Predigt zum Ersten Weihnachtstag 2007
Evangelium: Joh. 1, 1 - 18
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Die Botschaft der Heiligen Nacht geht uns ans Herz:
Die Geburt des Kindes im Stall zu Bethlehem,
der Jubel der Engel und die Freude der Hirten.

Die Botschaft des Weihnachtstages selbst
ist eher eine Herausforderung für unsere „grauen Zellen":

„Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und das Wort war Gott...
Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt,
und wir haben seine Herrlichkeit gesehen..."

Mir fällt dazu ein wunderbares Glasfenster
von Marc Chagall in St.Stephan zu Mainz ein:
„Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte."

Ein Engel bringt - aus dem Himmel herbeischwebend -
das aufgeschlagene "Buch der Bücher", Gottes Wort ins Bild.
So wie ein Engel die Botschaft
von der Menschwerdung des Wortes Gottes
zu Maria bringt.
So wie ein Engel den Hirten diese frohe Botschaft verkündet,
und der "Glanz des Herrn" sie umstrahlt.

In den Mittelpunkt des Bildes hat Marc Chagall
einen großen Leuchter mit brennenden Lichtern gestellt.
Dessen überdimensionale Größe verleiht
der einzigartigen Leuchtkraft des Wortes Gottes Ausdruck.

Dieses Bild schlägt in meinen Augen eine Brücke
zwischen dem Glanz der Lichter in der Heiligen Nacht
und dem eher nüchternen Text des Tagesevangeliums:
Das Wort Gottes ist gerade in der Lichterfülle unserer Zeit
die unvergleichlich wichtigere,
ja sogar letztlich die einzig wirklich erhellende Lichtquelle
vor dem dunklen Horizont der Grundfragen unseres Lebens.
In Seinem Wort läßt Gott selbst uns teilhaben an Seinem Licht.

Für den frommen Juden Chagall erschließt sich Gottes Wort
natürlich in der Thora, in der den Vätern offenbarten
und dann niedergeschriebenen „Weisung" Gottes.
In diesem Sinne sprechen auch wir Christen von „Gottes Wort",
durch das Er zu uns spricht in den Texten der Heiligen Schrift.

In diesem Sinne heißt es z.B. zum Abschluß
der Schriftlesung in der Liturgie:
„Wort des lebendigen Gottes",
und eben nicht „Worte des lebendigen Gottes"!

Gewiß - wir Menschen können nicht anders,
als dieses eine Wort Gottes, in dem Er sich selbst offenbart,
in die vielen Worte der Schrift zu entfalten.
Wenn wir darüber hinaus jedoch versuchen,
die Worte der Heiligen Schrift zu deuten und zu erklären,
schießen wir nicht selten über‘s Ziel hinaus:
Dann wird so manche Predigt zum frommen  „Geschwätz".
Ein bedeutender Pastoraltheologe hat in diesem Zusammenhang
sogar von einem „Wort-Durchfall" gesprochen. 

Das Weihnachtsevangelium vom „Wort",
das bei Gott war,
und das Gott selbst ist,
und das in unserer Geschichte
„Fleisch" annahm und also Mensch wurde,
führt uns nun ganz nahe heran
an das Geheimnis des einen und einzigen Gottes.
In Ihm ist die unendliche Fülle Seiner Wirklichkeit
eben nicht in die Vielzahl hinein auseinanderdividiert und zerstreut.
 
Gottes Wort gehört viel enger zu Gott als alles,
was durch Gottes Wort erschaffen oder bewirkt wird.
Schon unsere Worte gehören ja so sehr zu uns,
daß sie weniger etwas von uns Verschiedenes sind,
als vielmehr wir selbst, die wir uns im Wort mitteilen.
Das gilt sogar, wenn wir uns im „Geschwätz" verlieren.
Auch unser Geschwätz offenbart mehr von uns selbst,
als uns manchmal lieb sein kann.

In Gott ist die Einheit Seines Wortes
mit jener einen göttlichen Wirklichkeit,
die sie zum Ausdruck bringt, vollendet:

"Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und das Wort war Gott."
In Gott ist also das Wort, in dem Er sich ausspricht,
lebendiges Spiegelbild Seiner selbst:
Person, "Gott von Gott", wie wir im Credo bekennen.

"Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt,
und wir haben seine Herrlichkeit gesehen,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit."

Diese Selbstoffenbarung Gottes im menschgewordenen "Wort"
feiern wir heute an Weihnachten voll jubelnder Freude.
Unvergleichlich mehr noch als in der Schriftoffenbarung
erstrahlt in der Selbstoffenbarung Gottes als Mensch
Sein alles erleuchtendes, herrliches Licht.
Das Licht, das ausgeht von diesem Kind in der Krippe,
erfüllt mit seinem Glanz „alle Ewigkeiten".

Aus dieser Perspektive bekommt jenes Psalmwort,
das Chagall über sein Fensterbild stellt,
nochmal eine ganz neue Dimension:
„Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte" (Ps. 119, 105).

Gottes menschgewordenes Wort, Er selbst,
möge gerade heute unser aller Herzen erleuchten.
Und auch im Alltag des Neuen Jahres
möge es all unsere Wege und unser ganzes Leben hell machen.
So sei es! Amen!