Vierte Fastenpredigt zum Thema der EXPO 2000 "Mensch - Natur - Technik" 
Sowohl bei der Themenstellung der dritten Fastenpredigt, als auch bei der Themenstellung dieser vierten Predigt geht es letztendlich um das Menschenbild. Das
aber ist ausschlaggebend dafür, wie wir in Zukunft mit der Natur umgehen, und auch dafür, ob die Möglichkeiten moderner Technik der Menschheit eine lebenswerte Zukunft eröffnen. 

P.Heribert Graab S.J. 
(unter Verwendung einer Broschüre „Wie übt man Frieden?" von Jörg Zink.) 

 Dreh- und Angelpunkt der Weltausstellung in Hannover 
 wird ein Menschenbild sein, 
 das uns für das dritte Jahrtausend Richtschnur sein kann. 
 Davon wird abhängen, 
 wie wir mit der Natur umgehen. 
 Davon wird abhängen, 
 ob die Möglichkeiten moderner Technik 
 der Menschheit eine lebenswerte Zukunft eröffnen 
 oder ob sie diese Erde und alles, was auf ihr lebt, zerstört. 

 Es geht um ganz zentrale Gesichtspunkte unseres Menschenbildes, 
 wenn am vergangenen Samstag von Gottes Gerechtigkeit die Rede war, 
 und wenn unser Thema heute lautet: 
 „Gottes Shalom - Die Vision von der Zukunft Gottes". 

 Wenn wir von Frieden sprechen, 
 sind wir häufig sehr bescheiden: 
 Da reicht uns schon die Abwesenheit von Krieg 
 oder im privaten Bereich eine reichlich oberflächliche Harmonie. 
 Wie vor einigen Jahren ein Schlagertitel lautete: 
 „Ein bischen Frieden". 

 Wenn Juden oder auch Christen vom biblischen Shalom sprechen, 
 meinen sie viel mehr: 
 „Shalom" - das ist zunächst ein Gruß; 
 der bringt zum Ausdruck: 
 „Es geht dir hoffentlich gut!" 
 Dieser Gruß nimmt also Anteil am Ergehen des Anderen. 
 Er bietet darüber hinaus sogar Gastfreundschaft an: 
 So wird beispielsweise im Buch der Richter 
 ein durchreisender Fremder von einem alten Mann begrüßt: 
 „Friede sei mit dir! 
 Alles, was dir mangelt, findest du bei mir." 

 „Shalom" meint schließlich umfassendes Glück und Heil schlechthin. 
 Das findet zum Beispiel seinen Ausdruck im Psalm 85: 
 Frieden verkündet der Herr seinem Volk... 
 Sein Heil ist nahe... 
 Es begegnen einander Huld und Treue, 
 Gerechtigkeit und Friede küssen sich... 
 Der Herr spendet Segen... 
 Das Land gibt seinen Ertrag... 
 Gerechtigkeit geht vor dem Herrn einher, 
 und Heil folgt der Spur seiner Schritte. 
 Und nun wird‘s spannend: 
 Offenkundig meint die Bibel nicht, 
 ein solch umfassender Friede sei pure Utopie. 
 Dann aber lautet die Frage: 
 Wie ist ein solcher Friede möglich? 

 Ein alter Russe beobachte eines Tages 
 Kinder beim Spiel: 
 „Was spielt ihr?" Fragte er. 
 Die Antwort: „Wir spielen Krieg." 
 Darauf der Alte: „Wie kann man nur Krieg spielen! 
 Ihr wißt doch sicher, wie schlimm Krieg ist. 
 Ihr solltet lieber Frieden spielen." 
 „Das ist eine gute Idee", sagten die Kinder. 
 Dann Schweigen, Beratung, Tuscheln, wieder Schweigen. 
 Da trat ein Kind vor und fragte: 
 „Großväterchen, wie spielt man Frieden?" 

 Tja - wie „spielt" man Frieden, 
 wie schafft man Frieden, 
 wenn für fast jeden  
 Frieden doch etwas anderes bedeutet? 
 Ein Mensch aus den Slums von Rio de Janeiro 
 sucht sich z.B. seinen Lebensunterhalt zusammen 
 auf den Müllhalden. 
 Für ihn ist Frieden sicherlich etwas anderes 
 als für den, der seine Villa im Tessin 
 mit Selbstschußanlagen gegen Einbrecher sichern muß. 

