| Schafe gelten bei uns nicht gerade als intelligent. „Du dummes Schaf!" Sagen wir.
 Und das ist ja nun wirklich alles andere als ein Kompliment.
 Die Kirche hat in der Vergangenheit
das Bild vom Hirten und von den Schafen
 wie selbstverständlich und sehr unkritisch
 auf ihre Amtsträger und auf die große Zahl der Gläubigen
übertragen.
 Und nicht selten entstand der Eindruck,
 in dieser Kirche würden die „Schafe" für dumm verkauft.
 Jesus aber sagt von seinen „Schafen" ausdrücklich:
„Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich,
 wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne."
 Nun wird man ja wohl sagen müssen:
 Es gibt keine intelligentere, keine klügere
 und keine ganzheitlichere Art und Weise der Erkenntnis
 als die Erkenntnis Gottes.
 Und an dieser göttlichen Erkenntnis
 haben nach dem Urteil Jesu
 ausgerechnet die sogenannten „dummen" Schafe
 durch das Wirken des Heiligen Geistes Anteil.
 Mal ganz davon abgesehen,
daß in der Erfahrungswelt Jesu
 Schafe einen ganz anderen Stellenwert hatten als heute
 und eine ganz andere Wertschätzung erfuhren,
 wußte Jesus sehr wohl auch,
 daß man ein Gleichnis - einen Vergleich also -
 nicht überstrapazieren darf.
 Er überträgt zwar einzelnen aus dem engsten Kreis seiner Jünger
Leitungsfunktionen, läßt sie also teilhaben an seinem „Hirtenamt";
 zugleich aber nimmt er alle, die ihm nachfolgen,
 in die Mitverantwortung dafür,
 daß seine Sendung weitergeht,
 daß die frohe Botschaft vom Reich Gottes weitergetragen wird,
 daß Kranke geheilt werden
 und vor allem die Armen diese frohe Botschaft erfahren.
 Mit dieser allgemeinen Sendung
 - später spricht man sogar vom „allgemeinen Priestertum" -
 ist offenkundig das „Hirtengleichnis" gesprengt.
 In den frühen Gemeinden gibt es eine Fülle von Aufgaben und
Diensten.
Paulus (1.Kor.12) zählt eine Menge davon auf:
 Verkündigung, Lehre, auch konstruktive Kritik (Propheten!);
 caritative Dienste für die Kranken, Alten und Gebrechlichen;
 selbst charismatische Dienste mystischer Glaubensvertiefung.
 Später sind noch andere Dienste dazu gekommen,
 von denen einige sich auch wieder überlebt haben:
 Vielfalt einer lebendigen Kirche.
 Daß sich zeitweise fast alles auf den Dienst des Priesters reduzierte,
ist dagegen nicht unbedingt Zeichen einer lebendigen Kirche.
 So gesehen ist der augenblickliche Mangel an Priestern
 vielleicht nicht nur negativ zu sehen.
 In der Lesung aus der Apostelgeschichte
 haben wir heute davon gehört,
 wie die Apostel und Gemeindegründer Paulus und Barnabas
 aus Antiochien in Pisidien vertrieben wurden.
 Selbstverständlich übernahmen andere
 - wir würden sagen: Ehrenamtliche -
 die Leitung der Gemeinde.
 Wahrscheinlich wurde denen sogar durch „Handauflegung"
 - wir würden sagen: durch die Priesterweihe -
 diese Aufgabe übertragen.
 Vielleicht wäre das ja auch ein Modell für heute:
 Warum muß ein Gemeindeleiter immer hauptamtlich sein?
 Warum muß er immer ein akademisches Theologiestudium haben?
 Warum muß er immer männlich sein?
 Warum muß der Zölibat absolute Regel ohne Ausnahme sein?
 Mit ehrenamtlichen, verheirateten Diakonen jedenfalls
 haben wir in jüngster Zeit durchaus positive Erfahrungen gemacht.
 Für die Gemeinde in Antiaochia war das alles kein Problem:
Es wird ausdrücklich gesagt,
 daß die voll Freude war und erfüllt vom Heiligen Geist.
 Das Wort des Herrn verbreitete sich dennoch in der ganzen Gegend.
 Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade -
 damals wie heute!
 Sicher wäre es schön, wenn wir wieder mehr Priester hätten;
aber die augenblickliche Situation hat durchaus auch positive Seiten:
 Sie führt dazu,
 daß in der Kirche und auch in unserer Gemeinde
 wieder neue Dienste entstehen - hauptamtlich, wie ehrenamtlich.
 Wir haben noch nie so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
 bei der Gestaltung unserer Gottesdienste gehabt.
 Wir finden Gott-sei-Dank für die Glaubensverkündigung
 immer wieder viele Katechetinnen und Katecheten.
 Auch die eigentlichen Leitungsaufgaben
 sind längst nicht mehr auf den Pfarrer beschränkt.
 In unseren caritativen Aufgaben engagieren sich
 wahrscheinlich mehr Menschen als zu früheren Zeiten.
 Die gesellschaftliche Entwicklung allerdings bringt es mit sich,
 daß es gerade hier auch noch sehr viel Bedarf gibt.
 Krankenbesuche, Seniorenarbeit, Mittagstisch -
 in all diesen Bereichen gibt es große weiße Flecken auf
der Landkarte von St.Michael.
 Da gibt es auch für Sie noch viele Möglichkeiten,
 Dienste wahrzunehmen und Verantwortung zu übernehmen.
 Für die Jugendarbeit suchen wir seit Jahren händeringend
nach verantwortlich engagierten Leiterinnen und Leitern.
 Und wenn wir nach den Sommerferien auch in St.Michael
 auf längere Sicht wieder ohne Kaplan auskommen müssen,
 kommen noch andere Aufgaben hinzu,
 die entweder nicht getan werden,
 oder für die sich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden.
 Die Erwartungen an Kirche - auch in der Öffentlichkeit -
haben ja in den letzten Jahrzehnten keineswegs abgenommen.
 Ganz im Gegenteil:
 Die Kirchen sollen Werte vermitteln,
 sollen Antworten geben auf die Sinnfrage und auf religiöse Bedürfnisse;
 die Kirchen sollen und müssen wohl auch einen wesentlichen Beitrag
dazu leisten,
 daß diese Gesellschaft ein wenig menschlich bleibt
 oder besser: wieder menschlicher wird.
 Und vor allem:
 Die Kirchen haben gerade heute in einer neuheidnischen Umwelt
 den Auftrag Jesu Christi, das Reich Gottes zu verkünden
 und Gottes Heilswirken für die Menschen erfahrbar zu machen.
 Diesem Auftrag und diesen Erwartungen kann nur die ganze Kirche gerecht
werden,
das heißt also: die ganze „Schafsherde".
 Von wegen „dumme Schafe"!
 Da ist Klugheit, Phantasie, Kreativität und Mitverantwortung gefragt.
 Wir alle können, sollen und müssen füreinander
 und zusätzlich für die vielen, die „nicht zu unserem Stall
gehören",
 „gute Hirten" sein.
 Das ist heute die Botschaft des Sonntags „vom guten Hirten".
 In diesem Sinne können wir auch nie genug beten.
 Amen. |