Predigt am 7. Sonntag in der Osterzeit 
am 4. Juni 2000 
zum Evangelium (Joh. 17, 11-19) und zu einer Lesung aus dem Kolosserbrief (3, 1-14):
"In" der Welt, aber nicht "von" der Welt
Autor: P.Heribert Graab S.J.
„Die Welt ist schlecht!" 
sagen wir oft.
Nicht selten kommt auch mir dieser Stoßseufzer über die Lippen.
Aus dem Tonfall ist zu entnehmen,
daß dieser Spruch eher scherzhaft gemeint ist - und dennoch:
Theologisch ist er durchaus begründet,
und zwar vor allem im Johannesevangelium.

Bei Johannes findet sich ein scharfer Kontrast:

Auf der einen Seite sieht Johannes die, die zu Jesus gehören:
Die der Vater ihm gegeben hat.
Die an Jesus und an Seine Offenbarung glauben
und die Sein Wort bewahren.
Die also in der Gemeinschaft mit Jesus bleiben.
Das sind zugleich diejenigen,
für die Jesus beim Vater Fürbitte einlegt,
und denen er den Beistand, den Tröster sendet.

Auf der anderen Seite steht bei Johannes die „Welt":
Für ihn die im Unglauben verschlossene Welt.
Die „Welt", die die Jünger Jesu mit Haß überschüttet.
Die „Welt", die unter der Macht des Bösen steht
und gekennzeichnet ist durch Unglauben, Lüge und Haß.

In der Lesung (Kol. 3, 1 - 14) beschreibt Paulus ähnlich
den Kontrast zwischen dem „alten Menschen",
der beherrscht wird von Zorn, Wut, Bosheit und Lüge,
und dem „neuen Menschen", der Christus „angezogen" hat
und darum „bekleidet" ist mit aufrichtigem Erbarmen,
mit Güte, Demut, Milde und Geduld.

Bei Johannes ist dieser Kontrast so scharf,
so massiv und hart,
daß Jesus ausdrücklich für diese Welt nicht einmal betet.
Zu verstehen ist diese Härte
auf dem Hintergrund der johanneischen Gemeinde und ihrer Situation:
Die versteht sich selbst als Gruppe von Jesus-Freunden
und erfährt gerade aus diesem Grunde um sich herum
eine Gesellschaft, die ihr bis auf den Tod feindselig gegenüber steht.

Natürlich relativiert sich auf diesem Hintergrund
die Schärfe der Aussage.
Uns ist es heute sicherlich nicht mehr so ohne Weiteres möglich,
zwischen der „ungläubigen Welt" 
und der Jüngergemeinde Jesu, der Kirche, 
einen so scharfen Trennungsstrich zu ziehen.

Auf der anderen Seite jedoch sollten wir uns die Frage stellen,
ob wir uns als Christen nicht zu sehr mit dieser Welt
und auch mit ihrem praktischen Unglauben identifizieren.
Wir sollten uns fragen,
inwieweit wir als Einzelne und vielleicht auch als Kirche
uns haben infizieren lassen von den Werten und Maßstäben dieser Welt.

So sehr der Kontrast bei Johannes überzeichnet sein mag,
so sehr haben wir heute manche Grenzen verwischt.
Zwei Gründe haben sicherlich zu diesen Unschärfen beigetragen:
Einmal der Irrglaube, 
das sogenannte „christliche Abendland" 
sei mehr oder weniger deckungsgleich
mit der neuen Welt Jesu Christi,
ja sogar mit dem „Reich Gottes".
Zum anderen auch ein mißverstandener Toleranzbegriff,
der nicht nur den ungläubigen Menschen als Menschen achtet,
sondern für den darüber hinaus alles,
und eben auch Glauben und Unglauben, 
gleich gültig, und damit letztendlich auch gleichgültig, 
also egal ist.

Demgegenüber lohnt sich dann doch wieder ein Blick auf das Johannesevangelium:
Es sagt: Wir leben als Christen sehr wohl in der Welt.
Und obwohl wir als Christen nicht von der Welt sind, 
tragen wir doch Verantwortung für diese Welt.
Jesus betet zum Vater:
„Wie Du mich in die Welt gesandt hast,
so habe auch ich sie in die Welt gesandt."
„Die Welt soll glauben, daß Du mich gesandt hast."
Sie soll zum Glauben kommen
durch die überzeugende und sogar mitreißende Art und Weise,
mit der wir als Christen in dieser Welt leben.
So gesehen, gibt es auch im Johannesevangelium
eine durchaus hoffnungsvolle Perspektive 
für die gottferne Welt.

Ein bedeutender Exeget unserer Tage, Gerhard Lohfink,
hat unsere gmeinsame Verantwortung als Christen für diese Welt so umschrieben:
Als christliche Gemeinde und Kirche sollen und können wir in der Nachfolge Jesu
eine Art „Kontrastgesellschaft" sein - mitten in der Welt,
damit die Welt am Leben christlicher Gemeinden
Maß nehmen und so ihre eigenen Maßstäbe korrigieren kann.

Amen.