Predigt zum 5. Fastensonntag (A) am 17. März 2002
Lesung: Ez. 37, 12b - 14; Evangelium: Joh. 11, 1 - 45; 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Was löst dieses Evangeliums 
von der Auferweckung des Lazarus bei Ihnen aus?
Wie stellen Sie sich zu dieser Geschichte?
• Neigen Sie sich in gläubiger Ehrfurcht
vor dem Wunder, das Jesus wirkt?
• Reagieren Sie eher skeptisch:
„Na ja, eine Wundergeschichte -
was soll man davon schon halten???"
• Oder zerbrechen Sie sich den Kopf darüber,
wie dieses „Wunder" wohl zu erklären sei:
Vielleicht war Lazarus ja nur scheintot?
Oder die ganze Geschichte ist möglicherweise
nur eine „fromme Legende"?
• Eventuell haben Sie auch Aufklärung und Rationalismus
so sehr verinnerlicht,
daß Sie diese Geschichte schlichtweg als „Betrug" abtun,
allenfalls als einen religiösen Mythos,
der unserer heutigen wissenschaftlichen Erkenntnis
nicht standhalten kann.

Bitte erwarten Sie heute abend von mir keine Antwort
auf die Fragen, die damit aufgeworfen sind.
Eine solche Antwort müßte zum ersten berücksichtigen,
daß wir im Glauben Gott als den Schöpfer bekennen
und Ihm den Herrn über die Naturgesetze sehen.
Eine solche Antwort müßte allerdings auch einsichtig machen,
warum es Sinn macht, die Gesetze der Schöpfung,
von der es ausdrücklich heißt,
„Gott sah, daß alles sehr gut war, was er gemacht hatte",
in Jesus Christus zu durchbrechen.

Ich möchte diese Antwort offen lassen,
weil mir scheint, darauf komme es nicht an.
Johannes, der Autor des Evangeliums,
spricht sehr bewußt niemals von einem „Wunder".
Für ihn ist das gesamte Wirken Jesu
und auch die Auferweckung des Lazarus ein „Zeichen".

Ein Zeichen wofür?
Nach dem Zeugnis aller Evangelien
hat das Leben Jesu, seine Botschaft und sein Wirken
eine innere Dynamik auf Ostern hin.
Die Osterbotschaft vom Tod Jesu am Kreuz und von Seiner Auferstehung
bildet den Kern der Evangelien und des christlichen Glaubens.
Diese Botschaft ist zugleich auch 
der älteste Bestandteil der christlichen Überlieferung.
Alles, was sonst noch von Jesus überliefert ist,
ist im Kontext der Kernbotschaft zu lesen und zu verstehen.
Es geht um die Entfaltung und Verdeutlichung
dieser einen und zentralen Osterbotschaft:
„Jesus ist hinabgestiegen in das Reich des Todes;
aber am dritten Tag ist er auferstanden von den Toten."
Wir bekennen dementsprechend Jesus Christus
als den Sieger über den Tod,
als den „Erlöser" von den Mächten des Todes,
die auch unser Leben bedrohen,
und als den Herrn des Lebens,
ja, als das Leben selbst.

Für diesen Kern der frohmachenden Botschaft
sind die Heilungen Jesu „Zeichen".
Für diesen Kern des Evangeliums
ist die Auferweckung der Tochter des Jairus,
ist die Auferweckung des Jünglings von Naim,
ist die Auferweckung des Lazarus ein „Zeichen".
Diese Zeichen wollen sagen:
Die Zeit des wahren Lebens ist angebrochen.
Die Erfüllung dessen, was die Propheten verheißen haben,
ist angebrochen:
„Ich öffne eure Gräber
und hole euch aus euren Gräbern heraus."
Die Erfüllung dieser Verheißung
ist der Gegenstand aller ostkirchlichen Osterbilder.
Und weiter heißt es in der Ezechiellesung dieses Sonntags:
„Ich hauche euch meinen Geist ein,
dann werdet ihr lebendig."
Und dieser Verheißung geht voraus
die wunderbare Vision von der Auferweckung Israels,
von den ausgedörrten Gebeinen,
die durch das Wort des Herrn
mit Sehnen, Fleisch und Haut überzogen werden,
und die Gott seinen Geist hineinbringt,
auf daß sie neues Leben haben.

All das ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden.
All das ist Botschaft nicht nur des Osterfestes,
sondern schon Botschaft dieser Passionszeit.
Auch jetzt schon - zu Beginn der Passionszeit -
feiern wir Sonntag für Sonntag Ostern!
All das gibt auch unserem Leben Hoffnung.
All das bringt auch die Kirche immer wieder 
in vielfältigen Zeichen zum Ausdruck:
All unsere Sakramente sind Zeichen des Neuen Lebens.
Die Taufe z.B. - die uns eintaucht in das Wasser des Lebens.
Die Eucharistie - die uns mit dem Brot des Lebens stärkt.

Daß in unserer Kirche der Gekreuzigte nicht die Dornenkrone,
sondern eine Königskrone trägt,
ist ein Zeichen für unseren Glauben
an den Sieg des Lebens über den Tod.
Daß seit wenigen Tagen das Reliquiar unserer Kirche
nicht mehr im dunklen Tresor aufbewahrt wird,
sondern hier in der Kirche erstrahlt,
ist ebenfalls ein Zeichen für die Herrlichkeit des Lebens,
an das die Märtyrer bis in ihren leiblichen Tod hinein
unerschütterlich geglaubt haben.

All diese Zeichen der biblischen Geschichte
und der kirchlichen Tradition sind uns geschenkt,
damit gegen alle Hoffnungslosigkeit dieser Zeit
die österliche Hoffnung in uns lebendig bleibt.

Amen.