus Christus an den Gott, der Partei ergreift für die Armen, der bei den Fremden ist, uns aus unseren Gewohnheiten ruft und von unserer Selbstzufriedenheit befreit. Gott ist nicht nur der, der uns bestätigt, sondern auch der, der uns radikal in Frage stellt und verändert. 

Daraus folgt, daß wir beständig gegen Mißstände protestieren und handeln müssen. 

Solidarität zu allen Menschen ist aufgrund unseres Glaubens an Gott selbstverständlich. Der Glaube hält kein System für allein seligmachend und ist entschieden ökumenisch. Er will alle rassischen, nationalen und religiösen Grenzen überwinden. 

Spiritualität ist ein anderes Wort für Glaubenskultur. Wir beschreiben mit diesem Wort den Versuch, Mystik und Politik zu vereinen. Auf der Suche nach einer Balance zwischen diesen beiden Polen geht es um eine Glaubenskultur, die sich deutlich von folgenden Einseitigkeiten unterscheidet:
 - vom Fundamentalismus,
 - vom Quietismus (unpolitische Frömmigkeit) und 
 - vom unreflektierten, geistlosen Aktivismus. 

Auszüge aus der „Plattform" der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ)