Predigt zum 3. Fastensonntag am 23. März 2003
Evangelium: Joh. 2, 13-17;
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Sehr ungewohnt tritt uns Jesus in diesem Evangelientext entgegen.
Unser Bild von Ihm hat eher harmlose Züge.
In unseren Augen scheint Er jemand zu sein,
der nicht einmal einer Fliege etwas zu leide tun kann.

Nun wird die Begebenheit der Tempelaustreibung
in allen vier Evangelien und in unterschiedlichen Kontexten überliefert.
So ist diese Geschichte recht gut bezeugt 
und das erzählte Geschehen wird von kaum jemandem in Frage gestellt.

Wir sollten uns also dieser so ungewohnten Seite
der Persönlichkeit Jesu stellen
und uns fragen, was Ihn so in Rage bringen konnte,
und worin der Grund für diesen Zorn liegt,
der ja offenkundig nicht spontan und eigentlich ungewollt aufbraust,
sondern sehr überlegt und gezielt zur Sache geht.

Zum Verständnis ist es notwendig,
nach der Funktion des Tempels zur Zeit Jesu zu fragen.
Der Tempel ist zweifelsohne das religiöse Zentrum Israels
und auch das Zentrum religiös legitimierter Macht.
Darüber hinaus jedoch ist der Tempel
das Zentrum ökonomischer und politischer Macht.
Im Laufe der Zeit hat sich dort nicht nur
ein ansehnlicher Tempelschatz angehäuft,
vielmehr diente der Tempel zugleich als Wertsachendepot
und als Großbank - zunächst und vor allem weil er
wegen seiner Heiligkeit vor widerrechtlichen Zugriffen
geschützt schien.

Aber selbstverständlich wurde er damit auch
zum Anziehungspunkt von habgieriger Konfiskation,
von Spekulation, Korruption und Betrug.
So war zum Beispiel das oberste Tempelamt, das des Hohenpriesters, 
seit der Zeit des Herodes käuflich:
Wer am meisten zahlte, erhielt dieses Amt
und damit eine ungeheure Macht für sich und seine Familie.

Der Geschichtsschreiber Josephus überliefert,
die sengenden und plündernden römischen Soldaten
hätten noch bei der Zerstörung des Tempels im Jahre 70
solche Reichtümer mit sich fortgeschleppt,
daß in Syrien der Preis für das Pfund Gold
um die Hälfte sank.

Natürlich waren die kleinen Händler und Geldwechsler
auf dem Vorhof des Tempels nur die letzten kleinen Glieder
einer langen und ungeheuer verzweigten Kette
von korrupter, betrügerischer und ausbeuterischer Macht,
zu der das „Haus Gottes" unter den Menschen verkommen war.

Natürlich weiß Jesus genau, 
daß nicht diese kleinen Händler die eigentlich Schuldigen sind,
daß sie vielmehr ein übles System repräsentieren.
Er weiß auch, daß Er diese schlimme Situation
durch Sein „Aktiönchen", mit dem er allenfalls
eine gewisse Öffentlichkeitswirkung erzielt,
nicht verändern kann.
Im Gegenteil: Er ist sich darüber im Klaren,
daß Sein Handeln nur das Faß zum überlaufen 
und ihn selbst ans Kreuz bringen wird.

Aber dennoch oder gerade deshalb setzt Er dieses Zeichen.
Und der Zorn, der Ihn dabei leitet,
macht deutlich, welche Perversität und welche Gotteslästerung
Er in diesem Konglomerat von religiöser,
wirtschaftlicher und politischer Macht sieht,
und wie Er diesen Mißbrauch von Religion und Gottesglauben
beurteilt.

Niemand wird sagen können,
Jesus habe sich nicht deutlich genug ausgedrückt.
Aber es hat nicht viel geholfen.
Zwar wurde mit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70
zugleich das ganze System hinweggefegt,
aber unter dem Namen Jesu Christi selbst
und in Seiner eigenen Kirche entstanden wenige Jahrhunderte später
ähnliche Systeme der Verquickung von religiöser,
wirtschaftlicher und politischer Macht -
nicht in Jerusalem, aber zum Beispiel in Rom.

