Fastenpredigt zum ersten Sonntag der Österlichen Bußzeit am 17. Februar 2002
Evangelium: Mt. 4, 1 - 11; 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Auch oder gerade weil wir sie gerne verdrängen,
geht es in dieser Fastenzeit
um die Schatten unseres Lebens und dieser Welt.
Und dennoch stehen diese Schatten nicht im Mittelpunkt der Verkündigung.
Im Mittelpunkt auch der Fastenzeit 
steht einzig und allein das österliche Licht
des auferstandenen Christus.
Es geht also darum, die Schatten zu vertreiben,
die immer wieder das Licht, in das wir hineingerufen sind, verdunkeln. 

In einer Welt, die von den Schatten der Bosheit überlagert ist,
gehen alle Lichter aus.
Ein Adventslied aus der Zeit des Nationalsozialismus formuliert das so:
„Der Satan löscht die Lichter aus
und läßt die Welt erblinden...
Die Menschen treiben arge List und sinnen viele Lügen...
Das Leben ist nicht liebenswert in diesen bösen Zeiten..."

Mag die Nazizeit uns auch in besonderer Weise vor Augen geführt haben,
was Ideologie und Größenwahn,
Machtgier und Fanatismus,
Nationalismus und Rassismus,
was überhaupt die dunklen Mächte menschlicher Bosheit
an erschreckender Unmenschlichkeit produzieren -
wir sind dennoch auch heute Tag für Tag
mit dieser Bosheit im Kleinen wie im Großen konfrontiert.

Oft ist das Böse so erschreckend,
daß viele meinen, es können nicht vom Menschen allein kommen.
Sie sagen dann:
Das Böse komme von einem übermächtigen Wesen,
das sie den Teufel oder auch Satan nennen.
Auf ihn gehe letztendlich alle Unordnung in der Welt zurück.
Er versuche, das Gute zu verhindern,
den Menschen zu verführen
und ihn für seinen Machtbereich,
für eine „höllische" Welt zu gewinnen.

Diese Vorstellung vom Teufel ist allerdings 
unter Christen heute umstritten.
In christlichen Glaubensbekenntnissen hat der Teufel keinen Platz,
obwohl in der Bibel öfter von ihm die Rede ist -
wie z.B. im heutigen Evangelium.
Es stellt sich allerdings die Frage:
Ist da wirklich ein lebendiges Wesen,
das vielleicht sogar Gott Konkurrenz machen könnte, gemeint,
oder geht es um ein anschauliches Symbol des Bösen?

Genau genommen ist diese Frage für unseren Glauben belanglos:
Feststeht, daß der Teufel auf keinen Fall 
ein ebenbürtiger Gegenspieler Gottes ist.
Feststeht jedoch auch,
daß wir alle unter dem realen Einfluß
der Macht des Bösen stehen,
und daß die Bosheit sich von Adam und Eva,
von Kain und Abel an wie ein Krebsgeschwür 
in der Menschheit ausgebreitet hat.
Schon wenige Generationen nach Kain
wird in der Bibel die Klage über dieses Krebsgeschwür laut.
Einem der Nachkommen Kains
werden diese Worte in den Mund gelegt:
„Einen Mann erschlage ich für eine Wunde
und einen Knaben für eine Strieme.
Wird Kain siebenfach gerächt,
dann Lamech siebenundsiebzigfach." (Gen. 4, 23 f).
Hier und an anderen Stellen wird übrigens auch deutlich,
daß im Verständnis der Bibel
der eigentliche Kern der Verderbtheit von Menschen
die Auflehnung gegen Gott
und die Gewalt gegen andere ist.

Das Böse wuchert also in dieser Welt
und wirft seine dunklen Schatten nicht nur auf uns alle,
sondern sogar auf diesen Jesus von Nazareth,
der sich wie wir mit der Versuchung auseinanderzusetzen hat.
Aber auch da steht nicht die Versuchung im Vordergrund der Erzählung,
sondern die Souveränität des Glaubens,
aus dem heraus dieser Mensch in der „Wüste der Welt"
die Schatten vertreibt.
Auch in seiner Einsamkeit angesichts der Versuchung 
ist Jesus nicht von Gott verlassen.
In der Kraft Seines Geistes steht Er ihm jederzeit zur Seite,
wenn auch Seine Gegenwart selbst für Jesus erst erfahrbar wird
in der Freude darüber,
daß die Schatten wie weggefegt sind:
„Engel kamen und dienten ihm" -
„Engel" also, die wie immer in der Heiligen Schrift
Gott selbst repräsentieren.

In diesem Ausgang der Geschichte steckt 
die eigentlich frohmachende Botschaft:
Wie diesem Menschen Jesus von Nazareth
ist uns allen Gottes Beistand geschenkt
und damit die Chance, 
der Macht des Bösen in uns und um uns zu widerstehen.
Dies Evangelium des ersten Fastensonntags
enthält also eine Ermutigung,
nicht vor den dunklen Schatten der Bosheit zu kapitulieren,
nicht „die Flinte ins Korn zu werfen",
sondern aus der Kraft des Glaubens das Gute zu tun
und so dem österlichen Licht entgegenzugehen.

Es fällt übrigens auf,
daß der Versucher Jesus entgegentritt
nicht mit plumpen Lust- und Selbstverwirklichungsträumen,
sondern scheinbar ganz fromm und gottgefällig
und mit Berufung auf theologische Scheinargumente
und Schriftzitate.
So mag es auch manch einem von uns ergehen,
insofern wir uns gerne als gute Christen verstehen,
aber dennoch fragwürdigen Wünschen und Interessen
nachgehen möchten.
Selbstverständlich sind wir intelligent genug,
beides unter einen Hut zu bringen
mit christlich klingenden Begründungen,
die wir nur zu gerne selber glauben,
und notfalls auch mit an den Haaren herbeigezogenen Bibletexten.

Ignatius von Loyola sagt dazu
in seinen Regel zur Unterscheidung der Geister:
„Die Art des bösen Engels,
der sich in die Gestalt eines Engels des Lichtes verwandelt,
ist es, mit der frommen Seele einzutreten
und mit sich selbst auszutreten;
will sagen: Gute und heilige Gedanken, die einem solchen 
gerechten (christlichen) Menschen angepaßt sind, einzuflößen,
dann aber ganz allmählich zu seinem eigenen Ziele überzugehen,
indem er den Menschen in seine verdeckten Betrügereien
und verkehrten Absichten hineinzieht." (Ex. 332).

Im Hinblick auf solche Erfahrungen mit der Versuchung
ist der Schatten des Versuchers unserer Evangelienkrippe,
der ganz in der traditionellen Bildsprache dargestellt ist,
umgeben von einer Lichtgloriole, 
die auch wir uns immer wieder wie ein religiöses Mäntelchen umwerfen.
So bilden wir uns ein, in den Spiegel schauen zu können,
ohne vor Scham rot zu werden.

Wirklich in göttliches Licht getaucht
ist im Evangelium wie in unserer Evangelienszene
nur die Gestalt Jesu.
In der Taufe hat er uns zugesagt,
daß wir teilhaben dürfen an diesem Licht.
Diese frohmachende Zuversicht neu zu gewinnen,
ist das Ziel der Fastenzeit,
damit wir dann voller Freude 
dem Licht der Osternacht zujubeln können.

Amen.