Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis (B) am 22. Januar 2012 |
Evangelium: Mk. 1, 14 - 20 Autor: P.Heribert Graab S.J. Die theologische Grundthese und Anregungen zu dieser Predigt verdanke ich meinem Mitbruder und Freund P.Ansgar Wiedenhaus S.J. ("Immer wieder neu anfangen dürfen", topos-taschenbücher) |
Der Evangelist Markus tut uns den Gefallen, gleich zu Beginn seines Evangeliums das Grundthema der Botschaft Jesu Christi als eine Art Leitwort oder auch als ‘Schlagzeile’ über den ganzen Text zu setzen: “Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!” Alle vier Elemente dieses Leitwortes stehen in einem sehr engen, inneren Zusammenhang miteinander. Von jedem der Stichworte her könnte man das Ganze in den Blick nehmen. In dieser Predigt möchte ich diesen Blick auf das Ganze gewinnen durch das Stichwort der ‘Umkehr’, bzw. durch die Mahnung ‘umzukehren’. Spontan verbinden die meisten von uns mit dieser Mahnung zur Umkehr eine grundlegende Korrektur unseres moralischen Verhaltens - etwa im Sinne jener Liedzeile: “Hört seine Stimme, ändert euer Leben; suchet das Gute und laßt ab vom Bösen.” Anders ausgedrückt: Wendet euch ab von der Sünde, d.h. von eurer vor Gott erkannten und bekannten sittlichen Schuld! Von einer grundlegenden ‘Umkehr’ kann jedoch sicher nicht die Rede sein, wenn wir den ein oder anderen ‘guten Vorsatz’ fassen, und ebenso wenig, wenn wir uns allumfassend vornehmen, ab sofort ‘gute Menschen’ zu sein. Denn - ob wir wollen oder nicht - wir bleiben ja in allem, was wir tun, auf jeden Fall eingebunden in ein Umfeld unseres Denkens und Handelns, das ganz und gar geprägt ist von Schuld. Daran ändert sich auch nichts durch unseren guten Willen und durch noch so gute Taten. Eine grundlegende Umkehr müßte an die Wurzeln gehen. Eine grundlegende Umkehr müßte die ‘Herrschaft der Sünde’ aufbrechen, von der Paulus im Römerbrief spricht (Röm. 3, 9 ff); die Herrschaft der Sünde, unter der wir alle jederzeit stehen - selbst wenn wir ehrlich um das Gute bemüht sind. Dazu aber müßte uns klar sein, woher diese ‘Herrschaft der Sünde’ rührt, und was uns immer wieder schuldig werden läßt. In diesem Zusammenhang spricht die Kirche von ‘Erbsünde’ - leider ein sehr mißverständlicher Begriff. Sünde als Schuld setzt freie Entscheidung und damit Verantwortung voraus. Für die Erbsünde jedoch - als eine Befindlichkeit der ganzen Menschheit - ist niemand individuell verantwortlich. Natürlich weiß die Kirche das und hat im Verlauf ihrer Geschichte unterschiedliche Erklärungsmodelle für den Zusammenhang zwischen der einen Ursünde und den unzähligen individuellen Sünden gefunden. In jüngster Zeit gibt es in der Theologie hochinteressante Überlegungen zu diesem Thema, die in meinen Augen auch für das Verständnis von ‘Umkehr’ sehr hilfreich sind. Erinnern wir uns an die Sündenfall-Geschichte von Adam und Eva. Erinnern wir uns an die Schlange, die in dieser Geschichte eine Schlüsselrolle spielt. Traditionell identifizieren wir diese Schlange mit dem Teufel. In der Geschichte selbst ist davon jedoch nicht die Rede. Es wird nicht einmal gesagt, die Schlange sei böse. Ausdrücklich gesagt wird nur, sie sei das klügste Tier des Paradiesgartens. Die Schlange stellt nun eine durchaus plausible Frage: Warum will Gott nicht, daß die Menschen vom Baum in der Mitte des Gartens essen? Und sie gibt dazu gleich eine ebenfalls plausible Antwort. Nach der Darstellung der Schlange will Gott nicht, daß die Menschen so werden wie er. Die Schlange unterstellt, Gott habe Angst vor der Konkurrenz der Menschen. Mit anderen Worten: Gott vertraut den Menschen nicht, er liebt sie gar nicht so, wie es die Menschen bisher annahmen. Der Kern dieser Aussage weckt eine existentielle Angst: Wenn der Mensch nicht mehr glauben