Dreh- und Angelpunkt der Weltausstellung in Hannover
wird ein Menschenbild sein,
das uns für das dritte Jahrtausend Richtschnur sein kann.
Davon wird abhängen,
wie wir mit der Natur umgehen.
Davon wird abhängen,
ob die Möglichkeiten moderner Technik
der Menschheit eine lebenswerte Zukunft eröffnen
oder ob sie diese Erde und alles, was auf ihr lebt, zerstört.
Es geht um ganz zentrale Gesichtspunkte unseres Menschenbildes,
wenn am vergangenen Samstag von Gottes Gerechtigkeit die Rede
war,
und wenn unser Thema heute lautet:
„Gottes Shalom - Die Vision von der Zukunft Gottes".
Wenn wir von Frieden sprechen,
sind wir häufig sehr bescheiden:
Da reicht uns schon die Abwesenheit von Krieg
oder im privaten Bereich eine reichlich oberflächliche Harmonie.
Wie vor einigen Jahren ein Schlagertitel lautete:
„Ein bischen Frieden".
Wenn Juden oder auch Christen vom biblischen Shalom sprechen,
meinen sie viel mehr:
„Shalom" - das ist zunächst ein Gruß;
der bringt zum Ausdruck:
„Es geht dir hoffentlich gut!"
Dieser Gruß nimmt also Anteil am Ergehen des Anderen.
Er bietet darüber hinaus sogar Gastfreundschaft an:
So wird beispielsweise im Buch der Richter
ein durchreisender Fremder von einem alten Mann begrüßt:
„Friede sei mit dir!
Alles, was dir mangelt, findest du bei mir."
„Shalom" meint schließlich umfassendes Glück und Heil
schlechthin.
Das findet zum Beispiel seinen Ausdruck im Psalm 85:
Frieden verkündet der Herr seinem Volk...
Sein Heil ist nahe...
Es begegnen einander Huld und Treue,
Gerechtigkeit und Friede küssen sich...
Der Herr spendet Segen...
Das Land gibt seinen Ertrag...
Gerechtigkeit geht vor dem Herrn einher,
und Heil folgt der Spur seiner Schritte.
Und nun wird‘s spannend:
Offenkundig meint die Bibel nicht,
ein solch umfassender Friede sei pure Utopie.
Dann aber lautet die Frage:
Wie ist ein solcher Friede möglich?
Ein alter Russe beobachte eines Tages
Kinder beim Spiel:
„Was spielt ihr?" Fragte er.
Die Antwort: „Wir spielen Krieg."
Darauf der Alte: „Wie kann man nur Krieg spielen!
Ihr wißt doch sicher, wie schlimm Krieg ist.
Ihr solltet lieber Frieden spielen."
„Das ist eine gute Idee", sagten die Kinder.
Dann Schweigen, Beratung, Tuscheln, wieder Schweigen.
Da trat ein Kind vor und fragte:
„Großväterchen, wie spielt man Frieden?"
Tja - wie „spielt" man Frieden,
wie schafft man Frieden,
wenn für fast jeden
Frieden doch etwas anderes bedeutet?
Ein Mensch aus den Slums von Rio de Janeiro
sucht sich z.B. seinen Lebensunterhalt zusammen
auf den Müllhalden.
Für ihn ist Frieden sicherlich etwas anderes
als für den, der seine Villa im Tessin
mit Selbstschußanlagen gegen Einbrecher sichern muß.
Oder betrachten wir einen deutschen Unternehmer,
dessen Firma kaputtgeht
durch Importe aus Billiglohnländern.
Und auf der anderen Seite einen Arbeiter,
der seit 20 Jahren in genau dieser Firma arbeitet
und nun seinen Arbeitsplatz verliert.
Was bedeutet Frieden für den einen
und was für den anderen?
Noch ein drittes Beispiel:
Da ist auf der einen Seite ein Jugendlicher,
der ist von klein auf im Heim aufgewachsen
und hin und her geschubst worden;
und auf der anderen Seite ein Jugendlicher,
dem haben die Eltern jeden Wunsch schon von den Augen abgelesen
und so schnell wie möglich erfüllt.
Es liegt auf der Hand, daß Frieden für den einen
etwas anderes ist als Frieden für den anderen.
Im politischen Bereich bedarf es kaum der Erwähnung,
daß Frieden nicht gleich Frieden ist:
Schon für die Europäische Union bedeutet Frieden etwas
anderes
als für die Vereinigten Staaten.
