Predigt zum Aschermittwoch am 28. Februar 2001
Texte: Joel 2, 12-18; 2.Kor. 5,20-6,2; Mt. 6,1-16.16-18. 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Gerade haben wir im Evangelium die Mahnung Jesu gehört:
Geht mit eurer Frömmigkeit nicht auf den Straßen hausieren;
betet und fastet im Verborgenen;
meidet die Öffentlichkeit!

Die Kirche aber schickt uns heute 
hinaus auf die Straße und in die Öffentlichkeit
mit einem sichtbaren Zeichen 
unseres Glaubens auf der Stirn:
mit dem Zeichen des Aschenkreuzes.

Dennoch ist da kein Widerspruch
zwischen dem Evangelium und der kirchlichen Praxis:
Zur Zeit Jesu trugen Menschen ihre Frömmigkeit zur Schau,
um von den Leuten gesehen zu werden
und um in deren Achtung zu emporzusteigen.
Von solchen Menschen sagt Jesus:
Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.

Heute jedoch ist die Situation genau umgekehrt:
Religion ist zur Privatsache geworden;
sie ist aus der Öffentlichkeit weitgehend verdrängt.
Wer sich öffentlich, z.B. im beruflichen Umfeld,
als gläubiger Christ, gar als katholischer Christ bekennt,
stößt vielfach auf Unverständnis oder gar auf Spott.
Wer sich zum Glauben bekennt,
steigt nicht im öffentlichen Ansehen,
sondern fällt eher ab.
Dementsprechend haben viele Christen
sogar Angst, sich zu „outen".
Heute geht es also - anders als damals - darum,
die Sprachlosigkeit des Glaubens zu überwinden -
und zwar ohne Rücksicht darauf,
„was die Leute sagen".

Was aber bringt das „sprechende" Symbol der Asche zum Ausdruck? 

Wer jemals erlebt hat,
wie vor seinen Augen Liebgewordenes restlos verbrannt ist,
wer davon nichts übrig behielt als ein Häufchen Asche,
der hat erfahren:
Nichts bringt so sehr die Vergänglichkeit alles Irdischen
und auch unsere eigene Vergänglichkeit zum Ausdruck
wie dieses Häufchen Asche.
Jedesmal kommt mir selbst diese Vergänglichkeit
auch meines eigenen Lebens zu Bewußtsein,
wenn ich die sterblichen Überreste eines Menschen
- zusammengeschrumpft auf den Inhalt einer kleinen Urne -
auf dem Friedhof bestatte.

„Gedenke, Mensch, daß du Staub bist
und zum Staub zurückkehrst",
lauten die deutenden Worte bei der Austeilung des Aschenkreuzes.
Eine erschreckende Mahnung???
Unser Leben zerrinnt uns zwischen den Fingern.
Am Ende bleibt nichts als ein wenig Staub, als ein wenig Asche.
Verdammt zum Tod,
gegen den wir uns mit allen Kräften wehren,
den wir - angesichts der Aussichtslosigkeit unseres Kampfes - verdrängen.

Und doch ist das Aschenkreuz kein Fluch!
In der Form des Kreuzes auf die Stirn gezeichnet
wird es für uns zum Segen.
Im Tod am Kreuz hat Christus
dem Tod seinen Schrecken genommen,
in der Auferstehung des Ostermorgens 
hat er kundgetan, wohin wir gehören,
für welches wirkliche Leben wir geschaffen sind.

Das Aschenkreuz erinnert uns gewiß an unsere Sterblichkeit,
es weist uns darüber hinaus darauf hin, 
wie zerbrechlich wir alle sind und wie verwundbar.
Das macht auch unsere Kostbarkeit aus.
Gerade deshalb sollten wir einander schützen und aufrichten.
Gerade deshalb sollten wir verständnisvoll und gütig
miteinander umgehen,
anstatt uns einer über den anderen zu erheben.
Wir sind schließlich alle aus dem gleichen Staub gemacht.
Zugleich aber hat der Schöpfer uns allen
den gleichen Lebensatem eingehaucht:
Leben von seinem Leben,
das uns unendlich wertvoll macht.

So erinnert uns das Aschenkreuz auch daran,
welchem Wahn wir erliegen,
wenn wir meinen, höher zu stehen,
wenn wir glauben, auf andere herabsehen zu können,
erst recht, wenn wir Macht ausüben über andere.

In der alten Liturgie der Papstkrönung,
die es seit Paul VI. ja nicht mehr gibt,
wurde dem neuen Papst eine Schüssel 
mit brennendem Werg vorangetragen.
Der Diakon rief dazu aus:
„So vergeht der Ruhm der Welt!"
Die Papstkrönung war sicherlich nicht mehr zeitgemäß.
Diese konkrete liturgische Zeichenhandlung jedoch
wäre heute so aktuell wie früher -
in Kirche, Politik und globalisierter Wirtschaft gleichermaßen.

Noch eine weitere Deutung des Symbols der Asche
soll nicht unter den Tisch fallen:
In etlichen alten Kulturen - auch Europas -
bestreuten und bestreuen sich Menschen mit Asche,
um ihre Trauer und insbesondere die Trauer über eigenes Versagen, 
über eigene Schuld zum Ausdruck zu bringen.
„In Sack und Asche Buße tun" -
diese Redewendung hat sich bis heute in unserer Sprache erhalten.
In diesem Sinne gibt es ein alternatives Deutewort 
zur Austeilung des Aschenkreuzes:
„Bekehre dich und glaube an das Evangelium!"

So gesehen enthält die Entscheidung,
das Aschenkreuz zu empfangen, 
eine Art Selbstverpflichtung 
für die kommenden Wochen der Fastenzeit:
- Die Selbstverpflichtung, das eigene Leben,
die eigene Beziehung zu mir selbst, 
zu den Mitmenschen und zu Gott zu überdenken
und neu auszurichten;
- die Nichtigkeit des rein Materiellen zu akzeptieren
und das kostbare Leben von Gott in mir zu pflegen;
- die Zerbrechlichkeit gerade der „Kleinen und Armen" 
im Sinne Jesu zu respektieren 
und gerade ihre Lebensmöglichkeiten zu hegen und zu pflegen;
- und schließlich mich abzuwenden 
von jener Machtausübung und Rücksichtslosigkeit,
mit der ich mich so gerne in den Vordergrund spiele,
und die mir immer wieder zur Versuchung wird,
wie sie selbst Jesus zur Versuchung wurde,
während der vierzig Tage in der Wüste.

Amen.