Predigt zum Zweiten Advent (B)
am 7. Dezember 2008
Lesung: Jes. 40, 1 - 5 und 9 - 11
Evangelium: Mk. 1, 1 - 8
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Haben Sie schon mal jemanden in die Wüste geschickt?

Vermutlich haben Sie dem nichts Gutes gewünscht.
In die Wüste schicken meint immer:
jemanden loswerden, jemanden feuern,
oder sich einer Person entledigen.
Die Wüste ist in unserer Vorstellung ein trostloser Ort.
Einöde, Hitze, Trockenheit und Durst machen die Wüste
zu einem Ort tödlicher Bedrohung.

Dementsprechend ist die Wüste auch in der biblischen Tradition
ungesegnetes, ja sogar verfluchtes Land,
ein Ort des Unheils.
Im übertragenen Sinn wird die Wüste bei den alten Propheten
zum Bild der trostlosen Realität
der Auflehnung Israels gegen Gott,
ein Bild der Gottesferne und Gottverlassenheit.

Im Kontrast dazu schildern nun die Lesungen dieses 2. Advent
ausgerechnet die Wüste als  d e n  Ort der „Wende",
als den Ort, an dem Gott selbst einen neuen Anfang wagt.

Dabei fällt mir auf:
Schon ganz zu Beginn der Schöpfungsgeschichte heißt es
„die Erde war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut".
Aber über diesem Chaos schwebte
Gottes ordnender und belebender Geist.

Später wächst dann aus der „Wüste" ägyptischer Sklaverei
die Sehnsucht des Volkes nach einem Leben,
das diesen Namen verdient,
die Sehnsucht nach Sinn und Erfüllung.
Durch die Chaoswasser des Schilfmeeres
und in einer vierzigjährigen Wüstenwanderung führt Gott dann
Sein Volk in das verheißene Land, in dem „Mich und Honig fließen".

Der Lesung heute liegt wieder ein anderes Szenario zugrunde,
das jedoch die gleiche Botschaft vermittelt:
Gott schafft einen neuen Anfang!
Der zweite Jesaja, ein namentlich nicht bekannter Prophet,
verkündet diese Botschaft unmittelbar vor der Heimkehr
der Verbannten aus dem babylonischen Exil.
Ihnen steht ein zweiter Auszug aus der Unfreiheit
in die von Gott geschenkte Freiheit bevor.
Ihr Weg wird sie auch diesmal durch die Wüste führen -
im wörtlichen und im übertragenen Sinn.
Und auch die Heimat - die Stadt ihres Gottes, Jerusalem
werden sie verwüstet vorfinden.

Aber - wie beim ersten Exodus -
ist wiederum Gott selbst mit Ihnen unterwegs.
Der Prophet ruft das Volk auf, Ihm, dem Herrn,
den Weg durch die Wüste zu bereiten -
sehr wohl wissend, daß es letztlich der Herr ist,
der den Weg in eine neue Zukunft bereitet.

Es liegt nahe, einen herrlichen Text des ersten Jesaja
auf diese Situation zu beziehen:
„Die Wüste und das trockene Land sollen sich freuen,
die Steppe soll jubeln und blühen.
Sie soll prächtig blühen wie eine Lilie,
jubeln soll sie, jubeln und jauchzen.
Die Herrlichkeit des Libanon wird ihr geschenkt,
die Pracht des Karmel und der Ebene Scharon.
Man wird die Herrlichkeit des Herrn sehen,
die Pracht unseres Gottes.
Macht die erschlafften Hände wieder stark
und die wankenden Knie wieder fest!" (Jes. 35, 1 - 3)

Immer wieder in seiner Geschichte
hat Israel die Treue Gottes erfahren.
Immer wieder hat dieses Volk Gottes konkret erlebt:
Gott führt nicht nur im Elend des geschichtlichen Niedergangs
eine heilsame Wende herbei.
Er schafft vor allem in der Wüste der eigenen Gottesferne
immer wieder einen neuen Anfang.

