Predigt zu Pfingsten 2003 (B)
Thema: "Trinken"
Schrifttexte: Röm. 8, 13-30 und Joh. 7, 37-39
Autor: P.Ludger Hillebrand S.J.
"Ich bin ein Weinliebhaber", sagt Herr Rohn. Er erzählt seiner Freundin Una oft von seinen Schätzen : Flaschen aus unterschiedlichen Regionen, aus erlesenen Weingütern, aus verschiedenen Jahrgängen, alte und neue Traubensorten. Herr Rohn erzählt gern. Ein Fachmann, der etwas von Flaschen versteht. 
Herr Rohn und Una sitzen mal wieder zusammen. Und Herr Rohn erzählt von seinen Schätzen. Una wird heute ungeduldig : "Laß uns eine dieser erlesenen Flaschen köpfen". "Bist du verrückt?" Entgeistert blickt Herr Rohn sie an. "Diese erlesenen Flaschen trinken ?" "Ja", sagt Una. "Wozu ist der Wein denn sonst da?" "Zum Sammeln, zum Etikettieren, zum Pflegen, zum Bewahren, zum Hüten, zum Ordnen, zum Schreiben von Gourmetbüchern, zum Erzählen, zum Philosophieren, zum ... ." Herr Rohn wird langsamer im Sprechen. "Laß uns trinken", sagt Una. "Trinken?" fragt Rohn. "Trinken!" so kommt es leise über seine Lippen , und sein Gesicht gewinnt einen anderen Ausdruck. Als die erste Flasche entkorkt wurde, begann ein geistvoller, köstlicher Abend.

"Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt." Worte Jesu. "Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben (Johannes 7,38 f.)

Und der Geist wurde in Flaschen gefüllt, etikettiert, geordnet, weggepackt und systematisiert. Wein in Lagerhallen und in den Kellern der Konsumenten. Viele Berufsstände entwickelten sich, nennen möchte ich heute zwei von ihnen : Lagerhalter und Etikettierer.

Wie kann man den Geist Jesu bewahren ? Jahrhundertelang ?

· Die orthodoxen Lagerhalter behaupten, daß es dem Wein gut tut, wenn Wolken von Weihrauch ihn umwabern. Nur das sei der respektvolle Umgang mit einem so kostbaren Gut. Ihre Lagerhallen sind meist an Zwiebeltürmchen zu erkennen. Kunstvolle Bilder zieren ihre Hallen. 

· Die katholischen Lagerhalter erkannten, daß nicht jede Aufbewahrung dem Wein Jesu, seinem Geist gut tut. Man einigte sich auf eine zentrale Weinverordungs- und Lagerungskontrollstelle in Rom. Und jede Filiale weiß nun, wie der Wein aufzubewahren, zu pflegen, auszugeben und zu kontrollieren ist. 

Die evangelischen Lagerhallen sind, ebenso wie die der anderen beiden Fraktionen mit Türmen kenntlich gemacht. In der Innenausstattung sind sie meistens puristischer. Weinregale aus kunstvoll gedrechseltem Holz, Weihrauch und die wöchentliche Versammlung der Weinliebhaber sind ihnen eher fremd. Man hat statt Rom viele regional organisierte Weinlagerungskontroll- und Ausgabestellen. Zweijährige Konfirmationskurse machen evangelische Christen mit den Grundzügen der vorwiegend privaten Lagerhaltung bekannt. 

Im Großen und ganzen sind alle drei Lageristenfraktionen mit sich zufrieden. 1/3 der Welt trinkt ihren Wein, lediglich in Europa gibt es wegen der Fülle der Getränkeangebote manchmal Absatzprobleme. 

Um den Wein des Glaubens absetzen zu können, rückt der Berufsstand der Etiketierer immer mehr ins Zentrum. Sie machen von sich reden und reden welche Farbe, welches Layout, welcher Schrifttyp nun völlig veraltert ist, welcher unter anderer Farbgestaltung die alten Zielgruppen anspricht und welcher Schriftzug neue Zielgruppen erschließt. Wie kann der Wein des Glaubens ansprechend zur Geltung gebracht werden ? Sie treffen sich gern und lassen sich immer wieder von Unternehmensberatern anregen. In Berlin konnte man sehen, daß mit ansprechenden Flyern, gutem Entertainment und Aufdrucken, Tausende von jungen Kunden angesprochen werden können. Der Staub der alten Flaschen ... wie weggeblasen ... . 