 Oder betrachten wir einen deutschen Unternehmer, 
 dessen Firma kaputtgeht 
 durch Importe aus Billiglohnländern. 
 Und auf der anderen Seite einen Arbeiter, 
 der seit 20 Jahren in genau dieser Firma arbeitet 
 und nun seinen Arbeitsplatz verliert. 
 Was bedeutet Frieden für den einen 
 und was für den anderen? 

 Noch ein drittes Beispiel: 
 Da ist auf der einen Seite ein Jugendlicher, 
 der ist von klein auf im Heim aufgewachsen 
 und hin und her geschubst worden; 
 und auf der anderen Seite ein Jugendlicher, 
 dem haben die Eltern jeden Wunsch schon von den Augen abgelesen  
 und so schnell wie möglich erfüllt. 
 Es liegt auf der Hand, daß Frieden für den einen 
 etwas anderes ist als Frieden für den anderen. 

 Im politischen Bereich bedarf es kaum der Erwähnung, 
 daß Frieden nicht gleich Frieden ist: 
 Schon für die Europäische Union bedeutet Frieden etwas anderes 
 als für die Vereinigten Staaten. 
 Und erst recht meinen beispielsweise Serben und Albaner, 
 Russen und Tschetschenen, 
 Israelis und Palästinenser etwas ganz anderes 
 wenn sie von Frieden sprechen. 
 Am Frieden scheiden sich die Geister. 
 Was für den einen Frieden ist, 
 ist nicht selten für den anderen Unfrieden. 
 Was Menschen zusammenführen sollte, 
 scheint sie nicht selten gerade zu trennen. 

 Weil das so ist,  
 gehen viele Christen davon aus, 
 Gottes Shalom sei ausschließlich  
 für die Vollendung dieser Weltzeit zu erhoffen. 
 Hier bleibe uns - wie die Dinge nun mal liegen - 
 nichts anderes übrig, als mit den Wölfen zu heulen. 
 Diese scheinbar so fromme Feststellung 
 dient nicht selten als billige Entschuldigung 
 für ein unfriedliches und manchmal sogar menschenverachtendes Verhalten - 
 auch von Christen.  
 Die Geschichte ist reich an Beispielen dafür. 
 Auch heute stehlen sich Christen 
 unter dem Deckmäntelchen einer realistischen Sicht unserer Wirklichkeit 
 aus der Verantwortung für einen an Gottes Offenbarung 
 orientierten Frieden in dieser Welt. 

 Sicher ist richtig, daß Frieden  
 Gottes Geschenk ist. 
 Dieser Friede Gottes steht jedoch in dieser Welt 
 - wie das Reich Gottes, mit dem er deckungsgleich ist - 
 in der Spannung zwischen „Schon" und „noch nicht": 
 „Frieden gabst du schon, 
 Frieden muß noch werden", 
 heißt es in einem modernen Friedenslied. 
 Und für das „Werden" sind wir mitverantwortlich. 
 Sonst wäre es nicht nachvollziehbar, 
 daß Gott uns durch die Propheten  
 und vor allem durch Jesus Christus selbst 
 den Auftrag gibt, Frieden zu schaffen. 

 Da geht nun - ob wir wollen oder nicht - 
 kein Weg vorbei an der Bergpredigt Jesu. 
 Sie enthält sozusagen sein Friedensmanifest. 
 So sympathisch Jesus uns sonst auch sein mag, 
 mit seiner Bergpredigt tun wir uns schwer. 
 Christen haben unzählige Ausflüchte konstruiert, 
 um dieser Bergpredigt aus dem Wege zu gehen: 
 „Das gilt nicht wörtlich, sondern nur im übertragenen Sinne", 
 sagt man. Oder: 
 „Das gilt nicht hier auf der Erde,  
 sondern erst in der Vollendung der Neuen Schöpfung." 
 „Das gilt nicht für uns Durchschnittschristen, 
 und schon gar nicht in der Politik, 
 sondern nur für einige wenige ‚Heilige‘." 
 „Jesus hat gut reden: 
 Im friedlichen Galiläa mag ein Leben nach der Bergpredigt  
 ja möglich gewesen sein; 
 aber in unserer komplizierten und konfliktträchtigen Welt???" 

