Predigt zum 1. Fastensonntag am 12. März 2000
Es geht um "Verzichten und Genießen" und damit um eine thematische Predigt zur Fastenzeit. Allerdings gibt es durchaus Bezüge zum Sonntagsevangelium: Mk. 1,
12 - 15 (Die "Wüstenzeit" Jesu).
 Es gibt eine ganz einfache Kölner Redensart, 
 die eine ganze Lebenshaltung zum Ausdruck bringt. 
 Die heißt: Jönne könne. 
 Das meint natürlich zunächst einmal: 
 anderen etwas gönnen, 
 ihnen gegenüber großzügig sein. 
 Zugleich ist damit aber auch gemeint: 
 „Sich selvs jett jönne könne". 
 Dadrin steckt also so eine Art Grundregel der hohen Kunst, 
 das Leben zu genießen. 

 Und genau das soll das Thema einer Predigt 
 ausgerechnet am ersten Fastensonntag sein! 
 Fasten heißt doch ganz im Gegenteil nach gängigem Verständnis:  
 Verzichten! 
 Wie soll das nun zusammenpassen: 
 Verzichten und Genießen? 

 Eigentlich ist das gar nicht so schwer zu verstehen: 
 Beim Fasten als Verzicht auf Nahrung 
 kommt häufig auf einmal all das zur Geltung, 
 was wir sonst mit Essen „zuschütten". 
 Mit Kuchen und Torte schütten wir zum Beispiel zu,  
 wie herrlich ganz einfaches Brot schmeckt. 
 Mit einem Wohlstandspeiseplan an jedem Werktag 
 verschütten wir uns das Besondere eines sonntäglichen 
 oder gar festtäglichen Speiseplanes. 
 Durch die vielen exotischen Früchte 
 gerät in Vergessenheit, wie köstlich  
 ein simpler Apfel von einer heimischen Streuobstwiese 
 schmecken kann. 
 Wenn ich Erdbeeren aus Südafrika oder Israel 
 zu allen Jahreszeiten kaufen und essen kann, 
 verderbe ich mir die Freude auf die schöne Erdbeerzeit.  
 Wenn ich - gehetzt, wie ich bin, 
 oder aus bloßen Bequemlichkeitsgründen 
 mehr und mehr auf der Fastfood-Welle schwimme, 
 geht mir der Sinn für eine wirkliche Mahl-Zeit verloren, 
 für eine Mahlzeit, bei der auch das Auge mitißt, 
 und bei der das Miteinander und das Gespräch 
 eine wichtige Rolle spielen. 

 Ganz zu schweigen von der Tatsache, 
 daß nicht wenige Menschen ihre alltäglichen Sorgen und Probleme 
 nicht nur mit Alkohol, sondern auch mit Essen 
 einfach zuschütten. 
 Wenn jemand durch „Fasten" darauf verzichtet, 
 kommen diese Probleme hoch. 
 Das mag für den Augenblick nicht angenehm sein, 
 aber es ist die Voraussetzung dafür, 
 diese Probleme bei den Hörnern zu packen 
 und schließlich sich über deren Lösung zu freuen. 

 Ein ganz hochaktuelles Beispiel ganz anderer Art 
 präsentiert uns das heutige Evangelium: 
 Jesus „verzichtet" auf den ganz normalen Alltagstrott, 
 er verzichtet auch darauf, 
 sich voller Elan und Hals über Kopf in seine neue Sendung zu stürzen; 
 er nimmt sich zunächst einmal eine „Auszeit", 
 läßt sich vom Geist Gottes in die Wüste „treiben", 
 nimmt sich 40 Tage Zeit für die Einsamkeit, 
 um - wie man heute so gern sagt - „sich selbst zu finden", 
 um sich seiner selbst und seiner Sendung sicher zu werden, 
 um sensibel zu werden für das, 
 was Gott mit ihm vorhat. 
 Wir würden sagen: 
 Hat der sonst nicht zu tun? 
 Ich habe für so was keine Zeit! 
 Ich bin unentbehrlich bei all meinen Verpflichtungen. 
 Und weil wir auf dieses „Unentbehrlich-Sein" nicht verzichten können, 
 weil wir uns von einem übervollen Terminkalender hetzen lassen 
 und uns in unserem Gestreßtsein sogar sonnen, 
 riskieren wir Streßkrankheiten bis hin zum Herzinfarkt. 
 Verzicht auf den Streß dagegen  
 würde uns ganz neue Lebensqualitäten erschließen, 
 würde uns erlauben, mal wieder ein gutes Buch zu genießen, 
 und wirklich zu uns selbst  
 und dann auch wieder zu den anderen 
 und nicht zuletzt zu Gott zu finden. 

 Im Schriftenstand unserer Kirche 
 finden Sie etliche Anregungen für Ihre persönlichen „Wüstentage" - 
 das müssen ja nicht gleich vierzig sein. 
 Sie finden solche Anregungen unter ganz verschiedenen Namen: 
 Exerzitien, Besinnungstage, Meditationszeiten, Tage im Kloster 
 oder auch Kurskorrektur. 

 Eine lohnenswerte Übung 
 in diesen Wochen der Fastenzeit ist es auch, 
 einmal darauf zu verzichten, 
 immer nur das Schlechte zu sehen: 
 das Schlechte an den Mitmenschen, 
 das Schlechte in den Medien,  
 die davon voll sind und damit ihre Schlagzeilen bestreiten, 
 das Schlechte auch am eigenen Lebensschicksal. 
 Über das Schlechte im Leben stolpern wir regelrecht, 
 während wir für das Gute häufig erst unsere Augen eigens schulen müssen. 
 Wilhelm Willms nennt das: 
 Mit guten Augen sehen lernen. 
 Wenn uns das gelingen würde in diesen Wochen - 
 ich bin sicher, wir würden uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen, 
 das Leben und auch unsere Mitmenschen zu „genießen". 
   

 Der Umweltbeauftragte des Bistums Osnabrück 
 hat übrigens ein Faltblatt herausgegeben 
 - das finden Sie auch in unserem Schriftenstand - 
 das trägt den Titel: 
 „Die Kunst zu genießen: 
 ein ökologisches Fastenprogramm". 
 In diesem Faltblatt finden Sie weitere Anregungen, 
 Verzicht zu üben unter ökologischer Rücksicht, 
 auch unter der Rücksicht auf einen fairen Handel 
 und zum Beispiel auf artgerechte Tierhaltung. 
 Auch ein solches Fastenprogramm 
 führt letztlich dazu, 
 ganz neue Lebensmöglichkeiten zu entdecken 
 und zu genießen. 

 Schließen möchte ich mit der bedenkenswerten Erfahrung: 
 Wer nicht wirklich genießen kann, wird selbst ungenießbar. 
 Und das liegt eigentlich auf der Hand, 
 wenn wir uns das Liebesgebot Jesu ein wenig genauer ansehen: 
 Jesus macht uns klar, 
 daß Liebe drei Aspekte hat. 
 Und die lassen sich nicht voneinander trennen, 
 ohne daß sich gleich alle in Nichts auflösen: 
 „Du sollst Gott lieben" - nennt er zuerst. 
 Der zweite Aspekt ist dem ersten gleich (= identisch!): 
 „Du sollst deinen Nächsten lieben". 
 Und nun kommt, was unter Christen oft vergessen wird: 
 „Wie dich selbst!" 
 Anders ausgedrückt: 
 Wer nicht wirklich genießen kann, wird ungenießbar. 

 Amen.