Predigt zum Fest der Taufe Jesu am 13. Januar 2002
Lesung: Jes. 42, 5a.1-4.6-7; Evangelium: Mt. 3, 13-17; 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
„Der Himmel geht über allen auf..."
Wir haben es im Evangelium gehört,
wir haben den Kanon dazu gesungen,
wir möchten diese Botschaft so gerne glauben;
und doch erscheint vielen von uns der Himmel verschlossen zu sein.
Immer wieder haben wir den Eindruck,
daß Gott schweige
oder ohnmächtig sei,
das Elend dieser Welt zu wenden.


Aber als Christen feiern wir Epiphanie,
feiern wir die „Erscheinung der Herrlichkeit Gottes",
die Erscheinung Seiner Liebe und Gerechtigkeit
mitten in dieser Welt.
Dieses Geheimnis ist ursprünglich sogar 
der Kerninhalt des Weihnachtsfestes.
Für die Christen der ersten Jahrhunderte
stand nicht die unscheinbare Geburt Jesu
in einem Stall vor den Toren Bethlehems im Vordergrund,
sondern gerade das theologische Geheimnis
der Epiphanie Gottes.
Dementsprechend war das eigentliche Evangelium des Festes
der Bericht von der Taufe Jesu im Jordan:
„Da öffnete sich der Himmel...
Und eine Stimme aus dem Himmel sprach:
Dies ist mein geliebter Sohn."
Die Kluft zwischen Himmel und Erde ist überbrückt.
Gott selbst ist als Mensch mitten unter uns erschienen.
Nichts ist mehr, wie es vorher war.

Noch in anderen Evangelientexten sahen die ersten Christen
diese Glaubenserfahrung bestätigt:
- Im Stern der Weisen aus dem Morgenland,
der das weltverändernde Ereignis verkündete.
- In jenem „ersten Zeichen", das Jesus wirkte
bei der Hochzeit zu Kana,
und dessen Konsequenz war,
daß seine Jünger an Ihn glaubten.
- Und dann natürlich auch im sich öffnenden Himmel
über den Hirtenfeldern von Bethlehem
und in der frohen Botschaft der Engel
und in ihrem jubelnden Gesang
„Gloria in excelsis Deo..."
„Ehre sei Gott in der Höhe
und Frieden den Menschen Seiner Gnade!"

Noch in unseren Tagen gehören all diese Evangelien 
zum weihnachtlichen Festkreis
und das Evangelium von der Taufe Jesu
schließt heute diesen Festkreis ab:
Wir feiern heute noch einmal Epiphanie. 

Bei der Taufe Jesu,
die so etwas wie ein Präludium Seines öffentlichen Wirkens ist,
gerät schon Sein ganzes Leben in den Blick:
Seine Offenbarung Gottes als liebender Vater;
Seine die Menschen und die Welt umkrempelnde Botschaft,
die ihren Höhepunkt in der Bergpredigt findet;
Sein Verständnis von liebender Gerechtigkeit;
Seine Zuwendung zu den Kleinen, zu den Armen, zu den Zu-kurz-gekommenen; 
Sein heilendes Wirken
und Seine vergebende Zuwendung zu den Sündern.

Bei der Taufe im Jordan - so berichtet das Evangelium -
sieht Jesus den Geist Gottes auf sich herabkommen wie eine Taube.
Darin steckt eine Anspielung auf die Schöpfungsgeschichte:
„Die Erde war (noch) wüst und leer,
Finsternis lag über der Urflut,
und Gottes Geist schwebte („brütete"!) Über dem Wasser."
Mit dieser Anspielung charakterisiert das heutige Evangelium
das Geschehen am Jordan als den Beginn einer neuen Schöpfung,
wie sie dann im Leben Jesu bis zu Seinem Tod am Kreuz 
detailliert skizziert wird. 

Durch die Epiphanie Gottes in Jesus
nimmt jene neue Schöpfung,
die schon immer durch die Propheten verheißen war,
konkrete Gestalt an:
„Er bringt den Völkern das Recht.
Er schreit nicht und lärmt nicht...
Das geknickte Rohr zerbricht Er nicht,
den glimmenden Docht löscht Er nicht aus.
Ja, Er bringt wirklich das Recht."

Er verkündet nicht nur einen neuen Bund Gottes mit seinem Volk -
Er ist selbst dieser neue und unwiderrufliche Bund.
Er weist nicht nur hin auf das Licht -
Er ist selbst das Licht für die Völker.
Er öffnet blinde Augen,
Er führt Gefangene aus dem Kerker,
Er befreit alle, die im Dunkel sitzen.

In all dem erscheint fürwahr Gottes Herrlichkeit
und wird sichtbar und erfahrbar für die,
die Augen haben, um zu sehen,
und Ohren, um zu hören.
Und präzise die haben sich 
- von jenen Tagen am Jordan angefangen -
immer wieder aufgemacht, um diesem Jesus nachzufolgen,
um mit Ihm am „Reich Gottes", d.h. an der neuen Schöpfung,
mitzuwirken.

Auf Seinen Namen sind auch wir getauft
und damit in Seine Nachfolge gerufen.
Es kann nicht angehen, 
daß gerade wir über die Dunkelheit dieser Welt
und über den verschlossenen Himmel klagen.
Unsere Berufung ist es,
den Himmel Gottes überall dort zu entdecken,
wo sich auch nur ein Spalt davon unseren Augen öffnet.
Unsere Berufung ist es,
in aller Dunkelheit selbst Licht zu sein
und das Licht Jesu Christi in den Herzen der Menschen zu entzünden.
Unsere Berufung ist es,
das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit
hier in dieser Welt zu leben -
und das mit allen privaten und auch mit allen politischen Konsequenzen.

Amen.