kann, daß Gott auf seiner Seite ist, dann muß er aus der “Angst um sich selbst” leben, dann muß er schauen, daß er ohne Gott zu seinem Recht kommt. Vertrauen, Hoffnung und Liebe zu Gott werden ausgelöscht zu Gunsten der Angst um die eigene Selbsterhaltung. Diese Angst ist genau das, was wir Erbsünde nennen. Weil Glauben letztlich ein Beziehungsgeschehen ist, helfen uns vielfach eigene Erfahrungen aus zwischenmenschlichen Beziehungen, Aspekte unserer Gottesbeziehung besser zu verstehen. So auch hier: Wenn in einer partnerschaftlichen Liebe das Vertrauen in die Liebe des anderen gestört ist, dann entstehen aus diesem Vertrauensverlust all die kleinen und großen Sünden gegen die Partnerschaft. Die Angst ist moralisch nicht als Schuld zurechenbar; aber wenn die “Angst um sich selbst” einmal die Menschheit als ganze und auch jeden einzelnen Menschen im Griff hat, dann ziehen Menschen daraus Konsequenzen, die durchaus moralisch bewertbar sind. Aus der Angst um sich selbst, aus der Angst vor einem Gott, der den Menschen nicht liebt, entsteht der Ungehorsam gegen Gott, entsteht die Auflehnung gegen Gott. Aus dieser Angst, die wir ‘Erbsünde’ oder ‘Ursünde’ nennen, obwohl sie nicht schuldhaft ist, entstehen all die Sünden, entsteht die Schuld, für die wir sehr wohl Verantwortung tragen. Weil die Wurzel aller Schuld letztlich die Angst ist, zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Heilige Schrift das tröstende und zugleich zur Umkehr mahnende Wort: “Fürchtet euch nicht!” Die biblische Geschichte ist von A bis Z eine Geschichte des Kampfes Gottes gegen die Angst des Menschen. So wie Gott in der Schöpfung die Chaosfluten zurückdrängt, damit Leben möglich wird, so tut Er das z.B. auch, wenn Er das Volk Israel durch das Rote Meer führt. Im vierten Hochgebet heißt es sodann: “Immer wieder hast Du den Menschen Deinen Bund angeboten und sie durch die Propheten gelehrt, das Heil zu erwarten.” Dennoch obsiegt immer wieder die Angst - etwa die Angst Israels, gegen die Völker ringsum nicht bestehen zu können. So paktieren sie mit anderen Völkern und verlassen sich auf Bündnisse mit Menschen. Die Propheten dagegen werben immer wieder um Vertrauen auf den liebenden und treuen Gott, der allein Sein Volk beschützen kann und wird. Erst im Neuen Testament allerdings offenbart sich Gottes liebevolle Zuwendung so überwältigend, daß menschlicher Angst unwiderruflich der Boden entzogen wird: In Jesus Christus sehen wir den menschgewordenen Gott, wie Er sich beleidigen, schlagen, demütigen und schließlich am Kreuz töten läßt und dennoch nicht aufhört, die Menschen zu lieben. Erlösung durch den Tod Jesu Christi bedeutet, Gott endlich glauben zu können, daß Er uns über alles liebt. In einer Welt, in der dieser Glaube und das Vertrauen auf die bedingungslose Liebe Gottes möglich ist, in einer Welt also, die grundsätzlich erlöst ist von der Herrschaft der Angst - in einer solchen Welt kommt die Zeit zu ihrer Erfüllung, in einer solchen Welt ist fürwahr das Reich Gottes, das Reich Seiner Liebe zu uns Menschen, nahe. In dieser Situation ‘umkehren’ bedeutet also, das eigene Leben ganz und gar aufzubauen auf einem restlosen Vertrauen in die Liebe Gottes und die Angst um sich selbst, um das Leben und um die Zukunft fahren zu lassen. Im Vertrauen auf Gottes Liebe Abschied nehmen von der Angst um sich selbst - darum geht es selbstverständlich nicht nur für jeden Einzelnen von uns; sondern mehr noch für die Kirche, die ja auch in tausend Ängste verstrickt ist; darum geht es darüber hinaus auch für unsere Gesellschaft und für die Menschheit insgesamt. Dem Ruf Jesu Christi folgen, Menschenfischer zu sein, das heißt also gerade heute, Menschen zu einem neuen Gottvertrauen zu befähigen, damit sie der Angst widerstehen können. Amen. |