Und erst recht meinen beispielsweise Serben und Albaner,
Russen und Tschetschenen,
Israelis und Palästinenser etwas ganz anderes
wenn sie von Frieden sprechen.
Am Frieden scheiden sich die Geister.
Was für den einen Frieden ist,
ist nicht selten für den anderen Unfrieden.
Was Menschen zusammenführen sollte,
scheint sie nicht selten gerade zu trennen.
Weil das so ist,
gehen viele Christen davon aus,
Gottes Shalom sei ausschließlich
für die Vollendung dieser Weltzeit zu erhoffen.
Hier bleibe uns - wie die Dinge nun mal liegen -
nichts anderes übrig, als mit den Wölfen zu heulen.
Diese scheinbar so fromme Feststellung
dient nicht selten als billige Entschuldigung
für ein unfriedliches und manchmal sogar menschenverachtendes
Verhalten -
auch von Christen.
Die Geschichte ist reich an Beispielen dafür.
Auch heute stehlen sich Christen
unter dem Deckmäntelchen einer realistischen Sicht unserer
Wirklichkeit
aus der Verantwortung für einen an Gottes Offenbarung
orientierten Frieden in dieser Welt.
Sicher ist richtig, daß Frieden
Gottes Geschenk ist.
Dieser Friede Gottes steht jedoch in dieser Welt
- wie das Reich Gottes, mit dem er deckungsgleich ist -
in der Spannung zwischen „Schon" und „noch nicht":
„Frieden gabst du schon,
Frieden muß noch werden",
heißt es in einem modernen Friedenslied.
Und für das „Werden" sind wir mitverantwortlich.
Sonst wäre es nicht nachvollziehbar,
daß Gott uns durch die Propheten
und vor allem durch Jesus Christus selbst
den Auftrag gibt, Frieden zu schaffen.
Da geht nun - ob wir wollen oder nicht -
kein Weg vorbei an der Bergpredigt Jesu.
Sie enthält sozusagen sein Friedensmanifest.
So sympathisch Jesus uns sonst auch sein mag,
mit seiner Bergpredigt tun wir uns schwer.
Christen haben unzählige Ausflüchte konstruiert,
um dieser Bergpredigt aus dem Wege zu gehen:
„Das gilt nicht wörtlich, sondern nur im übertragenen
Sinne",
sagt man. Oder:
„Das gilt nicht hier auf der Erde,
sondern erst in der Vollendung der Neuen Schöpfung."
„Das gilt nicht für uns Durchschnittschristen,
und schon gar nicht in der Politik,
sondern nur für einige wenige ‚Heilige‘."
„Jesus hat gut reden:
Im friedlichen Galiläa mag ein Leben nach der Bergpredigt
ja möglich gewesen sein;
aber in unserer komplizierten und konfliktträchtigen Welt???"
All das sind Ausflüchte:
Das Umfeld Jesu war voll von Kriegen, Verfolgungen,
Strafmaßnahmen gegen ganze Landstriche.
Gewalt jeder Art gehörte zum Alltag.
Gewaltbereite Wiederstandskämpfer
gab es unter seinen Zuhörern,
ja sogar im engeren Kreis seiner Freunde.
Seine Bergpredigt war eine Kampfansage
an jene Nationalisten,
die nur an die Macht von Waffen glaubten.
Mit der Bergpredigt redete Jesus sich
möglicherweise um Kopf und Kragen.
Diese revolutionäre Rede hielt Jesus keineswegs
in einem abgeschirmten Hinterzimmer,
sondern in aller Öffentlichkeit.
Und er wandte sich nicht nur an den kleinen Kreis seiner Jünger,
sondern an die Menge des Volkes.
Und ausdrücklich wird angemerkt:
Die Menge war betroffen von seiner Lehre;
denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat.
Worum geht‘s?
Einige Kernaussagen zum aktiven Friedensdienst
möchte ich herausgreifen:
Am Anfang stehen die Seligpreisungen.
Und eine der ersten lautet:
„Selig, die keine Gewalt anwenden!"
Und kurz darauf:
„Selig, die Frieden schaffen!"
Und gleich anschließend:
„Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden!"
Da wird also gleich zu Beginn klipp und klar gesagt:
Gerechtigkeit und Frieden gehören unauflöslich zusammen.
„Gerechtigkeit schafft Frieden",
heißt einer der wichtigsten Texte der Würzburger Synode.
Und außerdem macht Jesus schon mit seinen ersten Worten
deutlich:
Es geht hier nicht um Gefühlsduselei
und Harmoniegewäsch.