 All das sind Ausflüchte: 
 Das Umfeld Jesu war voll von Kriegen, Verfolgungen, 
 Strafmaßnahmen gegen ganze Landstriche. 
 Gewalt jeder Art gehörte zum Alltag. 
 Gewaltbereite Wiederstandskämpfer  
 gab es unter seinen Zuhörern, 
 ja sogar im engeren Kreis seiner Freunde. 
 Seine Bergpredigt war eine Kampfansage  
 an jene Nationalisten,  
 die nur an die Macht von Waffen glaubten. 
 Mit der Bergpredigt redete Jesus sich 
 möglicherweise um Kopf und Kragen. 

 Diese revolutionäre Rede hielt Jesus keineswegs 
 in einem abgeschirmten Hinterzimmer, 
 sondern in aller Öffentlichkeit. 
 Und er wandte sich nicht nur an den kleinen Kreis seiner Jünger, 
 sondern an die Menge des Volkes. 
 Und ausdrücklich wird angemerkt: 
 Die Menge war betroffen von seiner Lehre; 
 denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat. 

 Worum geht‘s? 
 Einige Kernaussagen zum aktiven Friedensdienst 
 möchte ich herausgreifen: 
 Am Anfang stehen die Seligpreisungen. 
 Und eine der ersten lautet: 
 „Selig, die keine Gewalt anwenden!" 
 Und kurz darauf: 
 „Selig, die Frieden schaffen!" 
 Und gleich anschließend: 
 „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden!" 

 Da wird also gleich zu Beginn klipp und klar gesagt: 
 Gerechtigkeit und Frieden gehören unauflöslich zusammen. 
 „Gerechtigkeit schafft Frieden", 
 heißt einer der wichtigsten Texte der Würzburger Synode. 
 Und außerdem macht Jesus schon mit seinen ersten Worten deutlich: 
 Es geht hier nicht um Gefühlsduselei 
 und Harmoniegewäsch. 
 Vielmehr hat Engagement für Frieden und Gerechtigkeit 
 seinen Preis:  
 Wer sich darauf einläßt, 
 wird mit Verfolgungen rechnen müssen. 
 Da fallen uns spontan Namen ein 
 wie Martin Luther King oder Oscar Romero. 
 Und Jesus selbst hat ja schließlich nicht nur theoretisiert, 
 sondern am Kreuz mit seinem Leben bezahlt. 

 Das Thema der Gewaltlosigkeit führt Jesus 
 im Folgenden weiter aus: 
 „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: 
 Du sollst nicht töten... 
 Ich aber sage euch: 
 Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, 
 oder zu ihm sagt: Du Dummkopf!  
 Oder: Du gottloser Narr! 
 soll dem Gericht oder gar der Hölle verfallen sein." 

 Oh je, oh je! 
 Blut hat wahrscheinlich noch niemand von uns vergossen; 
 aber mit welcher Selbstverständlichkeit konsumieren wir fast täglich 
 Szenen brutaler Gewalt im Fernsehen. 
 Und mit wieviel verletzender Gewalt 
 setzen wir selbst immer wieder unsere spitze Zunge als Waffe ein! 
 Und wie sehr triefen nicht nur die Reden unserer Politiker, 
 sondern ebenso unsere Medien 
 von verbaler Gewalt. 

 Jesus setzt dagegen: 
 „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: 
 Auge um Auge und Zahn für Zahn. 
 Ich aber sage euch: 
 Leistet dem, der euch etwas Böses antut, 
 keinen Widerstand, 
 sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, 
 dann halt ihm auch die andere hin." 
 Das bedeutet keineswegs 
 ein passives Sich-alles-gefallen-lassen! 
 Vielmehr propagiert Jesus hier eine durchaus aktive,  
 aber alternative, gewaltlose Verteidigungsstrategie. 
 Indem er demonstrativ „noch eins drauf setzt", 
 bringt er den Gegner offenkundig ins Unrecht, 
 löst in ihm „Hemmungen" aus, 
 wirklich zuzuschlagen. 