Heute noch bewundern wir bei Pilgerfahrten dorthin
herrliche Kirchen, Paläste und Museen.
Führer erklären uns, welcher Papst oder welcher Prälat
dieses oder jenes Bauwerk als Zeichen
der eigenen Macht und Unsterblichkeit erbaut habe.
Kaum jemals erklärt jedoch einer,
wer und unter welchen Bedingungen diese Paläste
wirklich mit seinen Händen gebaut hat,
und wie das Geld dafür zusammenkam;
wer da wen gekauft hat, und was die Gegenleistung war.

Und selbstverständlich ist es auch heute notwendig,
Kirche immer wieder genauestens unter die Lupe zu nehmen.
Als einer großen und weltweiten Institution
wächst ihr automatisch Macht und Autorität zu,
und selbstverständlich kommt sie nicht aus
ohne entsprechende Geldmittel.
Das allein ist noch nicht vom Bösen.
Wohl aber kann darin auch heute eine enorme Versuchung
zum Mißbrauch von Glauben liegen.
Schließlich besteht die Kirche nicht nur aus Menschen heiliger Armut
wie Franz von Assisi, Elisabeth von Thüringen oder Mutter Teresa.

Wenn wir jedoch heute ganz aktuell 
über den Mißbrauch von Glauben sprechen,
der damals Jesus „auf die Barrikaden" trieb,
dann dürfen wir nicht über die Hintergründe 
des Irakkrieges schweigen.
Ich las dieser Tage,
Saddam Hussein habe sich einmal als Nebukadnezar malen lassen,
als biblischen Babylonierkönig also,
dessen göttliche Berufung es war,
das Volk Israel, das sich von Gott abgewandt hatte,
und sein Umfeld auszulöschen.

Und ganz ähnlich sieht offenkundig George W. Bush
seinen Auftrag als eine göttliche Berufung und Sendung.
Wenn er die Welt aufteilt in Gut und Böse,
wenn er seinen Krieg als die Entscheidungsschlacht 
gegen die Mächte des Bösen versteht,
dann steht im Hintergrund die Vision 
jener apokalyptischen Schlacht bei Harmagedon,
von der die Offenbarung des Johannes spricht (Offb. 16, 12-16).
Darin sieht die Tradition sozusagen
die letzte Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse,
zwischen Gott und Satan.

Für evangelikal-fundamentalistische Kreise in den Vereinigten Staaten
ist Harmagedon seit längerm schon ein hochaktuelles Thema.
Und die politisch-religiöse Ideologie eines George W. Bush
hat hier ihre Wurzeln.

Auf diesem Hintergrund ist nicht nur die Rede des Präsidenten
von „der Achse des Bösen" oder vom „Kreuzzug gegen das Böse" zu interpretieren.
Auf diesem Hintergrund werden auch seine häufiger werdenden
religiösen Redewendungen in ihrer Gefährlichkeit durchsichtig.
Z.B. wenn er sagt:
„Freiheit ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt.
Freiheit ist Gottes Geschenk an jedes menschliche Wesen auf der Welt...
Gott hat uns aufgerufen,
unser Land zu verteidigen
und die Welt zum Frieden zu führen.
Und wir werden beide Herausforderungen 
mit Mut und Selbstvertrauen angehen."
„(Terroristen) hassen den Gedanken,
daß wir in diesem großartigen Land
Gott den Allmächtigen anbeten,
wie es uns gefällt.
Und was sie wohl noch wütender macht,
ist, daß wir uns nicht ändern werden."

Wir sind es zu wenig gewohnt,
biblische Texte politisch zu interpretieren,
obwohl die enge Verknüpfung von Religion und Politik
zur Zeit Jesu dies nahelegen sollte.
Christliche Tradition rückt eher 
eine auf das Individuum bezogene Betrachtungsweise
biblischer Geschichten in den Vordergrund.
Gerade angesichts des heutigen Evangelienabschnittes
drängt sich jedoch eine politische Interpretation
geradezu auf.

Dennoch möchte ich abschließen mit einer Frage,
die dem eher individuellen Verständnis des Evangeliums Rechnung trägt:
Welche „Tische" müßten wir selbst wohl
in unserem ganz persönlichen und alltäglichen Leben „umstoßen",
wenn wir die Intention Jesu auf uns beziehen?

Amen.