| Schatten und Licht - um diese Kontrastsymbole ging es
 an den beiden ersten Fastensonntagen.
 Und wir haben gesehen:
 Schatten ist einfach die Abwesenheit von Licht;
 ein Defizit also, das durch Licht behoben wird.
 Um ein Defizit und seine Behebung geht es auch heute.
Und wieder stehen für das eine, wie für das andere
 Bildworte, Symbolworte.
 Das Defizit wird umschrieben mit Worten wie:
 Durst, Trockenheit, Ausgedörrtsein, Wüste.
 Defizit bedeutet auch hier:
 Abwesenheit von etwas Lebensnotwendigem,
 konkret:
 Es ist einfach kein Wasser da.
 Genauer:
 Es fehlt lebendiges, erfrischendes, lebenspendendes Wasser.
 Und wieder die frohmachende Botschaft:
Wie Gott Licht ist
 und die Schatten, die Dunkelheiten, die Finsternisse
 unseres Lebens verscheucht,
 so ist Er auch Quelle lebenstiftenden Wassers,
 das den Durst Seines Volkes in der Wüste,
 aber auch den Lebensdurst,
 die tiefste Sehnsucht eines Menschen nach Glück stillt.
 Schauen wir uns daraufhin das Evangelium genauer an.
Da geht es keineswegs um eine moralisierende Geschichte.
 Mit spitzem Zeigefinger haben zwar immer wieder Prediger,
 aber auch Pädagogen auf diese samaritische Frau gezeigt.
 Und sicherlich laufen deren Beziehungsgeschichten
 traditionell bürgerlichen Moralvorstellungen strikt zuwider -
 damals wie heute.
 Dennoch findet sich in den Worten Jesu
und in seiner Verhaltensweise nicht der geringste Vorwurf.
 Im Gegenteil:
 Wir werden Zeugen einer sehr sensiblen
 und feinfühligen Gesprächsführung,
 von der Seelsorger und auch Therapeuten eine Menge lernen könnten.
 Jesus bringt auf eine sehr behutsame Art und Weise
 der Frau zu Bewußtsein,
 worunter sie eigentlich in ihrem bisherigen Leben gelitten hat.
 Er macht ihr ihren ungestillten Lebensdurst,
 ihre tiefste Sehnsucht nach Leben und Liebe bewußt.
 Und wie mit einem „Zauberstab"
 läßt er mitten in ihrem ausgedörrten Leben
 eine Quelle hervorbrechen,
 die all ihre Sehnsucht erfüllt.
 Vielleicht sollten wir im Licht dieses Evangeliums
auch einmal über die unzähligen „Beziehungskisten"
 unserer Zeit nachdenken.
 Auch wenn wir uns an scheiternde Partnerschaften
 leider allzu sehr gewöhnt haben,
 sehen wir sie doch immer noch als moralisches Versagen.
 Wir erklären dieses Scheitern von Partnerschaften
 zum Beispiel mit der Unfähigkeit von Menschen heute,
 tragfähige und dauerhafte Beziehungen einzugehen.
 Aber könnte es nicht sein,
daß hinter immer wieder wechselnden Beziehungen
 der ungestillte Durst nach Glück,
 nach grenzenloser Liebe,
 nach einem erfüllten Leben steckt?
 Könnte es nicht sein,
daß sich da jene unendliche Sehnsucht nach Liebe und Leben
 Bahn bricht,
 die in jedem von uns grundgelegt ist,
 einfach weil wir geschaffen sind nach dem Bild und Gleichnis
 jenes Gottes, der nach unserem Glauben
 das Leben und die Liebe schlechthin ist?
 Und selbstverständlich gibt es für diese tiefe Sehnsucht
keine dauerhaft befriedigende Erfüllung
 durch etwas Kontingentes,
 durch etwas notwendigerweise Begrenztes also,
 durch zwischenmenschliche Beziehungen zum Beispiel,
 die natürlich ihre Grenzen haben,
 wie schließlich alles Menschliche begrenzt ist.
 Wir stoßen uns ja selbst oft genug an unseren eigenen Grenzen.
 Es liegt auf der Hand,
daß wir solche Grenzen menschlicher Beziehungen
 nicht überwinden können,
 indem wir mehrere Beziehungen aneinanderreihen.
 Durch die Addition von endlichen Werten
 ist kein unendliches Ergebnis zu erzielen!
 „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir." (Augustinus).
 Übrigens ist nicht nur die Suche nach ständig neuen Beziehungen
ein Indiz für ungestillte Sehnsucht
 oder für ein inneres Ausgedörrtsein von Menschen.