 Aus dem Tierreich kennen wir  
 solche psychologischen Mechanismen. 
 Sozusagen unter der Asche der Entwicklung 
 glimmen solch angeborene Verhaltensweisen 
 auch noch im Menschen. 
 Es gilt nur, diese glimmenden Reste 
 freizulegen und anzufachen. 
 Friedensforscher haben daran seit dem Zweiten Weltkrieg  
 nach ihren Möglichkeiten gearbeitet. 
 Aber wer bezahlt solche Forschungen schon? 
 Wir geben unser Geld lieber aus 
 für militärische Rüstungsforschung.  

 Paulus hat übrigens den verteidigungspolitischen Ansatz Jesu 
 in seinem Römerbrief weiter entfaltet: 
 „Vergeltet niemand Böses mit Bösem! 
 Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! 
 Rächt euch nicht selber, 
 sondern laßt Raum für den Zorn Gottes... 
 Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, 
 wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; 
 tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt. 
 Laß dich nicht vom Bösen besiegen, 
 sondern besiege das Böse durch das Gute!" 

 „Glühende Kohlen auf das Haupt des Feindes sammeln" - 
 genau das ist der Kern jener aktiven Verteidigungsstrategie Jesu. 

 Daß Jesus von Liebe redet, ist nichts Besonderes; 
 das verbindet ihn mit vielen anderen Weisen. 
 Er jedoch fordert in der Bergpredigt Feindesliebe!  
 Und das ist allerdings einzigartig: 
 „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: 
 Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. 
 Ich aber sage euch:  
 Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen!" 

 An diesem Punkt beeilen sich auch die meisten Christen, 
 von der Träumerei eines Schwärmers zu sprechen 
 und Jesus eine weltferne Moral vorzuwerfen. 
 Ich möchte das ein wenig entfalten, 
 was Jesus sagt, wenn er von Feindesliebe redet. 
 Er sagt damit: 
 Schau dir deinen Gegner gut an! 
 Er ist nie das Böse schlechthin. 
 Da steht dir ein Mensch gegenüber - 
 das ist das eine. 
 Und von diesem Menschen machst du dir ein Bild - 
 das ist das andere. 
 In dieses Bild vom anderen fließt sehr viel ein von dir selbst: 
 Von deiner Angst zum Beispiel, 
 die du dir nicht eingestehen willst, 
 und deren Ursache du daher beim bösen Feind suchst. 
 Oder von der Gewalttätigkeit, die in dir selbst steckt. 
 Das kannst du aber nicht zugeben. 
 Also wirfst du die Gewalttätigkeit , die in dir ist, 
 auf den Gegner 
 und heizt damit die Gewalt an, die auch in ihm ist. 
 Vielfach machen Vorurteile und Projektionen 
 aus dem anderen erst den Feind, den wir in ihm sehen. 

 Liebe deinen Feind - sagt Jesus: 
 Betrachte einmal die Situation mit seinen Augen. 
 Versuche zu verstehen, warum er so denkt, wie er denkt. 
 Versuche zu verstehen, warum er sich vielleicht vor dir fürchtet. 
 Es geht also darum, den Feind so zu lieben, 
 daß man ihn versteht, 
 und dieses Verstehen in die eigene Sicherheitspolitik einbringt. 
 Verstehen und Ernstnehmen - 
 das ist der einzige Weg, der zum Frieden führt. 

 „Liebt eure Feinde!" 
 Niemand versteht einen anderen Menschen, 
 wenn er ihm nicht ein wenig Liebe entgegenbringt. 
 Wer einen anderen Menschen haßt, 
 versteht ihn sicher nicht. 
 Es lohnt sich also, 
 dem Feind wenigstens soviel freundliche Aufmerksamkeit zu schenken, 
 daß eine Chance bleibt, ihn zu verstehen. 
 Es geht darum, 
 fremde Völker oder fremde Menschen 
 aus der Rolle des Feindes herauszulieben - 
 so etwa wie Jesus selbst gekommen ist, 
 uns aus unserer Feindschaft zu Gott herauszulieben. 

 Den Feind lieben, heißt also nicht, 
 hochfliegende Gefühle für ihn zu hegen, 
 heißt auch nicht, sich bei ihm anzubiedern, 
 heißt erst recht nicht, sich ihm zu unterwerfen. 

