Predigt zum 28. Sonntag im Jahreskreis (B)
am 14. Oktober 2012
Evangelium: Mk. 10, 17 - 30
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Mit dem Thema "Demokratie now!" aus Sicht katholischer Soziallehre können Sie sich weiterführend befassen anhand eines Dossiers der Kath.Sozialakdemie Österreich.
Wir kennen den Rat Jesu:
“Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen,
und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben;
dann komm und folge mir nach!”

Diesen Rat Jesu ordnen wir nahezu automatisch ein
unter der Rubrik ‘christliche Vollkommenheit’
oder auch unter ‘Stand der Vollkommenheit’.
Sodann reagieren wir ebenso automatisch:
Das geht die Ordensleute an und alle, die so leben wollen;
also können wir ‘normalen’ Christen ruhig weghören.

Diese Engführung des Textes
scheint mir an der Intention Jesu meilenweit vorbeizugehen.
Schon wenige Zeilen weiter sagt Jesus im Gespräch mit den Jüngern:
“Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr,
als daß ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.”
Dieses aufreizende Wort scheint jedenfalls
sehr allgemein und umfassend zu gelten
und also auch uns anzugehen.

Immer wieder geht es im Evangelium um Armut und Reichtum.
Jesus selbst wendet sich vor allem den Armen liebevoll zu.
Seine Grundeinstellung spiegelt sich sehr eindrücklich
in Seiner Erzählung vom reichen Mann und vom armen Lazarus.
(Lk. 16, 19-31)
Nach dem Lukasevangelium stellt Jesus
ganz allgemein die Forderung auf,
die Hälfte des Besitzes den Armen zu geben. (Lk. 3, 11 u. 19, 1-10)
Wenigstens als Anspruch galt diese Forderung
auch in etlichen Gemeinden der nachösterlichen Urkirche.

Später wurde dann aus der Hälfte der ‘Zehnte’.
An diese Zeit erinnern bei uns z.B. noch die alten Zehntscheunen.
Viele Freikirchen erwarten von ihren Mitgliedern
auch heute noch den Zehnt als freiwillige Abgabe.
Bei unserer Kirchensteuer geht’s nur noch
um 8 oder 9 % der Einkommenssteuer.
Darüber hinaus allerdings werden wir immer wieder
um ‘großzügige Spenden’ gebeten
z.B. für Misereor, für Adveniat oder für die Caritas.

Frage - nicht nur für heute:

Wie gehe ich selbst mit dem Anspruch Jesu um?
Wende auch ich mich immer wieder ab -
weil ich ja - wie die meisten von uns -
zu den eher Vermögenden zähle?

Stille
 
In einem zweiten Punkt möchte ich einen Bezug herstellen
zu einem Problem, das aktuell viele Vertreterinnen und Vertreter
der katholischen Soziallehre beschäftigt.
Sie sagen:
Die ständig weiter auseinander klaffende Schere
zwischen Reichtum und Armut in unserer Gesellschaft
gefährdet unsere Demokratie,
also die Teilhabe aller an gesellschaftlichen Entscheidungen.

Wenigstens zwei Gesichtspunkte dazu
seien sehr kurz und wohl auch verkürzend genannt:

Alle Stimmen bei einer Wahl sind zwar gleich.
Demokratische Teilhabe aber bedeutet wesentlich mehr
als die Stimmabgabe alle vier Jahre.
Jeder über die Stimmabgabe hinausgehende politische Einfluß
ist jedoch von der gesellschaftlichen Stellung
und damit letztlich auch vom Geld abhängig.

Hinzu kommt zweitens,
daß etwa seit den 1980-er Jahren
die dominierende Ideologie unserer Gesellschaft   
der Neoliberalismus ist.
Ging es im ‘alten’ politischen Liberalismus um die Freiheit aller,
so geht es im Neoliberalismus,
der von den Wirtschaftseliten geprägt ist,
um die Freiheit für ‘Leistungsträger’ 
um die Freiheit des Marktes,
bzw. um die Freiheit der kapitalistischen Wirtschaftstätigkeit.   
Der Neoliberalismus respektiert politische Gleichheit rein formal,
d.h. solange die Demokratie nicht die Forderung stellt,
über politische Teilhabe die soziale Ungleichheit abzuschaffen.
Da politische Hintergründe und Zusammenhänge
immer komplizierter werden,
fällt es natürlich relativ leicht zu begründen,
warum die wichtigen politische Entscheidungen
nicht wirklich vom Volk,
sondern von sogenannten ‘Experten’ getroffen werden müssen.
Diese ‘Experten’ aber finden sich ‘wie von selbst’ in der Lobby.
So tritt an die Stelle von Demokratie
eine neue Form von Oligarchie.

Fragen - nicht nur für heute:

∙    Sehe ich die aktive Mitgestaltungsmöglichkeit
des öffentlichen Lebens als ein grundlegendes Recht
und als verpflichtende Aufgabe eines Christen an?
∙    Sehe ich in der Katholischen Soziallehre
    einen wichtigen Aspekt meines Glaubens
    und ist mir daher die Auseinandersetzung damit
    ähnlich wichtig wie die Auseinandersetzung
    mit der Glaubenslehre der Kirche?

Stille

Schließlich möchte ich noch
einen im engeren Sinne ‘religiösen’ Aspekt des Themas ansprechen:

Der junge Mann des Evangeliums
scheint seinen Glauben ernst zu nehmen - auch im Alltag.
Deshalb schaut Jesus ihn liebevoll an
und sagt sehr wohlwollend zu ihm: Eines fehlt dir noch...

In anderen Zusammenhängen spricht Er ‘Klartext’
oder gar äußerst massiv und provozierend.
Ein solch provozierendes Jesuswort haben wir heute gehört:
“Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr,
als daß ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.”
Mit diesem Wort spricht Er nicht diesen jungen Mann an,
wohl aber Seine Jünger,
denen Er eine klare Position vermitteln will,
an der nichts zu drehen und zu deuten ist.

Klartext hatte Jesus allerdings auch schon
in Seiner Bergpredigt geredet:
“Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde,
wo Motte und Wurm sie zerstören
und wo Diebe einbrechen und sie stehlen,
sondern sammelt euch Schätze im Himmel,
wo weder Motte noch Wurm sie zerstören
und keine Diebe einbrechen und sie stehlen...
Niemand kann zwei Herren dienen...
Ihr könnt nicht beiden dienen,
Gott und dem Mammon.” (Mt.6, 19-24)

Frage - nicht nur für heute:

Wir leben in einer immer noch ‘reichen’ Wohlstandgesellschaft.
Wir sind dafür - hoffentlich - dankbar.
Sehen wir aber auch das enorme Gefälle zwischen arm und reich -
nicht nur weltweit, sondern ganz hautnah auch hier bei uns?
Und sind wir ehrlich genug,
auch die Elemente von ‘Götzendienst’
in unserem Umgang mit dem Wohlstand zu erkennen?

Zeit der Stille zum Abschluß