Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis (B)
am 29. Januar 2012
Evangelium:  Mk. 1, 21 - 28
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Wir pflegen in der Regel sehr kritisch der Wirklichkeit zu begegnen.
Wenn wir z.B. Lebensmittel kaufen,
möchten wir wissen, was drin ist.
Und bei vielen Produkten möchten wir auch wissen,
wie sie hergestellt wurden:
z.B. ökologisch oder auch sozial gerecht.
Erst recht sind wir kritisch
wenn es um weltanschauliche und religiöse Fragen geht:
Wir möchten nicht
auf ideologische oder sektiererische ‘Rattenfänger’ hereinfallen.
Und ‘Märchen von gestern’
möchten wir uns auch nicht aufbinden lassen.

Nun ist dieses kritische Denken und Überprüfen
nicht erst eine Errungenschaft der modernen Zeit -
wie wir oft ein wenig überheblich unterstellen.
Auch die Menschen früherer Zeiten wollten nicht
Betrügern, Hochstaplern
oder religiösen Phantasten auf den Leim gehen.
Deswegen fragten die Menschen zur Zeit Jesu
- vor allem die Schriftgelehrten und Pharisäer -
immer wieder nach der ‘Vollmacht’ Jesu:
Er sollte sich legitimieren für das, was Er sagte und was Er tat.

Jesus selbst ist für diesen kritischen Anspruch
der Menschen Seiner Zeit sehr sensibel
und geht von sich aus darauf ein.
Denken Sie z.B. an die Heilung des Gelähmten.
Zunächst sagt Jesus zu ihm: “Deine Sünden sind dir vergeben!”
Das aber weckt Unmut:
“Wie kann dieser Mensch so redcn?
Er lästert Gott!”
Nur Gott kann schließlich Sünden vergeben!
So jedenfalls denken sie in ihrem Herzen
und trauen sich (noch) nicht, es auszusprechen.
Aber Jesus spürt, was das vor sich geht.
Von sich aus geht Er darauf ein:
“Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen:
Deine Sünden sind dir vergeben!,
oder zu sagen:
Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh umher?”
Sozusagen als Beleg für Seine Vollmacht, Sünden zu vergeben,
heilt Er den Gelähmten dann auch von seinem Gebrechen:
“Ich sage dir, steh auf!”

Im heutigen Evangelium erweist Jesus Seine Vollmacht
über die ‘Dämonen’.
Was wir heute eher eine ‘Geisteskranheit’ nennen,
war für die Menschen damals nicht nur bedrohlich
- das ist es, wenn wir ehrlich sind, auch für uns heute -
diese ‘Geisteskrankheiten’ entzogen sich damals außerdem
jedweder nachvollziehbaren Erklärung.
Daher schrieb man sie der Macht von Dämonen zu.
Das tun wir heute natürlich nicht mehr.
Und doch machen wir - wie die Menschen damals -
die beängstigende Erfahrung:
Es gibt ‘Mächte’, denen wir weitgehend machtlos ausgeliefert sind.
∙    Das sind auch heute noch schlimme Krankheiten,
∙    das sind Schicksalsschläge,
∙    das sind für unzählige Menschen Hunger und Krieg,
∙    das sind auch Naturgewalten
∙    das sind auch von Menschen verursachte Schreckensszenarien
    wie z.B. eine Atomkatastrophe,
∙    das ist vor allem der unausweichliche Tod.

Jesus erweist immer wieder Seine Vollmacht
über all diese die Menschen bedrohenden Mächte:
∙    Er treibt - wie im heutigen Evangelium - Dämonen aus;
∙    Er heilt unzählige unheilbar Kranke;
∙    zumal die Blinden macht Er sehend;
∙    Er setzt sich über lähmende Traditionen hinweg;
∙    Er zähmt Naturgewalten und bringt Stürme zum Schweigen;
∙    Er vergibt Schuld;
∙    Er zeigt sich als Herr selbst über den Tod.

