Predigt zum Palmsonntag 2002 
am 24. März
Vorgetragen wird zu Beginn der Karwoche die Passionsgeschichte nach Matthäus (26, 14 - 27, 66).
Autor der Predigt: P.Heribert Graab S.J.
„Oft steht die Welt in Brand,
und Blut färbt das Wasser rot,
steht doch ein Kreuz in jedem Land,
überall herrscht der Tod."

So heißt es in einem der neuen geistlichen Lieder.
Durch die Medien erfahren wir es Tag für Tag:
• Im vergangenen Jahr das Golgatha des 11. September.
• Dann Afghanistan.
• Und seit Monaten der mörderische Terror
genau dort, wo vor fast zweitausend Jahren
dieser Jesus von Nazareth gefoltert und gekreuzigt wurde.

Die schlimmen Bilder der Medien informieren nicht nur,
sie brühen auch ab.
Dennoch geht uns auch heute 
die Passionsgeschichte Jesu unter die Haut.
Was aber macht diese Geschichte mit uns?
Wie reagieren wir darauf?
Was bewegt sie?

• Gelingt es uns, einen inneren Bezug herzustellen
zwischen der Passionsgeschichte Jesu
und den vielen Passionsgeschichten unserer Zeit?
• Gelingt es uns, nicht nur die Passion Jesu,
sondern auch das unermeßliche Leid 
und den erschreckenden Tod heute
im Licht des Ostermorgens zu betrachten?
• Oder resignieren wir angesichts Übermacht
von Gewalt, Unterdrückung und Tod?

Ist unser Osterglaube wirklich mehr 
als ein weltfremdes, religiöses Lippenbekenntnis?
Setzt dieser Osterglaube eine realitätsverändernde Hoffnung frei - 
• eine Hoffnung, die unsere innere Einstellung 
zu den Ereignissen um uns bestimmt
und Zukunfts-, nicht nur Jenseitsperspektiven eröffnet?
• eine Hoffnung, die uns mit Energie erfüllt,
diese Welt jetzt zu verändern?

In christlicher Glaubenstradition ist das Kreuz ein Hoffnungszeichen!
Daß der Gekreuzigte über unserem Altar
die goldene Siegeskrone trägt,
bedeutet uns das wirklich etwas?
Oder haben wir uns einfach nur daran gewöhnt
und sehen es nicht einmal mehr?

Daß die Michaelsgestalt in unserer Kirche 
nicht mit Schwert oder Lanze
die Mächte des Unheils überwindet,
sondern mit dem Kreuzesstab -
ist uns das eine fromme Marotte des Künstlers
oder hat das etwas mit unserer Lebensrealität zu tun?

In der christlichen Tradition ist das Kreuz auch Zeichen
eines von Siegeszuversicht getragenen Kampfes.
„In diesem Zeichen wirst du siegen",
lautet die legendäre Verheißung an Kaiser Konstantin.
Aber da beginnt zugleich auch der Mißbrauch des Kreuzes
für sehr zweifelhafte Machenschaften,
die mit der von Christus verkündeten Gottesherrschaft,
mit seiner Vision von einem Reich des Friedens
wenig oder gar nichts zu tun haben.
Die Kreuzzüge, die Kreuzbanner
oder auch Ritterkreuze und Eiserne Kreuze 
haben uns sehr zu recht skeptisch gemacht.

Und dennoch würden wir unseren Glauben aufgeben,
wenn wir das Kreuz nicht von Ostern her
auch als ein Zeichen des Kampfes und des Sieges deuteten.
Jesus Christus selbst ist ganz und gar davon durchdrungen,
daß wirkliche Liebe diese Welt verändern kann.
Für ihn ist Liebe mehr als Sympathie,
mehr als ein Gefühl der Zuneigung.
Liebe bedeutet für ihn auch nicht,
den Menschen um den Hals zu fallen.
Seine Liebe „hat Hand und Fuß".
Mit Hand und Fuß wendet er sich den Menschen zu,
wendet er sich vor allem den Kranken,
den Behinderten, den Ausgegrenzten und Armen zu.
„Was kann, was soll ich dir Gutes tun?"
ist immer wieder seine Frage.
Mehr noch: Er ist durch seine Liebe sensibel genug,
um immer wieder auch selbst zu spüren,
was die Menschen vor allem brauchen.

Und schließlich geht seine liebevolle Hingabe so weit,
daß er sogar sein Leben hingibt am Kreuz.
Er gibt sein Leben hin für die Menschen,
für uns, für diese Welt, die nach Liebe schreit.
Er gibt sein Leben hin in der felsenfesten Überzeugung,
daß seine Liebe nicht unterzukriegen ist,
daß diese Liebe letztendlich den Sieg davontragen wird
über allen Haß, über allen religiösen und politischen Fanatismus,
über alle Ungerechtigkeit, über alles Elend.

Und genau dieses Vertrauen bestätigt sich
am Morgen des Ostertages.
„Jesus Christus war gehorsam bis zum Tod" -
in Liebe hat er sein Leben hingegeben bis zum Tod am Kreuz.
„Darum hat ihn Gott über alle erhöht,
und ihm einen Namen verliehen, der größer ist als alle Namen." 
Amen.