Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis (C)
am 17. Oktober 2010
Lesung: Ex. 17, 8 - 13
Evangelium: Lk. 18, 1 - 8
Autor: P.Heribert Graab S.J.
An den 69 Tagen der chilenischen Bergleute
voller Furcht, Bangen und Hoffnung in der Tiefe der Erde,
und dann an ihrer glücklichen Rettung
haben viele von uns und unzählige Menschen weltweit
Anteil genommen.

Zugleich haben wir und unzählige andere miterlebt,
wie selbstverständlich die Verschütteten und ihre Angehörigen
in ihrer Not Zuflucht fanden im Gebet.

Keine Frage:
Gebet kann nie und nimmer ersetzen,
was an Sicherheitsstandards in den Minen fehlt.
Und wer betet, muß zugleich
auch diejenigen zur Rechenschaft ziehen,
die auf Kosten der Bergleute an deren Sicherheit sparen.

Keine Frage auch:
Das technische Know-how, die Professionalität,
die Umsicht und das Engagement der Hilfskräfte
haben das “Wunder von Chile” bewirkt.
Wo bleibt da in unserer hochtechnisierten
und weitgehend säkularisierten Welt
Raum für Gebet und Gottvertrauen?

Beide Lesungen dieses Sonntags
setzen als selbstverständlich voraus:
Die Kraft des Gebetes kann Berge versetzen.
Und beide Lesungen ermutigen uns,
im Gebet nicht nachzulassen.
Aber können und sollen wir
in einer entmythologisierten und entzauberten Welt
noch auf Schrifttexte wie diese bauen?
Was können wir dem Gebet zutrauen und was nicht?
Kommt es nicht - bei allem was geschieht -
letztlich nur auf uns Menschen an -
auf unser Versagen, aber eben auch auf unsere Möglichkeiten,
die Welt zum Besseren zu verändern?

Wir sollten zunächst einmal schlicht zur Kenntnis nehmen,
wie selbstverständlich viele der geretteten Bergleute
auch in der Öffentlichkeit beteten und Gott dankten.
Wer möchte sich wohl anmaßen,
die Glaubenserfahrung dieser Männer im Angesicht des Todes
als naiven Aberglauben abzutun?
Gerade in einer Situation, wie sie hinter den 33 von Chile liegt,
wissen sich zu allen Zeiten und an allen Orten
unzählige Menschen mit einer Wirklichkeit konfrontiert,
die uns normalerweise unzugänglich zu sein scheint,
und die doch nicht weniger wirklich ist als das,
was uns alltäglich begegnet.

Es geht nicht darum,
auf billigen Wunderglauben hereinzufallen -
auch durch Gebet läßt Gott sich nicht manipulieren!
Wohl aber geht es darum,
unser begrenztes Erkenntnisvermögen nicht absolut zu setzen,
sondern die verändernde Kraft des Gebetes
wenigstens für möglich zu halten -
etwa im Sinne dessen, was Jesus immer wieder den Geheilten sagte:
“Dein Glaube hat Dich gesund gemacht!”
Dieses Jesus-Wort ist uns vertraut;
Aber was halten Sie von:
"Euer Glaube hat Euch aus der Tiefe gerettet." ???

Beten und Glauben hängen ganz eng zusammen.
Jesu Jünger erfahren diese Einheit von Beten und Glauben
bei ihrem Meister auf eine faszinierende Weise.
So bitten sie Ihn: Herr, lehre uns beten!
Das Gleichnis von der Witwe und dem gottlosen Richter
ist eine Lektion Jesu über das Beten.
Und nicht weniger enthält auch das Gebet des Mose
eine Lektion über das Beten für uns.

Schauen wir uns zunächst das Gebet des Mose ein wenig näher an.
Mose ist bei seinem Beten getragen
von einem grundlegenden und unerschütterlichen Gottvertrauen,
das auch in enttäuschenden Situationen nicht aufgibt.
Vielleicht hat das ja etwas mit jenem Grundvertrauen zu tun,
von dem heute die Psychologen sprechen:
Das erwerben wir sehr früh schon im Kleinkindalter
durch eine ganz und gar verläßliche Beziehung
zur Mutter, bzw. zur maßgebenden Bezugsperson.