Vielmehr hat Engagement für Frieden und Gerechtigkeit
seinen Preis:
Wer sich darauf einläßt,
wird mit Verfolgungen rechnen müssen.
Da fallen uns spontan Namen ein
wie Martin Luther King oder Oscar Romero.
Und Jesus selbst hat ja schließlich nicht nur theoretisiert,
sondern am Kreuz mit seinem Leben bezahlt.
Das Thema der Gewaltlosigkeit führt Jesus
im Folgenden weiter aus:
„Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist:
Du sollst nicht töten...
Ich aber sage euch:
Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt,
oder zu ihm sagt: Du Dummkopf!
Oder: Du gottloser Narr!
soll dem Gericht oder gar der Hölle verfallen sein."
Oh je, oh je!
Blut hat wahrscheinlich noch niemand von uns vergossen;
aber mit welcher Selbstverständlichkeit konsumieren wir
fast täglich
Szenen brutaler Gewalt im Fernsehen.
Und mit wieviel verletzender Gewalt
setzen wir selbst immer wieder unsere spitze Zunge als Waffe
ein!
Und wie sehr triefen nicht nur die Reden unserer Politiker,
sondern ebenso unsere Medien
von verbaler Gewalt.
Jesus setzt dagegen:
„Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist:
Auge um Auge und Zahn für Zahn.
Ich aber sage euch:
Leistet dem, der euch etwas Böses antut,
keinen Widerstand,
sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt,
dann halt ihm auch die andere hin."
Das bedeutet keineswegs
ein passives Sich-alles-gefallen-lassen!
Vielmehr propagiert Jesus hier eine durchaus aktive,
aber alternative, gewaltlose Verteidigungsstrategie.
Indem er demonstrativ „noch eins drauf setzt",
bringt er den Gegner offenkundig ins Unrecht,
löst in ihm „Hemmungen" aus,
wirklich zuzuschlagen.
Aus dem Tierreich kennen wir
solche psychologischen Mechanismen.
Sozusagen unter der Asche der Entwicklung
glimmen solch angeborene Verhaltensweisen
auch noch im Menschen.
Es gilt nur, diese glimmenden Reste
freizulegen und anzufachen.
Friedensforscher haben daran seit dem Zweiten Weltkrieg
nach ihren Möglichkeiten gearbeitet.
Aber wer bezahlt solche Forschungen schon?
Wir geben unser Geld lieber aus
für militärische Rüstungsforschung.
Paulus hat übrigens den verteidigungspolitischen Ansatz Jesu
in seinem Römerbrief weiter entfaltet:
„Vergeltet niemand Böses mit Bösem!
Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht!
Rächt euch nicht selber,
sondern laßt Raum für den Zorn Gottes...
Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen,
wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken;
tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt.
Laß dich nicht vom Bösen besiegen,
sondern besiege das Böse durch das Gute!"
„Glühende Kohlen auf das Haupt des Feindes sammeln" -
genau das ist der Kern jener aktiven Verteidigungsstrategie Jesu.
Daß Jesus von Liebe redet, ist nichts Besonderes;
das verbindet ihn mit vielen anderen Weisen.
Er jedoch fordert in der Bergpredigt Feindesliebe!
Und das ist allerdings einzigartig:
„Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist:
Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.
Ich aber sage euch:
Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen!"
An diesem Punkt beeilen sich auch die meisten Christen,
von der Träumerei eines Schwärmers zu sprechen
und Jesus eine weltferne Moral vorzuwerfen.
Ich möchte das ein wenig entfalten,
was Jesus sagt, wenn er von Feindesliebe redet.
Er sagt damit:
Schau dir deinen Gegner gut an!
Er ist nie das Böse schlechthin.
Da steht dir ein Mensch gegenüber -
das ist das eine.
Und von diesem Menschen machst du dir ein Bild -
das ist das andere.
In dieses Bild vom anderen fließt sehr viel ein von dir
selbst:
Von deiner Angst zum Beispiel,
die du dir nicht eingestehen willst,
und deren Ursache du daher beim bösen Feind suchst.
Oder von der Gewalttätigkeit, die in dir selbst steckt.
Das kannst du aber nicht zugeben.
Also wirfst du die Gewalttätigkeit , die in dir ist,
auf den Gegner
und heizt damit die Gewalt an, die auch in ihm ist.
Vielfach machen Vorurteile und Projektionen
aus dem anderen erst den Feind, den wir in ihm sehen.