Nahezu Seite für Seite jedoch
legen die Evangelien Zeugnis ab für die Vollmacht,
mit der Jesus die Botschaft vom kommenden Reich Gottes
verkündete:
“Die Menschen waren sehr betroffen von seiner Lehre;
denn er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat,
nicht wie die Schriftgelehrten.”
Gerade diese sehr unmittelbare Legitimation
sollten wir nicht unterschätzen:
Gewiß konnte Jesus auch glänzend formulieren.
Er konnte geschliffen argumentieren.
Und hier und da brachte Er Gegner
auch durchaus gekonnt zum Schweigen.

Aber in all dem liegt letztlich nicht der Erweis Seiner Vollmacht.
Die hat ihren Grund
einfach in der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft,
beziehungsweise in der persönlichen Ausstrahlung Jesu.
Dafür haben Menschen im Grunde genommen einen ‘siebten Sinn’.
Sie können vielfach sehr genau unterscheiden
zwischen klugem Geschwätz und gekonnter Rhetorik auf der einen
und glaubwürdigem Zeugnis auf der anderen Seite.
Dazu stehe ich, obwohl ich sehr genau weiß,
daß z.B. die Massen im Berliner Reichssportpallast
bei jener berüchtigten Göbbelsrede
das Gegenteil zu belegen scheinen.

Es würde den Rahmen der Predigt sprengen,
sich mit diesem Einwand fundiert auseinander zu setzen.
Das durchgängige Zeugnis der vielen Menschen jedoch,
die Jesus bei ganz unterschiedlichen Gelegenheiten zuhören,
hat jedenfalls einen ganz anderen Charakter
als das Geschrei und Gejohle im Sportpallast!
Es belegt sehr wohl Seine einzigartige ‘Vollmacht’ -
auch in dem, was Er verkündigte.
In der Ausdrucksweise traditioneller Philosophie
könnte man sagen:
Die Erfahrungen dieser Menschen in ihrer Gesamtheit
erweisen die Vollmacht Jesu als ‘evident’;
d.h. Seine Vollmacht ist für all diese Menschen
durch unmittelbare Anschauung und Einsicht erkennbar.
Die Evangelien bezeugen also Jesu Vollmacht
als etwas, das für diejenigen, die Ihm vorurteilslos zuhören,
klar auf der Hand liegt.

Worum aber geht es den Evangelien,
wenn sie auf vielfältige Weise die Vollmacht Jesu belegen,
bzw. als evident erweisen?
Jesus ist nach dem begründeten Zeugnis der Evangelien
nicht nur ein besonderer Mensch, wie es viele gibt.
Er ist vielmehr der verheißene und von Gott in diese Welt
und auch in unsere Zeit gesandte ‘Messias’.
Er ist Erlöser, Heiland, ‘Menschensohn’,
Retter der Menschheit und der ganzen Schöpfung.
Mehr noch: Er ist Kyrios = Herr,
Er ist Gottes Sohn, ja Gott selbst: Menschgewordener Gott.
Das ist der wahre Grund Seiner Vollmacht.
Und das wird letztlich bestätigt durch Seine Auferstehung,
die ihrerseits wiederum auf vielfältige Weise belegt ist -
gegen alle Skepsis und gegen allen Zweifel.

Unser Glaube beruht also keineswegs auf windigen Phantastereien.
Es gibt vernünftige Gründe,
im Glauben Ja zu sagen zu Jesus Christus,
zu Seiner göttlichen Sendung
und zu Seiner befreienden und frohmachenden Botschaft.
Wir dürfen darüber hinaus vertrauen auf die Vollmacht,
mit der Jesus auch uns als Seine Jüngerinnen und Jünger ausstattet.
Er überträgt auch uns die Vollmacht,
Seine Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden,
in Seinem Namen Kranke zu heilen
und in Seinem Namen auch heute
den Dämonen unserer Zeit zu wiederstehen und sie auszutreiben.

Es wäre also wichtig,
unseren Glauben nicht kleinmütig zu verstecken,
sondern auch in einer säkularisierten Welt
selbstbewußt zu unserer Sendung mit Vollmacht zu stehen.

Amen.