Predigt zum 4. Adventssonntag (A) am 23. Dezember 2001
Lesung: Jes. 7, 10 - 14; Evangelium: Mt. 1, 18 - 24; 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Das heutige Evangelium ist schon das Weihnachtsevangelium -
das Weihnachtsevangelium des Matthäus.
Uns ist vor allem die Weihnachtsgeschichte des Lukas vertraut -
und die wird aus der Perspektive der Maria erzählt.
Matthäus dagegen berichtet diese Geschichte
aus dem Erleben des Josef.
Und dieses Erleben ist menschlich sehr gut nachvollziehbar.
Josef ist mit einer Situation konfrontiert,
wie sie auch heute immer wieder vorkommt:
Er ist konfrontiert mit der ungeplanten Schwangerschaft
seiner Verlobten.
Er ist konfrontiert mit ihrer - wenigstens vermuteten - Untreue.
Wir können nachempfinden,
wie sehr eine solche Schwangerschaft zur Krise führen kann,
wie enorm belastend Zweifel an der Treue der geliebten Partnerin sind.

Josef ist sozusagen am Ende seiner Weisheit,
vielleicht unter der drückenden Last enttäuschten Vertrauens
überhaupt am Ende.
So überwältigt ihn schließlich der Schlaf.
Mag sein, daß er sich in den Schlaf weint
oder daß er gar in den Schlaf flieht.

Ausgerechnet im Schlaf ordnet sich für ihn das Chaos.
„Den Seinen gibt‘s der Herr im Schlafe!"
Es ist die Deutung des Glaubens,
daß ein „Engel des Herrn" den Traum inspiriert habe.
Für diesen durch und durch gläubigen Menschen Josef
klärt - wie auch für Maria - eine einzige Erkenntnis alles:
DieErkenntnis daß hier auf geheimnisvolle Weise Gott selbst am Werk ist.
Das Kind, das da geboren werden soll, ist ein Geschenk des Heiligen Geistes.
Für dieses Kind wird Josef die Verantwortung übernehmen
und tun, was zu tun ist - ganz selbstverständlich und schweigend.

Dem Matthäus liegt darüber hinaus noch etwas anderes am Herzen:
Er möchte seiner Gemeinde vermitteln,
daß sich im Weihnachtsgeschehen uralte Verheißungen erfüllen,
die als messianische Verheißungen gedeutet wurden.
Wir haben in der Lesung eine solche Verheißung gehört,
auf die Matthäus im heutigen Evangelium Bezug nimmt:
„Seht die Jungfrau wird schwanger werden
und einen Sohn gebären.
Und man wird ihn Immanuel nennen - Gott mit uns."

Auf diesen Namen kommt es an!
Und auf das Gottvertrauen, das darin anklingt.
Ahas brachte dieses Vertrauen nicht auf -
ganz im Gegensatz zu Josef.

In der Tradition der katholischen Kirche
wird der Akzent der Verheißung vielfach
auf das Stichwort der „Jungfräulichkeit" gesetzt.
Die Menschen noch zur Zeit des Josef
sahen darin nicht das geringste Problem.
Die „jungfräuliche" Geburt bedeutender Persönlichkeiten
war ihnen aus vielen Kulturen ihres Umfeldes vertraut.
Dabei wurde nicht unterschieden
zwischen dem biologischen und dem übertragenen Sinn
von „Jungfräulichkeit".
Erst die griechische und später die lateinische Übersetzung der Heiligen Schriften 
gaben der biologischen Bedeutung
des Wortes ein gewisses Übergewicht.
Und wir Heutigen mit unserer naturwissenschaftlich akzentuierten Bildung
haben damit unsere Probleme.

Es mag sein, daß die Kirche irgendwann einmal
auch in diesem Punkte schmerzhaft lernen muß,
daß die Bibel kein naturwissenschaftliches Buch,
sondern ein Zeugnis des Glaubens ist.
Im Fall Galilei hat sie für diesen Lernprozeß 
etliche Jahrhunderte gebraucht.

Aber darauf kommt es letztlich nicht an.
Entscheidend ist vielmehr der Kern der biblischen Aussage:
Dieses „jungfräulich" geborene Kind
ist ein besonderes Kind.
Es ist Gottes Geschenk zur Rettung der Menschheit,
die ihrerseits - aller Selbstüberschätzung zum Trotz -
nicht in der Lage ist, 
sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.
Die „Macher" aller Zeiten und zumal unserer Zeit
beißen sich an dieser Aufgabe die Zähne aus.
Immer wieder erweist die Geschichte
jeden Selbsterlösungswahn und jede Macher-Ideologie
als fatalen Irrtum.

Der Prolog des Johannesevangeliums 
gibt uns Interpretationshilfen auch für das Verständnis 
des Matthäustextes, den wir heute gehört haben.
Dort wird gesagt, daß nur diejenigen, 
die dieses Kind - das menschgewordene Wort Gottes -
vertrauensvoll und vorbehaltlos aufnehmen,
von seinem Licht erleuchtet
und fähig werden für das Reich Gottes.
Wörtlich heißt es dann:
„Allen aber, die ihn aufnahmen,
gab er Macht, Kinder Gottes zu werden,
allen, die an seinen Namen glauben (Immanuel!),
die nicht aus dem Blut,
nicht aus dem Willen des Fleisches,
nicht aus dem Willen des Mannes,
sondern aus Gott geboren sind."

In diesem Sinne war nicht nur Maria, sondern ebenso sehr Josef
ein „Kind Gottes",
anders ausgedrückt: ein „jungfräulicher" Mensch.
In diesem Sinne sollen und müssen auch wir,
die wir auf den Namen Jesu Christi getauft sind,
- das ist ein wesentlicher Aspekt der Weihnachtsbotschaft -
„jungfräuliche" Menschen sein -
auch wenn unsere Umwelt das nicht versteht,
nicht verstehen will, nicht verstehen kann.

Amen.

Traum des Josef