Predigt zum Karfreitag 2001
P.Heribert Graab S.J.
Dieser Karfreitag ist ein Fasttag
und sollte es doch eigentlich nicht sein!
Warum?

„Fasten" ist in allen Religionen 
Ausdruck einer Art Weltverachtung.
Dahinter steckt die Erfahrung,
daß letztlich die gesamte irdische Welt außerstande ist,
den Menschen zu befriedigen und glücklich zu machen.
In seinem tiefsten Inneren ahnt der Mensch,
daß er von seinem eigenen Wesen her 
diese Welt transzendiert,
daß er „auf Gott hin" erschaffen ist:
„Unruhig ist unser Herz,
bis es ruht in Dir" - sagt Augustinus.
Die Einheit von innerweltlicher Existenz 
und Eingebundensein in eine ewige, eine göttliche Wirklichkeit
ist offenkundig zerbrochen.
Das erfüllt Menschen mit Schmerz
und animiert sie dazu,
sich durch Fasten vom Verfallensein an das irdische zu lösen,
um so frei zu werden für das Göttliche,
das in ihnen steckt.

Jesus selbst und seine Jünger haben nicht gefastet
und haben dadurch bei den Frommen ihrer Zeit Anstoß erregt.
„Warum fasten deine Jünger nicht?"
Wird Jesus von den Pharisäern gefragt.
Seine Antwort:
„Können denn die Hochzeitsgäste fasten,
solange der Bräutigam bei ihnen ist?"
Das Bild von der Hochzeit und vom Hochzeitsmahl
ist für Jesus Ausdruck dafür,
daß die messianische Zeit angebrochen ist,
daß eine neue Wirklichkeit begonnen hat,
in der durch Gott selbst die zerbrochene Einheit
zwischen Diesseits und Jenseits
wieder hergestellt wird,
in der die innere Zerrissenheit des Menschen
aufgehoben wird,
in der der Mensch wieder zu sich selbst kommt,
weil Gott und Mensch wie Liebende miteinander verbunden sind.
In dieser neuen Wirklichkeit 
ist Gott nicht „jenseits" unserer Welt,
sondern gerade hier in dieser Welt uns nahe.

Jesus versteht sich selbst als den „Bräutigam",
d.h. als den Messias, durch den Gott 
diese innere Einheit des Menschen mit sich selbst,
seine ganzheitliche Identität neu schafft.
Angesichts dieser angebrochenen neuen Wirklichkeit
ist „Fasten" sinnlos.
Wir müssen uns nicht diese Welt verbieten,
um Gott nahe zu sein.

Nun fügt Jesus allerdings in seiner Antwort an die Pharisäer hinzu:
„Es werden aber Tage kommen,
da wird ihnen der Bräutigam genommen sein;
an jenem Tag werden sie - die Jünger Jesu - fasten."
In dieser Einschränkung steckt bereits die frühe Vorahnung des Karfreitags.
So sehr auch die Sehnsucht nach der eigenen Identität
in der Gemeinschaft mit Gott im Menschen angelegt ist,
so sehr ist er doch auch noch geprägt
vom dunklen Geheimnis der Auflehnung gegen Gott
und damit gegen sein innerstes Wesen als „Abbild Gottes".
Dieses Geheimnis der Auflehnung, das „mysterium iniquitatis",
führt schließlich dazu, 
daß den Jüngern der „Bräutigam" mit brutaler Gewalt genommen wird.

Nun werden sie gewiß fasten.
Aber dies ist nicht ein weltverneinendes Fasten,
sondern ein Fasten der Trauer.
Denn das Geschehen des Karfreitags
ist allerdings das Bitterste und Erschütterndste:
Daß die Erlösung von aller Selbstentfremdung und Angst
schon mitten unter uns Wirklichkeit geworden ist, 
und daß sich dennoch diese Angst immer noch und immer wieder
als stärker erweist,
weil die „Welt" - konkret die Menschen -
„die Finsternis mehr lieben als das Licht".

Fasten, das aus dieser Trauer resultiert,
kann nicht bedeuten, durch „Buße" irgend etwas ändern zu wollen,
Fasten in diesem Sinne heißt vielmehr,
sich selbst allem Entsetzlichen zum Trotz
ganz und gar in Gottes offene Hände zu geben -
ganz so, wie Jesus selber sterbend sprach:
„In Deine Hände, Herr, empfehle ich meinen Geist".

Wir werden heute in unserer Karfreitagsliturgie 
entsprechend einer alten kirchlichen Tradition
keine Kommunionfeier halten.
Dieses „eucharistische Fasten" ist für gläubige Christen
wohl die einschneidendste Form des Fastens
und ein ganz intensiver Ausdruck 
der Trauer darüber, daß immer wieder der Versuch unternommen wird,
uns den „Bräutigam" zu nehmen.
Das Leiden und Sterben Jesu ist noch nicht an ein Ende gekommen:
Es setzt sich fort im Leiden und Sterben unzähliger Menschen,
die auch heute in unzähligen Regionen dieser Erde
gefoltert und grausam zu Tode gebracht werden.
 

Die Trauer darüber müssen wir aus uns herauslassen.
Wir tun das durch unser Karfreitagsfasten,
durch die Enthaltung von Nahrung und Vergnügen,
durch ein „Fasten" auch unserer Augen
- liturgisch im kargen Erscheinungsbild unserer Kirche heute -
durch ein Fasten unserer Ohren
- im verzicht auf Orgel und Glockenklang -
und nicht zuletzt durch ein „eucharistisches Fasten".

Zugleich aber lassen wir auch am Karfreitag
nicht unsere österliche Hoffnung in Frage stellen:
Denn dies ist im Glauben gewiß:
Der „Bräutigam" lebt!
Er hat die Bosheit und damit alle Zerrissenheit 
dieser Welt und unseres Lebens überwunden.
Aus diesem Glauben scheint auch heute
in der Liturgie des Karfreitags
immer wieder österliche Freude durch.

Amen.