 Was die Frau des Evangeliums
 in ihren wechselnden Beziehungen sucht,
 suchen viele Menschen heute
 - und viellicht auch wir selbst -
 auf der Jagd nach immer wieder neuen „Events" -
 so sehr, daß es für solche „Events"
 inzwischen einen gewinnträchtigen Markt gibt,
 einen Markt, auf dem letztendlich Geschäfte gemacht werden
 mit jenem unendlichen Lebensdurst,
 der nur in der Gemeinschaft mit Gott gestillt werden kann.
 So gesehen ist dieser Markt ein betrügerischer Markt.
 Wir haben alles zum Leben Notwendige
und noch vieles darüber hinaus.
 Und doch bleibt die große Sehnsucht unerfüllt.
 Daher sind Menschen auf der Suche nach dem „Kick".
 Manche suchen ihn im Alkohol oder in anderen Drogen.
 Andere versuchen es mit Bungee-Springen,
 Extremsport oder Geschwindigkeitsrausch.
 Wieder andere stürzen sich in ausgefallene Reisen rund um die
Welt -
 immer wieder neu,
 weil jeder „Kick", weil jedes „Event" danach schreit,
 wiederholt und möglichst noch überboten zu werden.
 In diese enttäuschende und frustrierende Erfahrung hinein
eröffnet Jesus nun der Frau am Jakobsbrunnen
 eine Lebens- und Zukunftsperspektive ganz anderer Qualität.
 Er führt sie in der persönlichen Begegnung und im Gespräch
 zur Einsicht - wohl mehr noch zur Erfahrung,
 daß es durchaus eine Möglichkeit gibt,
 den Lebensdurst zu stillen.
 Es kann sehr wohl Schluß sein
 mit der unbefriedigenden Hetze nach Lebensglück.
 Wirklich leben können.
 Ein eigener Mensch sein.
 Selbst Quelle werden,
 die andere zum Leben anstiftet.
 Mit ihnen zusammen ein Leben haben,
 das diesen Namen verdient.
 Das wär‘s!
 All das wird auf einmal möglich,
weil sich diese Frau im Verlauf der Begegnung öffnet
 für den, den sie jetzt als den Messias Gottes erkennt,
 als den Retter der Welt,
 als die Quelle wahren Lebens.
 Dieser samaritischen Frau,
der die Thora von klein auf vertraut ist,
 kommt bei dieser Begegnung am Jakobsbrunnen
 vermutlich unmittelbar Mose in den Sinn
 und Gottes lebenspendendes Wasser aus dem Felsen.
 Wahrscheinlich sieht sie sogar in Jesus den neuen „Mose".
 Und bei den ersten Christen,
die die Jesusgeschichte vom Jakobsbrunnen weitererzählen,
 dürften wohl noch andere Texte des Ersten Testaments angeklungen
sein,
 das Psalmwort zum Beispiel:
 „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
 so lechzt meine Seele, Gott, nach dir.
 Meine Seele dürstet nach Gott,
 nach dem lebendigen Gott." (42, 2 - 3).
 Oder auch dieser Psalmvers: 
„Du tränkst die Menschen mit dem Strom deiner Wonnen.
 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens." (36, 9 - 10).
 Vielleicht dachten sie auch an die Ezechiel-Vision
von der Quelle, die im Tempel des Herrn entspringt -
 jene Quelle, die zu einem Strom des Lebens wird,
 an dessen Ufern üppige Obstbäume wachsen,
 die nie ohne Frucht sein werden;
 und dessen Wasser sogar
 das „Tote Meer" zum Leben erwecken. (Ez. 47, 1 - 12).
 Für uns gehört auch die zweite Lesung dieses Sonntags
aus dem Römerbrief des Paulus
 mit in die Reihe der anklingenden Schrifttexte:
 „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen
 durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist." (Röm. 5, 5).
 Das ist an uns geschehen in der Taufe.
 Der Taufstein ist unser Jakobsbrunnen.
 Es käme darauf an,
 die Quelle lebenspendenden Wassers,
 die damals in uns selbst aufgebrochen ist,
 wieder freizulegen.
 Dann könnte das neue Leben auch in uns
 zu einer produktiven und dynamischen Kraft werden,
 die uns eine neue Lebenseinstellung
 und eine neue Lebenspraxis möglich macht.
 Mehr noch:
 Dann würde diese Quelle des Lebens übersprudeln
 und - wie damals - auch die Menschen unserer Umgebung
 mit neuem und beglückendem Leben erfüllen.
 Als erstes würde wohl die Resignation weggespült werden,
die sich in der deutschen Kirche und in den Gemeinden
 breit gemacht hat.
 Es würde eine Aufbruchstimmung entstehen,
 wie sie durch die Frau des Evangeliums
 nach Sychar und dann in das ganze Land Samaria getragen wurde -
 eine Aufbruchstimmung wir am ersten Fastensonntag
 in Hildesheim bei der Zulassungsfeier
 für die Täuflinge der Osternacht.
 Amen. |