 Den Feind lieben, heißt vielmehr, 
 in ihm einen Menschen zu sehen, 
 der fehlerhaft, verängstigt, irrend 
 und an Vorurteile und Interessen gebunden ist, 
 wie man selbst. 

 Den Feind lieben, das heißt: 
 in den Spiegel sehen, nach innen schauen, 
 die eigene Angst, den Haß, den Egoismus 
 in sich selbst wahrnehmen 
 und auch die Neigung, 
 dem Gegner alle Schuld zuzuschieben. 
 Es heißt, nicht blind werden aus Angst oder Haß, 
 nicht in Panik geraten, nicht zynisch werden, 
 nicht in einen ideologischen Überbau flüchten. 

 Den Feind lieben, das heißt: 
 unterscheiden zwischen dem Unrecht  
 und dem Menschen, der es tut. 
 Es heißt, das Unrecht bekämpfen 
 und zugleich den gewinnen, der es tut. 

 Den Feind lieben, das heißt: 
 über die Feindschaft hinausdenken 
 und davon ausgehen, 
 daß Feindschaft nicht bleiben muß, 
 und Streit beendet werden kann. 

 Paulus interpretiert das Gesetz Christi mit dem Wort: 
 „Einer trage des anderen Last": 
 • Der eine trage die Angst des anderen 
 und versuche, bei sich selbst die Ursache zu ergründen. 
 • Der eine trage den Haß des anderen  
 und versuche, mit Güte zu antworten. 
 • Der eine trage die Torheit des anderen 
 und versuche, ihm behutsam die Augen zu öffnen. 
 • Der eine erkenne die Last, die der andere sich selbst ist, 
 und vergrößere sie nicht dadurch,  
 daß er ihm auch noch die Last seiner Verachtung auferlegt. 
 • Der eine erkenne die Schuld, die der andere auf sich geladen hat, 
 und verurteile ihn nicht, sondern helfe ihm zu einer neuen Chance. 
 • Der eine erkenne auch die Mühe,  
 die der andere mit seinem Glauben hat, 
 und verzichte auf Verketzerung oder Abwertung. 

 Die Wahrheit ist ein Licht. 
 Wahrheit stellt man auf einen Leuchter, 
 Wahrheit läßt man leuchten. 
 Die Wahrheit ist kein Knüppel. 
 Mit Wahrheit schlägt man nicht zu. 
 Wer mit der Wahrheit zuschlägt, 
 hat nicht die Wahrheit, sondern seinen eigenen Haß 
 oder auch seine eigene Unsicherheit 
 als Waffe in der Hand.  
 Das muß auch die Kirche immer wieder neu lernen.  
 Um der Wahrheit willen sind viele Kriege geführt worden, 
 und nicht wenige davon waren und sind religiös begründet. 
 Wahrheit kann nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. 
 Wahrheit ohne Liebe wird zur Lüge. 
 Die Wahrheit Jesu Christi kann nur gewaltlos bezeugt werden.  

 Wer Feindesliebe für utopisch hält, 
 darf sich nicht wundern, 
 wenn er jahrzehntelang von Abrüstung redet 
 und dabei nie etwas anderes erreicht 
 als immer weiter und weiter beschleunigte Aufrüstung. 
 Wer die Feindesliebe unpraktisch findet, 
 bedenke die praktischen Folgen des Feindeshasses! 

 Feindeshaß spielt in der Regel wenigstens in Gedanken 
 mit der primitivsten aller Problemlösungen: 
 Und die lautet: 
 Beseitigt eine bestimmte Art von Menschen, 
 dann wird alles in Ordnung sein. 
 Selbst in der Kirche war dies lange gängige Auffassung: 

 • Man muß die Gottlosen ausrotten; 
 dann wird die Welt zum Garten Gottes. 
 • Wenn es nicht so viele Kapitalisten gäbe, 
 ginge es in der Welt gerechter zu. 
 • Wenn es nicht so viele Ausländer bei uns gäbe, 
 hätte die Arbeitslosigkeit ein Ende. 
 • Wenn es keine Spekulanten gäbe, 
 wäre unsere Währung sicher. 

