Predigt zum 7. Sonntag in der Osterzeit:
Abschluß der "Woche für das Leben" am 27.Mai 2001
Thema derWoche: "Menschen würdig pflegen". 
Lesung: Jak. 5, 13 - 18; Evangelium: Joh. 5, 1 - 9. 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
In diesen österlichen Tagen
geht es in Liturgie und Verkündigung
immer wieder um das Leben,
das uns durch Tod und Auferstehung Jesu geschenkt ist.
In allen Liedern und immer wieder erklingt
der Jubelruf des Halleluja,
der etwas zum Ausdruck bringt
von dieser österlichen Lebensfreude.

Gerade in diese österliche Zeit
fällt seit einigen Jahren die „Woche des Lebens".
Und die erinnert uns daran,
daß unsere österliche Freude über den Sieg des Lebens
unter einem eschatologische (endzeitlichen) Vorbehalt steht.
Diese Freude ist eingespannt zwischen 
das eschatologische „schon" und „noch nicht".
Das heißt:
Es besteht kein Zweifel: Der Tod ist seit Ostern „schon" besiegt!
Zugleich aber gilt: Dieser österliche Sieg über den Tod
ist in unserem irdischen Leben „noch nicht" 
in all seinen Konsequenzen und in seiner ganzen Fülle erfahrbar.

Martin Heidegger spricht gar von unserem Leben
als einem „Sein zum Tode".
Und fürwahr werden wir ja Tag für Tag
auf Symptome dieses „Seins zum Tode" gestoßen:
• Kinder werden geboren, die von klein auf behindert sind;
• junge Menschen werden zu Opfern eines Verkehrsunfalls und bleiben ein Leben lang querschnittsgelähmt;
• Menschen unserer nächsten Umgebung erleiden auf der Höhe ihres Lebens einen Herzinfarkt oder werden von einer Krebskrankheit heimgesucht;
• in den letzten Jahrzehnten ist zwar das Durchschnittsalter der Menschen bei uns enorm gestiegen, aber zugleich stieg die Wahrscheinlichkeit,
im hohen Alter auf Pflege angewiesen zu sein.

Viele von uns weichen solchen Erfahrungen nach Möglichkeit aus.
Wir möchten das Leben „auskosten"
und uns die Freude am Leben nicht nehmen lassen
durch solche Erfahrungen des „Seins zum Tode".
Auf diese Realität jedoch stößt uns gerade in der osterzeit
die „Woche für das Leben"
mit ihrem diesjährigen Thema:
„Menschen würdig pflegen".

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen,
daß Jesus niemals vom „Sinn der Krankheit" gesprochen hat?
Jesus hat vielmehr während seines ganzen öffentlichen Wirkens 
die Krankheit und das Leid 
als widergöttliche und das Leben zerstörende Mächte bekämpft.
Auf der gleichen Linie führt Paulus
Krankheit und Leid auf „Boten Satans" zurück (2.Kor.12,7).

Dementsprechend hat im Sendungsauftrag Jesu
der Auftrag, diesen Kampf gegen Krankheit und Leid fortzuführen,
den gleichen Rang wie der Verkündigungsauftrag der frohen Botschaft.
Beides gehört für ihn ganz eng zusammen:
Dem Johannes läßt er als Zeichen der angebrochenen Gottesherrschaft ausricheten:
„Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören.
Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet." 

Also kann es auch uns heute nicht darum gehen,
uns darum zu bemühen, der Krankheit oder einer Behinderung
einen Sinn abzugewinnen.
Vielmehr ist es unsere Sendung als Christen,
unsere österliche Hoffnung auf Überwindung menschlicher Begrenztheit
hier und gerade in der Konfrontation mit schwerer Krankheit
wirksam und sichtbar zu machen.

Es reicht nicht aus,
frohe Osterlieder und das jubelnde Halleluja zu singen!
Wir müssen vielmehr unserem Osterglauben
Hand und Fuß geben,
indem wir uns den Kranken, Behinderten und Pflegebedürftigen
heilsam zuwenden
und ihren Glauben als Kraft zum Leben
gegen die Krankheit oder auch mit der Krankheit bestärken.

Pflege kann also nicht nur bedeuten,
das medizinisch Mögliche und Notwendige zu tun.
Pflege bedeutet vor allem Nähe und Zuwendung,
ist mitmenschliche und auch religiöse Begleitung
durch alle Phasen von Leiden und auch Sterben,
heißt ganzheitlich heilsame Hilfe und Betreuung.
So verstanden setzt Pflege von Kranken und zumal Sterbenden
die Fähigkeit voraus,
sich selbst mit eigener Begrenztheit,
mit der eigenen Anfälligkeit für Krankheit und Leid,
und auch mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen -
und das im Horizont dessen, was wir Ostern feiern.

„Eine Gemeinde ohne Behinderte 
ist eine behinderte Gemeinde!"
hat mal jemand gesagt.
Ich denke, dieses Wort trifft zu,
insofern damit gemeint ist:
Eine Gemeinde, die ihre Kranken, Alten und Behinderten aus dem Blick verliert,
eine Gemeinde, in der diese Menschen auf der „Schattenseite" des Lebens
keine Zuwendung und keine Hilfe erfahren,
ist letztendlich keine Gemeinde Jesu Christi!

Darüber nachzudenken und daraus Konsequenzen zu ziehen
auch in unserer Gemeinde St.Michael,
das sollte der Anstoß dieser Woche für das Leben sein;
das sollte der Anstoß sein, der uns gerade in dieser österlichen Zeit
trifft und verwandelt.

Das könnte und müßte Auswirkungen haben in unseren Familien,
in Nachbarschaft und Freundeskreis.
Das könnte und müßte Auswirkungen haben auch in der Gemeinde selbst.

Es sollte uns nachdenklich stimmen,
daß wir seit Jahren immer wieder Engagierte finden 
in allem möglichen Lebensbereichen der Gemeinde;
daß es jedoch - allem Bitten und Betteln zum Trotz -
fast niemanden gibt, der oder die bereit wäre,
unsere Kranken, Alten und Pflegebedürftigen zu besuchen. 

Auch lohnt sich darüber nachzudenken,
warum in katholischen Gemeinden immer wieder das große Schweigen ausbricht,
wenn es um die politische Gestaltung unseres Gemeinwesens geht.
In einer leistungsorientierten Gesellschaft
kommen gerade die Schwachen immer wieder unter die Räder.
Christen müßten gerade ihnen ihre Stimme leihen.
Wenn auch beispielsweise die Pflegeversicherung
ein Schritt in die richtige Richtung war,
wird doch keiner behaupten wollen,
im Dienste der Kranken, der Behinderten und der Pflegebedürftigen
gäbe es keinen politischen Handlungsbedarf mehr.

Ich wünsche mir selbst und unserer Gemeinde in diesem Sinne,
daß unser Osterglaube noch viel mehr Hand und Fuß bekommt.

Amen.