Predigt in der Christmette 2007
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Die Legende erzählt,
der hl. Franz von Assisi habe den Tieren gepredigt,
und sie hätten ihn verstanden.
In dieser Heiligen Nacht ist es genau umgekehrt:
Die Tiere und überhaupt die Geschöpfe der Natur
predigen uns;
allerdings ist es nicht ganz so selbstverständlich,
daß wir sie verstehen.

Versuchen wir es dennoch!
Hören wir zum Beispiel hin
auf das, was Ochs und Esel uns sagen möchten.
Sie fehlen wohl an keiner Weihnachtskrippe.
Im Gegenteil:
In den ältesten Krippendarstellungen
sind Ochs und Esel die einzigen an der Krippe des Kindes.
Selbst Maria und Josef sind nicht zu sehen.
Nur Ochs und Esel bilden die „Gesellschaft Jesu".
(Kein Wunder, daß sich etliche Jesuitenwitze darüber amüsieren.)

Wie kommen nun Ochs und Esel zu dieser Ehre?
Schließlich ist in den Weihnachtsevangelien
mit keinem Wort von ihnen die Rede.
Der Prophet Jesaja erklärt es uns jedoch mit einem einzigen Vers:
„Der Ochse kennt seinen Besitzer" - sagt er -
„und der Esel die Krippe seines Herrn;
Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht."

Fühlen wir uns also nicht gar zu sehr erhaben über Ochs und Esel!
Lassen wir vielmehr zu, daß sie uns fragen:
Wie ist es denn mit eurer Erkenntnis und eurer Einsicht bestellt -
in dieser Nacht und in diesen weihnachtlichen Tagen?

Achten wir sodann auf die stumme „Predigt" der vielen Schafe,
die sich um den Stall von Bethlehem drängen.
Immer wieder wird in der Heiligen Schrift
Gottes Volk mit einer Herde von Schafen verglichen -
und das keineswegs verächtlich!
(Verächtlich kann über Schafe nur eine
städtisch-bürgerliche Gesellschaft sprechen.)
Jesus nennt sich selbst den „guten Hirten".
Und von den Schafen sagt Er:
„die hören auf meine Stimme;
und ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich,
wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne;
und ich gebe mein Leben hin für die Schafe." (Joh. 10)

Genau darum drängen sich die Schafe an der Krippe:
Sie fragen uns: Kennt ihr dieses Kind wirklich,
das heute auf die Welt gekommen ist?
Erkennt ihr in Ihm die Erscheinung Gottes in dieser Welt?
Glaubt ihr an Seine Liebe, der Sein Leben für euch hingibt?

Hier an unserer Krippe in St.Michael
können Sie sogar einen Wolf entdecken.
Eine Legende erzählt,
er habe sich in durchaus räuberischer Absicht
an die Krippe herangeschlichen.
Als er schon zum Sprung ansetzte,
berührte ihn behutsam und liebevoll die Hand des Jesuskindes.
Und mit einer Stimme, wie sie der Wolf noch nie vernommen,
sagte das Kind: „Wolf, ich liebe dich!"

Und dann berichtet diese märchenhafte Legende
etwas Unvorstellbares:
In diesem Augenblick platzte die Tierhaut des Wolfes,
und heraus stieg eine wirklicher (!) Mensch -
so, wie Gott ihn von Anfang an gedacht.
Der Mensch aber betete das Kind in der Krippe an
und ging dann still in die Welt hinaus,
um die erlösende Berührung des Kindes allen zu künden.

Diese märchenhaft-tiefgründige Geschichte
erzählt der Wolf an unserer Krippe.
Er fragt uns:
Habt ihr noch nie die verwandelnde Kraft der Liebe gespürt?
Und fühlt auch ihr euch in diese Welt
- oder einfach nur in diese Stadt - gesandt,
die verwandelnde Liebe dieses Kindes hinauszutragen?

All die vielen kleinen und großen Tiere an unserer Krippe
laden uns ein, mit ihnen gemeinsam
in dieser Heiligen Nacht einzustimmen
in den großen Lobpreis der Schöpfung,
zu dem auch uns die biblischen Psalmen auffordern:
„Lobet den Herrn, ihr auf der ganzen Erde,
ihr wilden Tiere und alles Vieh,
Kriechtiere und gefiederte Vögel;
ihr jungen Männer und auch ihr Mädchen,
ihr Alten mit den Jungen!
Loben sollen alle den Namen des Herrn.
Denn Seine Hoheit strahlt über Erde und Himmel" -
zumal in dieser Hochheiligen Nacht, möchte man ergänzen. (Ps. 148)

Schauen wir weiter auf Gottes Schöpfung!
Auch die vielen Fichten und Tannen rund um unsere Krippe
predigen uns in diesen weihnachtlichen Tagen.
Sie sagen: Schaut her auf unser immergrünes Kleid!
Wir verkünden euch das Leben, das nicht stirbt -
auch in der Kälte und Dunkelheit des Winters nicht.
Wir verkünden euch den Herrn des Lebens,
der den Tod endgültig bezwungen hat.
Er wurde heute geboren - das Leben selbst -
in dieser dunklen Nacht, die die Stunde des Todes zu sein scheint.

Wir haben uns zu Seiner Ehre ein Kleid aus Lichtern angelegt.
Denn Er ist das Licht - auch in den Dunkelheiten eures Lebens.

Wir erinnern euch auch an das Gleichnis Jesu
von jenem Baum, der voller Blätter war, aber keine Früchte trug.
Weil alles Leben letztlich tot ist, wenn es keine Frucht bringt,
schmückt ihr daheim eure Christbäume
mit rot glänzenden und sternenübersäten Äpfeln -
auch Symbole jener Lebensfülle, die in dieser Nacht erscheint.

Bei euch hängen keine Äpfel am Christbaum?
Ihr habt Recht: Das ist kaum noch möglich.
Die EU-Normen haben diese herrlichen Weihnachtsäpfel,
die kleinen, roten Sternrenetten, vom Markt verdrängt.
Und vorher schon glaubtet ihr selbst,
viel schöner noch als diese von Gott geschaffenen Sternrenetten
seien von Menschen gemachte bunt-glänzende Glaskugeln.
Von weitem erinnern die zwar noch an die Weihnachtsäpfel
und deren Botschaft;
aber wer denkt heute noch daran angesichts der glitzernden Kugeln?

Ihr habt‘s ganz schön schwer in eurer Wohlstandswelt:
Nicht einmal mehr eure Christbäume und die Weihnachtsäpfel
sprechen zu euch vom Leben
und von den Früchten,
die auch ihr in eurem Leben bringen solltet -
Früchte der Liebe.

Ihr habt euch heute abend beschenkt.
Fürwahr - diese Geschenke sind eigentlich gedacht
als „Früchte" eurer Liebe.
Aber fragt euch immer wieder ganz ehrlich:
Sind sie es wirklich ???
Und was bleibt von diesen Früchten der Liebe,
wenn schon bald nach Weihnachten der Alltag wieder einkehrt?

Unsere Krippe hier in St.Michael bleibt -
wenigstens noch für etliche Wochen.
Kommt immer wieder her, betrachtet sie
und öffnet euer Herz für ihre „Predigt".

Amen.