Predigt zum Karfreitag 2003
"Am Karfreitag Ostern feiern".
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Christen feiern den Karfreitag.
Und doch: Wenigstens auf den ersten Blick
gibt es da nicht den geringsten Grund zu feiern:

Da ist ein Mensch -
einer, der wie niemand sonst wirklich Mensch ist;
einer, der sich wie niemand sonst anderen zuwendet,
andere heilt, sie von ihren Ängsten, ja sogar von ihrer Schuld befreit;
einer, der ganz und gar von der Vision einer menschlichen Welt,
von der Vision der Liebe und des Friedens her lebt.
Und ausgerechnet dieser Mensch
wird gewaltsam und auf eine grauenvolle Weise ausgeschaltet.

Da sind unzählige Menschen durch alle Jahrhunderte hindurch,
die wie Er gefoltert und gekreuzigt werden,
die auf den Schlachtfelder der Kriege verrecken,
die in ihrem Elend verhungern.

Mit ihnen allen scheint jedwede Hoffung zu sterben.
Am Karfreitag vernichtet unmenschliche Macht und Gewalt
jedwede Vision einer friedlichen, liebevollen und menschlichen Zukunft.

Und wer sich in dieser Welt der Gewalt 
einen Rest von Sensibilität bewahrt hat,
kann nur betroffen, ja erschüttert aufschreien oder ganz verstummen.

Diese Betroffenheit, diese Erschütterung
spiegelt sich sehr wohl auch in der Liturgie der Kartage:
Die Glocken schweigen,
es erklingt keine Musik,
die Lichter verlöschen,
selbst der Kirchenraum bringt in seiner Kargheit
Trauer zum Ausdruck.
Die Gottesdienste beginnen still und schweigend,
die Priester werfen sich zu Boden -
hingeworfen angesichts all der Ungeheuerlichkeit,
die dieser Tag in unser Bewußtsein hebt.
Die Texte der Gottesdienste sind voller Klage.

Und doch verzweifeln wir nicht,
sagen vielmehr: Wir feiern den Karfreitag!
Warum?
Weil wir auf Ostern hoffen - gegen alle Hoffnung?
Weil das Leben siegen wird über alles Todesmächte -
übermorgen vielleicht?
Oder irgendwann einmal in ferner Zukunft?

Nein! Nicht deshalb!
Wir sind keine Illusionäre!
Vielmehr wissen wir im Glauben und haben es erfahren:
Ostern ist jetzt! Ostern ist heute!
Am Karfreitag gilt es, Ostern zu feiern!
Das Leben ist stärker als der Tod.
Schon in der Natur ersteht 
aus winterlicher Todesstarre neues Leben.
Und immer wieder können wir erfahren,
wie gegen alle Hoffnung Neuaufbrüche gelingen -
auch in unserem Leben.

Und durch zwei Jahrtausende hindurch
haben Christen erfahren und weitererzählt:
Dieser Mensch, der am Kreuze starb,
Er ist auferstanden in dieses Leben hinein,
Er ist auferstanden auch in unsere Zeit hinein,
Er lebt - hier und heute.

Diesen Glauben, diese Erfahrung
feiern wir nicht erst am Ostersonntag.
Diese österliche Erfahrung feiern wir 
in den drei österlichen Tagen, 
zu denen auch der Karfreitag zählt. 
Diese österliche Erfahrung feiern wir 
an jedem Sonntag - jahrein, jahraus.
Diese österliche Erfahrung feiern wir jedesmal,
wenn wir zusammenkommen,
um miteinander Eucharistie - Danksagung - zu feiern.

Gehen wir also auf die Suche nach Ostern -
in der Liturgie des Karfreitags:
Heute morgen haben wir die Karmetten gefeiert.
Sie sind auf den ersten Blick geprägt
durch Klagepsalmen und durch die Klagelieder des Jeremia.
Ein Licht nach dem anderen verlöscht.
Und selbst das letzte Licht wird uns genommen,
wenn ein Minstrant es hinter die Kreuzesmauer trägt.
Durch lange Minuten des Schweigens hindurch
scheint die dunkle Seite des Karfreitags
die Oberhand zu behalten.
Dann aber kehrt das Licht zurück
und wird hoch auf den Leuchter gestellt:
Eine Osterkerze - heute schon am Karfreitag.

Und dann die „Feier (!) vom Leiden und Sterben Christi":
Wir haben die Leidensgeschichte in ihrer ganzen Länge
und mit all ihren Grausamkeiten gehört -
bis endlich der Tod eintritt
und - wie es in den anderen Evangelien ausdrücklich gesagt wird -
eine Finsternis über das ganze Land kommt.

Wir aber feiern das Leben,
das eben nicht vernichtet wird,
sondern aus dem Tod in neuem Glanz aufersteht:
Wir werden gleich das Kreuz verehren,
das nicht ein Instrument des Todes bleibt,
sondern zum Zeichen des Sieges über den Tod geworden ist.
In früheren Jahren haben wir zum Zeichen dafür
dieses Kreuz umgeben mit einer Vielzahl von Lichtern.
Wir werden es diesmal mit einem Meer roter Rosen schmücken,
mit blühenden Blumen also,
mit den Boten eines neuen Frühlings, eines neuen Lebens:
Am Karfreitag - Ostern!

Umgekehrt werden wir übermorgen, in der Osternacht
nicht abheben und den Boden der Realität unter den Füßen verlieren.
Auch die Liturgie des Osterfestes
steckt voll von Bezügen auf den Karfreitag des Lebens
mit all seinem Leid und Tod.
Schon die Osterkerze 
- das österliche Licht- und Lebenssymbol schlechthin - 
trägt die Wund- und Todesmale Jesu.
Bei der Taufwasserweihe 
steigt der Auferstandene selbst im Symbol der Osterkerze
hinein in die Tiefe des Todeswassers,
und verwandelt es sozusagen in das Wasser des Lebens.
Achten Sie selbst einmal darauf,
wie auch sonst immer wieder in der Osterliturgie
Motive des Karfreitags anklingen.

Und laßt uns als österliche Erkenntnis
mitnehmen in dieses Jahr und in unseren Alltag:
Wie sehr auch das Leben vom Tod umfangen ist,
so sehr ist doch auch jedwede Todeserfahrung
aufgehoben in jenem Leben,
das wir in diesen österlichen Tagen feiern.

Amen.