 Und in der Kirche von heute: 
 Wenn es nicht so viele Reformer gäbe, 
 fänden wir in der Kirche wieder jene Geborgenheit, 
 die die Kirche uns schuldet. 
 Oder auch: 
 Wenn es nicht so viele fromme Rechthaber gäbe, 
 wäre die Kirche ein Paradies der Toleranz. 

 An alle, die so oder ähnlich denken, 
 wendet Jesus sich mit der Bergpredigt. 
 Und weil hinter all dem eine gehörige Portion Angst steckt, 
 gilt ihnen auch das geflügelte biblische Wort:  
 „Fürchte dich nicht!" 
 Du brauchst dich nicht zu sichern. 
 Du brauchst das Böse nicht auf den Feind zu werfen. 
 Du brauchst weder zu rüsten, noch zu drohen. 
 Baue Barrieren ab. 
 Denke die Argumente des anderen mit. 
 Fühle dich in sein Verhalten ein. 
 Nimm seine Angst ernst. 
 Versuche, ein wenig Sympathie mit ihm zu empfinden. 
 Und - soweit möglich - arbeite mit ihm zusammen. 

 In unserer Zeit und im Kontext gerade des EXPO-Themas 
 „Mensch - Natur - Technik" 
 können wir nicht vom Frieden Gottes sprechen, 
 ohne auch den Frieden mit Gottes Schöpfung ins Auge zu fassen. 

 Jahrtausende lang ging das Bestreben des Menschen dahin, 
 sich von der Natur zu emanzipieren. 
 Er fühlte sich von der Natur bedroht 
 und versuchte, seine Selbstbestimmung durchzusetzen 
 im Gegenüber zur Natur 
 und im Kampf gegen sie. 
 Er führte sozusagen Krieg gegen die Natur, 
 um sie sich dienstbar zu machen. 
 Aus diesem Gegeneinander resultieren letztendlich 
 die ökologischen Probleme, 
 die in unseren Tagen nicht mehr zu übersehen sind. 

 Die Menschheit wird diese Probleme auf Dauer nur lösen, 
 wenn sie Frieden schafft in ihrem Verhältnis zur Natur. 
 Das setzt voraus, 
 daß wir unser Verhältnis zur Natur neu bestimmen 
 aus dem Schöpfungsverständnis des Psalms 104. 

 Der Psalm 104 versteht die gesamte Schöpfung  
 - einschließlich des Menschen - 
 als ein wunderbar geknüpftes Netzwerk, 
 das geprägt ist durch fein aufeinander abgestimmte 
 ökologische Regelkreise. 
 Wenn wir uns heute daran machen, 
 um des notwendigen Ökologischen Gleichgewichtes willen 
 Frieden zu schließen mit der Natur, 
 kommt es darauf an, die Wechselwirkungen  
 zwischen soziologischen, ökologischen und ökonomischen 
 Entwicklungsprozessen zu erkennen und zu berücksichtigen. 
 Der Mensch muß sich selbst als Teil 
 der ökologischen Netzwerke der Schöpfung begreifen. 
 Nur vom Leitgedanken der Vernetzung her 
 kann er seine Chancen humaner Selbstbestimmung entfalten. 
 Dem neuen Ansatz vernetzten Denkens 
 entspricht das Nachhaltigkeitskonzept 
 der Umweltkonferenz von Rio de Janeiro (1992). 
 Nur ein individuelles Verhalten und eine Umweltpolitik auf dieser Basis  
 verspricht jenen Frieden mit der Natur, 
 den wir zum eigenen Überleben dringend brauchen.  

 Die Rede Jesu auf dem Berg endet mit einem Gleichnis: 
 „Wer tut, was ich sage, 
 der klug wie ein Mann, 
 der sein Haus auf einem Felsen baute. 
 Als nun ein Wolkenbruch kam 
 und die Wassermassen heranfluteten, 
 als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, 
 da stürzte es nicht ein; 
 denn es war auf Fels gebaut." 

 Darin liegt, was wir einen Segen nennen: 
 Die Zusage des Friedens. 
 Du hast festen Grund. 
 Du bist gehalten. 
 Du bist geschützt. 
 Du bist geliebt. 

 Amen.