Aus dieser Erfahrung der Treue Gottes
und aus der Verheißung Gottes selbst ist der Glaube gewachsen:
Gott wird - wenn Seine Stunde gekommen ist -
alle Wüstenerfahrungen menschlichen Lebens verwandeln
und endgültiges und unwiderrufliches Heil schaffen.
Er wird Seinen Boten, Seinen Messias, den Gesalbten Gottes senden.
Der wird - weit über die Grenzen Israels hinaus -
alle Völker erlösen von den todbringenden Mächten dieser Welt.
Aus den inneren und äußeren Wüsten menschlichen Lebens
wird Er eine neue Schöpfung ins Werk setzen -
eine neue Erde, einen neuen Himmel.

Zur Zeit Jesu schien vielen Menschen in Israel die Zeit reif zu sein.
Kraftvoll und mit Vollmacht
tritt Johannes der Täufer in der Wüste auf.
Er tauft am Jordan - ein Sinnbild des Lebens mitten in der Wüste.
„Das Volk war voll Erwartung, und alle überlegten im stillen,
ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei." (Lk. 3, 15)
Er aber verweist auf den, der nach ihm kommen wird.
Der wird mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen.

Nur wenig später fragen die Menschen auch Jesus:
„Bist du der, der kommen soll,
oder müssen wir auf einen anderen warten?"
Und Jesus bezieht sich auf die Verheißung des Jesaja
und sieht sie erfüllt:
„Blinde sehen wieder und Lahme gehen;
Aussätzige werden rein und Taube hören;
Tote stehen auf
und den Armen wird das Evangelium verkündet." (Mt. 11, 5)

Wo Jesus ist, da sind die „Wunder der Wüste".
In der „Wüste" ist auch das Wort Jesu gesagt:
„Ich bin das Brot des Lebens,
wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern,
und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben." (Joh. 6, 35)
Und Paulus deutet dieses Jesus-Wort aus der Glaubenstradition Israels:
Unsere Väter tranken in der Wüste
„aus dem lebenspendenden Felsen, der mit ihnen zog.
Und dieser Fels war Christus!" (1. Kor. 10, 4)

Uns Heutigen sind Wüstenerfahrungen nicht fremd.
Tag für Tag sind wir konfrontiert mit den „Wüsten"
von Terror und Gewalt, von Hunger und Armut,
von wirtschaftlichen und politischen Krisen,
von Krankheit und Tod.
Mehr noch: Die „Wüste" hat uns selbst eingeholt,
sie ist in uns drin!
Damit aber sind auch wir selbst
ein möglicher Ort der Gottesbegegnung!
Diese Welt und auch uns selbst will Gott ja herausführen
aus allen lebensfeindlichen Wüsten in uns und um uns
in sein „gelobtes Land".
Er hat bereits einen neuen und unwiderruflichen Anfang gesetzt -
durch Jesus Christus, der in Tod und Auferstehung
die Sinnlosigkeit des Todes überwunden hat.
An Seinem göttlichen Leben haben wir bereits Anteil durch die Taufe.
Tag für Tag kommt Er auf uns zu!
Gott ist im Kommen - in jedem Augenblick unseres Lebens.

Das ist Advent - nicht nur in diesen Tagen vor Weihnachten!
Gott will in Jesus Christus ankommen in unserer Welt,
in unseren Herzen, in unseren „aufgescheuchten Seelen",
wo es oft so wüst und leer ist.
Advent lädt uns ein, uns für diese Ankunft zu öffnen,
unseren Durst wachsen und von Ihm stillen zu lassen.

Was sollen wir tun?, fragen damals Menschen den Johannes.
Was sollen wir tun?, so fragen auch wir.
Und die Antwort lautet wie damals:
„Bereitet dem Herrn den Weg. Ebnet Ihm die Straße!"
Schafft aus dem Weg, was hinderlich ist:
Allen Egoismus, allen Streit, alle Verlogenheit...

Und wenn Du Dir gerade im Advent immer mal wieder Zeit nimmst
für ein wenig Stille zur Besinnung,
für die ein oder andere Lesung im Evangelium;
ein wenig Zeit auch für Deine Mitmenschen,
für versöhnende oder auch tröstende Gespräche -
dann ist das alles Straßenbau in der Wüste unseres Lebens.

Wir feiern jetzt Eucharistie miteinander.
Da wird Advent für uns ganz konkrete Wirklichkeit:
Er selbst kommt rettend und heilend auf uns zu.
Lassen wir es geschehen,
und lassen wir Seine Ankunft hineinwirken in diese ganze Woche!

Amen.