Predigt zum 2. Sonntag der Fastenzeit 
am 24. Februar 2002
Evangelium: Mt. 17, 1 - 9; 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Der Schatten des „Bösen" in unserer Kirche
hat viele Fragen, Diskussionen und auch Protest ausgelöst.
Der „Teufel" in der Kirche???
Aber treibt er nicht seit 2000 Jahren
sein Unwesen sehr wohl auch in der Kirche?
Wir sagen bewußt „Un-Wesen":
Es geht um die Schattenseite des „Wesens" von Kirche.
Das „Wesen", das Eigentliche von Kirche Jesu Christi
ist es, Seine frohmachende Botschaft zu leben
und in dieser Welt präsent zu machen -
also Sein Licht leuchten zu lassen
gegen alle Dunkelheiten dieser Welt
und auch gegen die eigenen Schatten.

In der Osternacht wird der Diakon 
beim Osterjubel des Exultet singen:
„O glückliche Schuld,
welch großen Erlöser hast du gefunden.
Der Glanz dieser heiligen Nacht
nimmt den Frevel hinweg,
reinigt von Schuld,
gibt den Sündern die Unschuld,
den Trauernden Freude."

Es kann also in dieser vorösterlichen Bußzeit nicht darum gehen,
den Schatten über der Stadt,
den Schatten über dem Tempel,
den Schatten in der Kirche zu beklagen;
noch viel weniger kann es darum gehen,
diesen Schatten zu verdrängen.
Es geht vielmehr darum,
uns aufs neue bewußt zu machen,
daß uns in Jesus Christus das Licht der Welt geschenkt ist.

Das Wissen darum ist bei vielen von uns
leider ins Unterbewußtsein abgerutscht:
Wir lassen uns zu sehr von diesen Schatten beeindrucken.
In der Kirche schauen viele resigniert und frustriert 
zurück auf scheinbar „bessere Zeiten".
Sie kapitulieren vor dem Eindruck
zunehmender Bedeutungslosigkeit von Glauben und Kirche.
Ihr Sprache verrät sie:
„Wir werden sowieso immer weniger."
„Wir werden bald nicht einmal mehr Priester haben,
die uns unter die Erde bringen."
„Mein Kinder gehen ja noch in die Kirche, aber...".
„Unsere Gemeinde ist ja noch ganz lebendig, aber...".

Achten Sie mal auf dieses „noch",
das sich immer mehr in die innerkirchliche Sprache einschleicht!
Ganz schön resignativ - dieses „noch" -
hoffnungs- und perspektivlos.
Ich kann‘s nicht mehr hören - dieses „noch".
Und manchmal reagiere ich regelrecht allergisch darauf.

All diejenigen, die dieses Wörtchen unreflektiert im Munde führen,
sind - so gewinne ich manchmal den Eindruck -
privat und im vertrauten Kreis Gleichgesinnter „noch" katholisch.
In der Öffentlichkeit jedoch fehlt ihnen 
die Überzeugungskraft und die Ausstrahlung ihres Glaubens.
Und für die nächste Generation
legen sie schon gar nicht mehr die Hände ins Feuer.

Das alles ist nicht neu.
Ähnliche Tendenzen gab es schon zu Jesu Zeiten
im Kreis seiner Jünger.
Als sich auf dem Weg nach Jerusalem
immer dunklere Wolken über Jesus zusammenzogen,
sagten sie - zwar in treuer Freundschaft,
aber letztlich doch hoffnungslos:
„ Dann laßt uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben." (Joh. 11, 16)

Das heutige Evangeliumerzählt von der Pädagogik Jesu,
die er anwandte, um die Schatten
aus dem Herzen seiner engsten Freunde zu vertreiben.
Er nahm sie aus den Niederungen des Alltags
mit auf die Höhe des Berges.
Da ist einfach die Sicht klarer,
man sieht um einiges weiter
und entdeckt eher das Licht des frühen Morgens.

Was auf dem Berg der Verklärung wirklich geschah,
wissen wir nicht.
Moderne Fotografen hätten wahrscheinlich 
das Wesentliche nicht auf ihren Filmen festhalten können,
weil es um eine innere Erfahrung der Jesusjünger ging.
Sicher kann man sagen:
Es gingen ihnen die Augen auf.
Jesus lehrte sie, die Wirklichkeit neu zu sehen.
Und sie sahen dieses Jesus plötzlich nicht mehr
im Schatten des andrängenden Karfreitags,
sondern im hellen Licht des Ostermorgens.
Und das veränderte auch ihren Blick auf die Realitäten des Heute.

Ich würde - wenn ich wollte - sicherlich Gründe genug finden,
um zu klagen.
Aber das geht nicht an,
weil‘s einfach zu viele beglückende und hoffnungsfrohe Erfahrungen
in unserer Kirche gibt.
Nach langer Zeit sind bei uns
Sterbefälle und Kirchenaustritte auf der einen Seite 
und Taufen, Aufnahmen und Wiederaufnahmen auf der anderen Seite
ausgeglichen.
Zum Osterfest dieses Jahres werden wir 
acht Menschen taufen - kleine und große.
In 22 von 27 deutschen Bistümern fanden in diesem Jahr
zu Beginn der Fastenzeit Zulassungsfeiern
mit den erwachsenen Täuflingen der kommenden Osternacht statt -
so auch in Hildesheim.
Zu fünft haben wir aus St.Michael daran teilgenommen,
um eine junge Frau zu begleiten,
die Ostern hier bei uns getauft wird.
Für uns alle war dieser Tag in Hildesheim
eine wunderbare Erfahrung:
Wir haben eine enorme Aufbruchsstimmung erlebt,
vor allem junge Menschen aus dem ganzen Bistum,
die dem Bischof und uns allen gegenüber öffentlich bekundeten:
„Ich bin bereit."

Da fällt mir ein Wort von Bischof Wanke aus Erfurt ein:
„Unserer katholische Kirche in Deutschland fehlt etwas.
Es ist nicht das Geld.
Es sind auch nicht die Gläubigen.
Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt die Überzeugung,
neue Christen gewinnen zu können.
Das ist ihr derzeit schwerster Mangel."

Unser Bischof Josef Homeyer zitiert dieses Wort von Joachim Wanke
in seinem diesjährigen Fastenhirtenbrief.
Bischof Josef erzählt seinerseits von den ermutigenden Erfahrungen,
die er in diesem Jahr mit Kirche gemacht hat.
Er zeigt zukunftsorientierte Perspektiven und Möglichkeiten auf,
die wir als Kirche heute haben -
auch in eine weitgehend säkularisierte Umwelt hinein.
Und er lädt uns alle ein und ermutigt uns,
uns wieder mehr als missionarische Kirche verstehen.

Wenn Sie so wollen, liegt die „Pädagogik" dieses Hirtenbriefes
ganz auf der Linie der Pädagogik Jesu auf dem Berg der Verklärung.
Ich möchte Ihnen von Herzen nahelegen,
sich mit diesem Fastenhirtenbrief auseinanderzusetzen.
Er wird uns hier in St.Michael in diesem Jahr
noch oft beschäftigen.
Und ich denke, er wird uns eine Hilfe sein
auf unserem Weg in die Zukunft.

Der Bischof schließt seinen Hirtenbrief,
indem er uns allen das Anliegen ans Herz legt,
missionarische Kirche zu sein;
und mit dem Wort Jesu im heutigen Evangelium:
„Steht auf, habt keine Angst!"

Amen.