In jedem Fall jedoch ist eine vertrauende Grundhaltung
abhängig von gelingenden Beziehungserfahrungen.
Auch Gottvertrauen kann in mir nur gelingen
durch Mitmenschen, die einfach da sind,
die spüren und handeln, wenn mir die Kräfte schwinden.
Um wirklich vertrauensvoll beten zu können,
brauche ich - wie Mose - Menschen, die mich stützen,
wenn mir die Arme sinken,
und wenn ich dabei bin, den inneren Halt zu verlieren.

Also nicht nur wenn wir gemeinsam beten - etwa im Gottesdienst,
sondern selbst dort, wo wir zurückgezogen ganz alleine beten,
sind wir angewiesen auf das Mit-Beten,
auf die betende Unterstützung anderer -
wie Mose die betende Unterstützung
des Aaron und des Hur brauchte.
Darum also geht es,
wenn wir Freunde um ihr helfendes Mit-Beten bitten.
Aber genau das ist auch gemeint,
wenn von der Gebetsgemeinschaft der Kirche die Rede ist.
Es geht nicht darum, die Gebete vieler zu addieren;
es geht vielmehr darum, daß wir uns getragen wissen dürfen
durch die betende Solidarität der ganzen Kirche
und erst recht der “kleinen” Kirche unserer Gemeinde.

Wenn wir nun einen Blick auf die Witwe des Gleichnisses werfen,
dann fällt mir als allererstes auf,
mit welcher Energie diese Frau ihr Anliegen verfolgt.
Wer von uns betet schon mit solch einer Power?
Haben wir nicht tief in uns drin die Vorstellung,
Beten sei etwas ganz Sanftes,
etwas vornehm Zurückhaltendes?

Jesus sieht das im Gleichnis von der Witwe offenkundig anders:
Er einen einen höchst engagierten, offensiven
und sogar aggressiven Gebetsstil nahe.

Achten wir doch mal auf unser eigenes Beten!
Kann man aus der Art und Weise unseres Betens
wirklich schließen, es gehe uns um ein Herzensanliegen,
für das wir notfalls “auf die Barrikaden gehen”?
Wer kann es Gott wirklich verübeln,
wenn Er bei einem einfach so dahin gesagten Gebet
- sagen wir es ruhig mal ganz menschlich -
“die Ohren auf Durchzug stellt”?

Das Beten des Mose und das Beten Jesu
haben - auf je unterschiedliche Weise -
die energische und überzeugte Art gemeinsam,
die Jesus mit dem Gleichnis des heutigen Evangeliums
charakterisiert.

Wenigstens ebenso sehr verbindet die Mose-Erzählung
und das Gleichnis von der energischen Witwe
ein grenzenloses und unverbrüchliches Vertrauen.
Wenn schon dieser hartgesottene und kaltherzige Richter
vor der Frau kapituliert, weil er seine Ruhe haben möchte,
um wieviel mehr wird dann Gott als der liebende Vater
Seine Gerechtigkeit und Seine Barmherzigkeit
denen zukommen lassen, die Ihn ähnlich engagiert bitten.

An diesem Punkt Seines Gleichnisses allerdings stockt Jesus,
unterbricht sich sozusagen selbst
mit der sehr nachdenklichen und geradezu besorgten Frage:
“Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt,
auf der Erde noch Glauben vorfinden?”

Mit dieser Frage nimmt Jesus uns den Wind
allzu großer Selbstsicherheit aus den Segeln:
Es reicht nicht, formal zu beten,
wenn das Gebet nicht durchdrungen ist vom Glauben.
Sind wir wirklich überzeugt,
daß Beten Berge versetzen kann?
Oder halten wir ganz im Gegenteil
jene chilenischen Bergleute für naive Spinner?

Amen.