Liebe deinen Feind - sagt Jesus:
Betrachte einmal die Situation mit seinen Augen.
Versuche zu verstehen, warum er so denkt, wie er denkt.
Versuche zu verstehen, warum er sich vielleicht vor dir fürchtet.
Es geht also darum, den Feind so zu lieben,
daß man ihn versteht,
und dieses Verstehen in die eigene Sicherheitspolitik einbringt.
Verstehen und Ernstnehmen -
das ist der einzige Weg, der zum Frieden führt.
„Liebt eure Feinde!"
Niemand versteht einen anderen Menschen,
wenn er ihm nicht ein wenig Liebe entgegenbringt.
Wer einen anderen Menschen haßt,
versteht ihn sicher nicht.
Es lohnt sich also,
dem Feind wenigstens soviel freundliche Aufmerksamkeit zu schenken,
daß eine Chance bleibt, ihn zu verstehen.
Es geht darum,
fremde Völker oder fremde Menschen
aus der Rolle des Feindes herauszulieben -
so etwa wie Jesus selbst gekommen ist,
uns aus unserer Feindschaft zu Gott herauszulieben.
Den Feind lieben, heißt also nicht,
hochfliegende Gefühle für ihn zu hegen,
heißt auch nicht, sich bei ihm anzubiedern,
heißt erst recht nicht, sich ihm zu unterwerfen.
Den Feind lieben, heißt vielmehr,
in ihm einen Menschen zu sehen,
der fehlerhaft, verängstigt, irrend
und an Vorurteile und Interessen gebunden ist,
wie man selbst.
Den Feind lieben, das heißt:
in den Spiegel sehen, nach innen schauen,
die eigene Angst, den Haß, den Egoismus
in sich selbst wahrnehmen
und auch die Neigung,
dem Gegner alle Schuld zuzuschieben.
Es heißt, nicht blind werden aus Angst oder Haß,
nicht in Panik geraten, nicht zynisch werden,
nicht in einen ideologischen Überbau flüchten.
Den Feind lieben, das heißt:
unterscheiden zwischen dem Unrecht
und dem Menschen, der es tut.
Es heißt, das Unrecht bekämpfen
und zugleich den gewinnen, der es tut.
Den Feind lieben, das heißt:
über die Feindschaft hinausdenken
und davon ausgehen,
daß Feindschaft nicht bleiben muß,
und Streit beendet werden kann.
Paulus interpretiert das Gesetz Christi mit dem Wort:
„Einer trage des anderen Last":
• Der eine trage die Angst des anderen
und versuche, bei sich selbst die Ursache zu ergründen.
• Der eine trage den Haß des anderen
und versuche, mit Güte zu antworten.
• Der eine trage die Torheit des anderen
und versuche, ihm behutsam die Augen zu öffnen.
• Der eine erkenne die Last, die der andere sich selbst ist,
und vergrößere sie nicht dadurch,
daß er ihm auch noch die Last seiner Verachtung auferlegt.
• Der eine erkenne die Schuld, die der andere auf sich geladen
hat,
und verurteile ihn nicht, sondern helfe ihm zu einer neuen Chance.
• Der eine erkenne auch die Mühe,
die der andere mit seinem Glauben hat,
und verzichte auf Verketzerung oder Abwertung.
Die Wahrheit ist ein Licht.
Wahrheit stellt man auf einen Leuchter,
Wahrheit läßt man leuchten.
Die Wahrheit ist kein Knüppel.
Mit Wahrheit schlägt man nicht zu.
Wer mit der Wahrheit zuschlägt,
hat nicht die Wahrheit, sondern seinen eigenen Haß
oder auch seine eigene Unsicherheit
als Waffe in der Hand.
Das muß auch die Kirche immer wieder neu lernen.
Um der Wahrheit willen sind viele Kriege geführt worden,
und nicht wenige davon waren und sind religiös begründet.
Wahrheit kann nicht mit Gewalt durchgesetzt werden.
Wahrheit ohne Liebe wird zur Lüge.
Die Wahrheit Jesu Christi kann nur gewaltlos bezeugt werden.
Wer Feindesliebe für utopisch hält,
darf sich nicht wundern,
wenn er jahrzehntelang von Abrüstung redet
und dabei nie etwas anderes erreicht
als immer weiter und weiter beschleunigte Aufrüstung.
Wer die Feindesliebe unpraktisch findet,
bedenke die praktischen Folgen des Feindeshasses!
