Bildbetrachtung zum 4. Ostersonntag 
am 21. April 2002
Evangelium: Joh. 10, 1 - 10; 
Autor: P.Heribert Graab S.J. 
nach Anregungen von Jörg Zink und Peter Granig
Wir haben uns in diesen Tagen immer wieder
zum auferstandenen Christus bekannt.
Im Glauben sind wir überzeugt:
Jesus Christus lebt
und wir leben mit Ihm und in Ihm.
Da ist es nun ganz wichtig, 
daß wir uns immer wieder vergewissern:
Wer ist dieser Jesus, den wir den Christus nennen, eigentlich?

Zu einer Antwort tragen die „Ich bin... - Worte" Jesu bei.
Viele dieser „Ich bin... - Worte" sind Gleichnisworte, z.B.:
„Ich bin der Weg",
„Ich bin das Brot des Lebens",
oder im heutigen Evangelium:
„Ich bin der gute Hirte",
„Ich bin die Tür".

In diesem Evangelium sind also zwei Gleichnisworte
in einander verschachtelt.
Das Wort vom Guten Hirten ist uns merkwürdigerweise vertrauter,
obwohl dieses Bild sehr wenig mit unserer Alltagswelt zu tun hat.

Ich möchte Sie daher zu einer Betrachtung
zu dem Bildwort „Ich bin die Tür" einladen.
Eine Hilfe dazu kann ein alter Kupferstich sein:
„Der Schafstall Christi".
Dieser Kupferstich wurde 1565 von Philipp Galle
nach einem Entwurf von Pieter Bruegel d.Ä. ausgeführt.

Da ist also um einen Schafstall ein heftiger Kampf entbrannt.
Von allen Seiten dringen Männer gewaltsam in den Stall ein.
Nach allen Seiten werden Schafe aus dem Stall herausgezerrt.
Was mit den geraubten Schafen geschehen wird, ist offenkundig:
Äxte und Messer weisen darauf hin,
daß sie geschlachtet werden sollen.

Im Hintergrund oben rechts:
Der schlechte Hirt, „der Mietling", 
der vor dem Wolf flieht und die Schafe ihrem Schicksal überläßt.
Oben links der gute Hirt,
der gegen den Wolf kämpft,
und auf den die Schafe so sehr vertrauen,
daß sie in aller Ruhe zuschauen.

Im Zentrum des Bildes jedoch Jesus Christus als der „Gute Hirt"
und zugleich die Tür mit der Aufschrift
„Ego sum ostium ovium" -
„Ich bin die Tür zu den Schafen".

Natürlich will Bruegel eine Interpretation des Gleichnisses präsentieren.
Wir wissen, daß Bruegel in den religiösen 
und politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit sehr engagiert war.
Es ging damals um die religiösen Auseinandersetzungen der Reformation
und um die politischen Auseinandersetzungen
zwischen dem katholischen Spanien und den protestantischen Niederlanden.

Die für Bruegels Zeit aktuelle 
und auch bis auf den heutigen Tag
zutreffende Interpretation des Gleichnisses
könnte also lauten:
Alle - ob politisch oder religiös tätig -
greifen nach den Menschen,
bringen sie sozusagen in ihren Besitz,
beherrschen sie, nützen sie aus.
Und wer mehr Menschen an sich reißen kann,
wird am Ende der Reichste und der Mächtigste sein.
Die einzig menschliche und menschenwürdige Alternative
zu diesem Geld- und Machtstreben
ist Jesus Christus und Seine Art,
mit den Menschen umzugehen.

Nicht erst seit dem 11. September wissen wir,
daß diese Gleichnis-Interpretation Bruegels
heute so brandaktuell ist wie damals.
Und Krieg und Terror in Israel / Palästina
legen diese Interpretation ein weiteres Mal nahe.
Der Weg zu einem Frieden,
mit dem Menschen beider Seiten leben können,
scheint hoffnungslos verbaut zu sein.
Es käme darauf an, in dieser Mauer von Angst, Haß,
Verbitterung und Machstreben
jene Tür zu entdecken,
die für uns als Christen Jesus Christus selbst ist,
die jedoch auch unter anderen Namen
der einzige Zugang zum Frieden ist.

Aber nicht nur die weltpolitischen Ereignisse 
lohnt es sich, im Licht des Tür-Gleichnisses
und seiner Interpretation von Bruegel zu betrachten.
Es könnte unseren Blick schärfen,
wenn wir auch den beginnenden Wahlkampf hier bei uns
kritisch beleuchten würden
mit Hilfe des Tür-Gleichnisses im heutigen Evangelium.

Noch ein weiterer Aspekt des Tür-Gleichnisses
ist für uns heute aktuell und brisant:
Jesus versteht sein Wort „Ich bin die Tür" exklusiv:
„Ich - und sonst keiner"!
Ein solches Wort ist provokant in einer Gesellschaft,
die einen butterweichen Indifferentismus und Liberalismus
als „Toleranz" hochjubelt und mißversteht.
Die Ring-Parabel eines Nathan des Weisen
läßt sich mit den Worten Jesu nicht unter einen Hut bringen.
Nicht irgendwer ist die „Tür",
nicht Buddha, nicht Krishna, nicht Mohammed,
noch viel weniger Marx oder Engels oder Rosenberg.
Vielmehr Jesus - und sonst keiner.
Damit stellt Jesus uns vor die Alternative,
Ihm zu folgen oder uns Ihm zu verweigern,
zeitlebens in einer religiösen Unverbindlichkeit zu verharren
oder sich zur Eindeutigkeit durchzuringen,
ins Verderben zu rennen
oder das Leben in Fülle zu empfangen.

Es gibt einen unverdächtigen Zeugen,
der die Lebenskraft des Tür-Wortes bestätigt:
Der englische Schriftsteller Bernhard Shaw 
war zeitlebens ein Spötter des Christentums.
Wenige Monate vor seinem Tod (+ 1950) aber schrieb er:
„Ich bekenne, daß ich,
nachdem ich nun bald 60 Jahre Erde und Menschen studiert habe,
keinen anderen Weg aus dem Elend der Welt sehe,
als den Weg, der von Jesus gezeigt wird."

Amen.