Die Kunden freut es. Die meisten wenigstens. Einige beschweren sich, daß das Angebot nun zu unübersichtlich geworden ist. Manch ein Alter sagt wehmütig : "Ich habe in meiner Jugend einen edlen Tropfen Glauben erhalten. So etwas gibt es heute nicht mehr. Heute sieht alles anders aus. Vielen gemeinsam ist es, daß der Korken draufbleibt. Flaschen werden gesammelt, man lobt sie, aber man trinkt kaum. Zu Weihnachten vielleicht oder zu Ostern. In den Lagerhallen Deutschlands soll es nur noch 10 % regelmäßige Trinker geben. In den Privatwohnungen, so eine Spiegelumfrage, trinken ca. 30 % regelmäßig vom Wein des Glaubens. 
 

Ende Mai, Anfang Juni dieses Jahres hatten die evangelischen und katholischen Lageristen und ihre Kunden eine große historische Versammlung in Berlin. Über 200 000 Lageristen, Kunden und Weinliebhaber versammelten sich und genossen es, daß man sich über manche Weinverordungs- und Weinlagerungserfahrungen austauschen konnte. 

Da ich in zwei Weinlagerungshallen arbeite, bin ich mit einigen Kunden bei dem großen Treffen in Berlin gewesen. Interessante Diskussionsforen, herzliche Begegnungen, man kommt sich wirklich näher, Impulse wie die Weinliebhaber sich auf den Prozeß der Globalisierung einstellen können, ob es einen persönlichen Zugang zum Wein gibt, ob jeder jeden Wein trinken darf, welcher Wein aus welcher Lage, der jeweiligen Lage des Konsumenten angemessen ist, auch Lageristen aus Hallen ohne die typischen europäischen Türme waren da, kurz : Gott und die Welt trafen sich und

Auf den ersten Blick .... es wurde für meinem Geschmack erstaunlich wenig getrunken. Und gar besoffene, die trunken auf die Straße stürmen ? 

Auf den zweiten Blick : da waren tausende von Jugendlichen, die bei B3, New Generation und anderen Bands in Bewegung kamen. Die Taizegebetshalle mußte weiträumig abgesperrt werden. Wegen Überfüllung von stillen Genießern. Tausende ... bis in den Wald hinein lagerten die Liebhaber des französichen Weines. Und ich denke an Trommler des Kirchentages, die sich als sexy bezeichneten. Ein schönes Wort für die Tatsache, daß wir ein Tempel des Heiligen Geistes sind. 

"Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt." Worte Jesu. "Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben (Johannes 7,38 f.)

Ich denke an einen Besoffenen, der auf der Bühne erzählte : Jesus liebt dich." So etwas finde ich fast unanständig. 

Echte Liebhaber sind nicht aufdringlich. Sie besitzen viele Flaschen, Bücher und Wissen göttlicher Weinkultur. Mittwochs um 18 Uhr treffen sich in St. Nicolai hunderte von Menschen, um mehr über die Weinkultur früherer Zeiten zu erfahren. Und es gibt wirklich große Gelehrte, die intelligent darüber diskutieren, wie der Glaube am besten gelagert wird. Und selbst der kleinste private Mensch ist stolz auf seine genaue Ordnung im Weinkeller.

"Trinkt !" ruft Jesus. Das klingt für viele nach der Revolution der wohltemperierten Weinkeller: Das was in den ordentlich gehüteten Nischen des Herzens ist, soll ich aufmachen ? Träume, Gebete, die manchmal peinliche Sehnsucht nach Gott und der Liebe ? Was passiert mit den heiligen Kellern, wenn der Wein des Glaubens getrunken 
wird ? 

