Predigt zum 2. Adventssonntag (A) 
am 9. Dezember 2001
Lesung: Jes. 11, 1 - 10; Evangelium: Mt. 3, 1 - 12; 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Wir haben uns daran gewöhnt,
prophetische Texte wie den des Jesaja,
den wir soeben gehört haben,
und der als Szene in unserer Adventskrippe dargestellt ist,
ganz selbstverständlich und spontan auf den Messias,
auf Jesus Christus zu beziehen.
Damit ist einem solchen Text
für aktuelle politische Gestaltungsaufgaben der Stachel gezogen.

Darüber hinaus haben solche Texte für uns
endzeitlichen Charakter.
Das heißt: 
So wie die Dinge in dieser Welt liegen,
und so wie die Menschen nun einmal sind,
halten wir einen geradezu paradiesischen Frieden 
schlicht für unrealistisch.

Die meisten von uns halten einen Krieg wie den in Afghanistan
als das geringere Übel für unausweichlich,
und unterstützen eine dementsprechende Politik.

Auf diesem Hintergrund sollten wir wenigstens zur Kenntnis nehmen,
daß ein Mensch wie Jesaja anders denkt.
Er spricht von einer konkreten politischen Situation seiner Zeit,
und er bringt in sein politisches Denken 
etwas für uns ganz und gar Unvorstellbares ein:
Er rechnet fürwahr mit der Treue Gottes
und baut darauf sein Vertrauen in die politische Zukunft.

Geschichtlich geht es um die Zeit um 700 vor Christus.
Die davidische Dynastie ist in ihren Fundamenten erschüttert,
ja sogar in ihrer Existenz bedroht.
Mit Gewalt setzt ein Weltreich seine imperialistischen Interessen durch,
die Assyrer bringen das kleine Israel unter ihre Knute.

In dieser hoffnungslosen Lage
ist und bleibt Jesaja überzeugt von der Treue Jahwes.
Das darnieder liegende Königshaus Israels
ist fürwahr nur noch ein morscher und bereits toter Baumstumpf.
In seinem unerschütterlichen Glauben jedoch
rechnet Jesaja fest damit,
daß aus diesem elenden Baumstumpf ein neuer Trieb wachsen wird,
daß es also einen neuen König, 
einen charismatischen Politiker geben wird, 
auf dem Gottes Geist ruht.
Gottes Geist wird ihn befähigen,
vor allem gerechte Entscheidungen zu treffen
und zumal für die sozial Schwachen einzutreten.

Der neue Name für Frieden ist Gerechtigkeit,
hat Paul VI einmal gesagt.
So neu ist das gar nicht!
Dahinter steckt vielmehr die alte biblische Weisheit,
der auch Jesaja immer wieder Ausdruck verleiht:
Nur Gerechtigkeit und eine Politik im Dienste der Armen
kann auf Dauer Frieden schaffen.
Gerechtigkeit und eine engagierte Sozialpolitik vorausgesetzt
ist Frieden durchaus eine realistische Möglichkeit!

Es gab offensichtlich eine Zeit,
da waren Christen der Überzeugung,
wenigstens ein einziges Mal im Laufe der Menschheitsgeschichte
habe es diesen umfassenden Frieden gegeben -
nämlich damals, als Jesus Christus,
den wir als den Friedenskönig schlechthin bekennen,
zu Bethlehem geboren wurde.
Im Martyrologium des Weihnachtsfestes heißt es daher:
„ Im zweiundvierzigsten Jahr der Regierung des Kaisers Oktavianus Augustus,
da Frieden war in der ganzen Welt,
da sandte Gott, der ewige Vater,
seinen Sohn in die Welt,
um sie durch seine rettende Ankunft zu heiligen."

Wir wissen heute, daß dieser Friedensoptimismus überzogen war:
Auch die Pax Romana ruhte auf Bajonetten 
und keineswegs auf sozialer Gerechtigkeit.
Aber das ändert grundsätzlich nichts 
an der realen Möglichkeit eines umfassenden Friedens,
wenn denn einmal Menschen die Politik bestimmen,
denen einzig und allein Gottes Gerechtigkeit ein Anliegen ist,
und die jedem machtpolitischen Egoismus oder Gruppenegoismus abschwören.

Noch ein weiterer Gesichtspunkt des Jesajatextes
ist bedenkenswert und aktuell:
In der Bildsprache des Jesaja
gibt es eine ganz enge Wechselbeziehung zwischen
Sozialkosmos und Naturkosmos.
Ist der Sozialkosmos in Ordnung,
dann hat das auch positive Auswirkungen auf den Naturkosmos.
Dann wird auch Frieden möglich in der Natur
und vor allem zwischen dem Menschen und der Natur.
Jesaja entwirft geradezu ein Bild paradiesischer Gewaltlosigkeit
in der Natur insgesamt und vor allem im Verhältnis Mensch-Natur. 
Wahrscheinlich war Jesaja damit zu keiner Zeit
so hochaktuell wir gerade heute.

Eine solche Zukunft wird nach Jesaja dadurch ermöglicht,
daß das ganze Land erfüllt ist von der Erkenntnis des Herrn;
und das in so faszinierender Weise,
daß die Völker und Nationen sich auf den gleichen Weg machen.

Ein kurzer Blick noch auf das Evangelium 
und auf die Predigt eines anderen Propheten:
des Täufers Johannes.
Der knüpft an Jesaja an
und mahnt konkret die Menschen seiner Zeit - aber dann auch uns:
„Bereitet den Weg des Herrn!"
Und glaubt bloß nicht, es sei damit getan,
„Abraham zum Vater zu haben".
Aktuell ausgedrückt:
Glaubt bloß nicht, es sei damit getan,
getauft zu sein,
ein religiöser Mensch zu sein,
Kirchensteuer zu zahlen,
und hier und da in die Kirche zu gehen.

Johannes sagt: Bringt Früchte eures Glaubens hervor.
Laßt euren Glauben konkret werden
und kehrt um zum gerechten Gott des Friedens.
So jedenfalls wie bisher kann‘s nicht weitergehen!
Die Axt ist bereits an die Wurzel der Bäume gelegt.
Irgendwann wird die Spreu vom Weizen getrennt.
Jede Zeit und immer vor allem die jetzige Zeit
ist eine Zeit der Entscheidung!
Und tut euch selbst einen Gefallen:
Schiebt diese Entscheidung nicht auf die lange Bank!

Amen.