Feindeshaß spielt in der Regel wenigstens in Gedanken
mit der primitivsten aller Problemlösungen:
Und die lautet:
Beseitigt eine bestimmte Art von Menschen,
dann wird alles in Ordnung sein.
Selbst in der Kirche war dies lange gängige Auffassung:
• Man muß die Gottlosen ausrotten;
dann wird die Welt zum Garten Gottes.
• Wenn es nicht so viele Kapitalisten gäbe,
ginge es in der Welt gerechter zu.
• Wenn es nicht so viele Ausländer bei uns gäbe,
hätte die Arbeitslosigkeit ein Ende.
• Wenn es keine Spekulanten gäbe,
wäre unsere Währung sicher.
Und in der Kirche von heute:
Wenn es nicht so viele Reformer gäbe,
fänden wir in der Kirche wieder jene Geborgenheit,
die die Kirche uns schuldet.
Oder auch:
Wenn es nicht so viele fromme Rechthaber gäbe,
wäre die Kirche ein Paradies der Toleranz.
An alle, die so oder ähnlich denken,
wendet Jesus sich mit der Bergpredigt.
Und weil hinter all dem eine gehörige Portion Angst steckt,
gilt ihnen auch das geflügelte biblische Wort:
„Fürchte dich nicht!"
Du brauchst dich nicht zu sichern.
Du brauchst das Böse nicht auf den Feind zu werfen.
Du brauchst weder zu rüsten, noch zu drohen.
Baue Barrieren ab.
Denke die Argumente des anderen mit.
Fühle dich in sein Verhalten ein.
Nimm seine Angst ernst.
Versuche, ein wenig Sympathie mit ihm zu empfinden.
Und - soweit möglich - arbeite mit ihm zusammen.
In unserer Zeit und im Kontext gerade des EXPO-Themas
„Mensch - Natur - Technik"
können wir nicht vom Frieden Gottes sprechen,
ohne auch den Frieden mit Gottes Schöpfung ins Auge zu fassen.
Jahrtausende lang ging das Bestreben des Menschen dahin,
sich von der Natur zu emanzipieren.
Er fühlte sich von der Natur bedroht
und versuchte, seine Selbstbestimmung durchzusetzen
im Gegenüber zur Natur
und im Kampf gegen sie.
Er führte sozusagen Krieg gegen die Natur,
um sie sich dienstbar zu machen.
Aus diesem Gegeneinander resultieren letztendlich
die ökologischen Probleme,
die in unseren Tagen nicht mehr zu übersehen sind.
Die Menschheit wird diese Probleme auf Dauer nur lösen,
wenn sie Frieden schafft in ihrem Verhältnis zur Natur.
Das setzt voraus,
daß wir unser Verhältnis zur Natur neu bestimmen
aus dem Schöpfungsverständnis des Psalms 104.
Der Psalm 104 versteht die gesamte Schöpfung
- einschließlich des Menschen -
als ein wunderbar geknüpftes Netzwerk,
das geprägt ist durch fein aufeinander abgestimmte
ökologische Regelkreise.
Wenn wir uns heute daran machen,
um des notwendigen Ökologischen Gleichgewichtes willen
Frieden zu schließen mit der Natur,
kommt es darauf an, die Wechselwirkungen
zwischen soziologischen, ökologischen und ökonomischen
Entwicklungsprozessen zu erkennen und zu berücksichtigen.
Der Mensch muß sich selbst als Teil
der ökologischen Netzwerke der Schöpfung begreifen.
Nur vom Leitgedanken der Vernetzung her
kann er seine Chancen humaner Selbstbestimmung entfalten.
Dem neuen Ansatz vernetzten Denkens
entspricht das Nachhaltigkeitskonzept
der Umweltkonferenz von Rio de Janeiro (1992).
Nur ein individuelles Verhalten und eine Umweltpolitik auf dieser
Basis
verspricht jenen Frieden mit der Natur,
den wir zum eigenen Überleben dringend brauchen.
Die Rede Jesu auf dem Berg endet mit einem Gleichnis:
„Wer tut, was ich sage,
der klug wie ein Mann,
der sein Haus auf einem Felsen baute.
Als nun ein Wolkenbruch kam
und die Wassermassen heranfluteten,
als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten,
da stürzte es nicht ein;
denn es war auf Fels gebaut."
Darin liegt, was wir einen Segen nennen:
Die Zusage des Friedens.
Du hast festen Grund.
Du bist gehalten.
Du bist geschützt.
Du bist geliebt.
Amen. |