Was passiert, wenn ich in die Nischen des Herzens gehe ? Kindheitsträume, Sätze voll Weisheit, Begegnungen voll Poesie und Zärtlichkeit ? Wird ich nicht ausgelacht, wenn ich mich an der Liebe Gottes berausche ? Verbraucht sich nicht alles schnell, wenn ich ans Licht hole, was sorgsam verborgen ist ? Ist es nicht besser nur am Wein zu nippen, statt ihn zu trinken ? Man muß es mit dem Glauben ja nicht gleich übertreiben. " Jesus liebt dich," das klingt doch prolig, nach freikirchlichen Kioskbesitzern und charismatischen Konsumenten. 

"Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt." Worte Jesu. "Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben (Johannes 7,38 f.)

Er will verkostet werden, geöffnet, geteilt werden : Geschmack am Leben ! Auf der Zunge zergehen will er : 

Ich spüre, wie Gott mich liebt 

· Das Geschenk der Natur
· Menschen an meiner Seite, ich danke dir für .... 
· Worte der Heiligen Schrift
· Das Beispiel heiliger Frauen und Männer 
· 
"Wie den Glauben verkosten und trinken ?"

· Jemand nimmt sich etwas Zeit, setzt sich in eine Bank und wird still. Und nach einigen Minuten entsteigt dem Herz ein Duft, ein eigenes Aroma : "Ich bin von Gott angenommen". Ein Satz,, Schluck für Schluck. Und er verbindet sich mit einem Psalmwort : "Ich danke Dir, daß du mich so wunderbar gestaltet hast, ich weiß staunenswert sind Deine Werke." (Psalm 139/4) 
Und jemand steht erheitert auf, beschwingt, wie nach einem guten Glas Wein. Und der nächste Entgegenkommende wird freudestrahlend begrüßt. Der Geist des Glaubens.

· Die Großmutter erzählt einer Enkelin, wie ihr der Glaube geholfen hat den Krieg zu überleben. "Das hätte ich nicht gedacht" , bemerkt die Jugendliche zu der Oma, die sich geöffnet hat, und reinen Wein einschenkte, ihre Hoffnungen und Trauer, Ängste und Haltepunkte des Seele.

· Jugendliche tanzen auf dem Kirchentag zu Raggaemusik und offenbaren, daß ihr Körper der Tempel des Heiligen Geistes ist, Musiker erzählen von ihrem Glauben und einer plant die Aktion Kunstdünger, damit junge Musiker zur Entfaltung und zu Jesus kommen. 

All das und noch viel mehr passiert, wenn die Flaschen geöffnet werden. Wenn man nur mal daran nippt, mal betet, mal Stille sucht, mal in der Bibel liest oder einen Gottesdienst besucht, passiert nicht viel. Etwas Geschmack auf den Lippen und vielleicht die Ahnung, daß es ein guter Tropfen sein könnte. Wer trinkt, in dem entfaltet sich der Geist des Weines. Und wie auch in anderen Lebensbereichen: Gemeinschaftliches Trinken des Glaubens ist meist viel lustiger, als zuhause allein zu trinken. 
 

Was das Trinken bei Jesus bewirkt, beschreibt Paulus so : "Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal. 5,23)." Paulus war schon vor seiner Bekehrung ein Wein und Glaubensliebhaber gewesen. Er war perfekt geordnet, alles war geregelt und sicher im Keller untergebracht, und wehe dem, der die heilige Lagerordnung durcheinander bringen wollte! Durch die Begegnung mit Jesus öffnet er die alten Flaschen, findet Geschmack am Leben und verkündet wie köstlich der Wein des Glaubens ist (vgl. Gal 3,14 und Epheser 1,18). Er wird freier, zu einem Kind der neuen Welt. 

Franziskus, Katarina von Siena, Ignatius von Loyola, Dietrich Bonhoeffer, Philipp Neri, Edith Stein, .... sie alle haben sich nicht vom Trinken abhalten lassen. Morgens, mittags, abends und nachts: Jesus im Blut. Wer ständig trinkt, ... aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen... . "

Nehmen wir ihn in vollen Zügen in uns auf.
Trinken wir ihn, der uns reinen Wein einschenkt, 
Wein der Freude, der keinen Kater erzeugt 
wie manche Weine dieser Welt 
Wir werden freier und beschwingter.

Amen.