Predigt zum Gründonnerstag 
am 8. April 2004
Thema: "Mahl"
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Wir feiern das Abendmahl Jesu.
Ein Anlaß einmal über die Bedeutung von "Mahl" nachzudenken,
da dieses Wort fast ganz aus unserem alltäglichen Wortschatz
verschwunden ist.

Wenn ein Wort aus unserem Sprachschatz verschwindet,
liegt der Verdacht nahe,
daß es auch um die Sache nicht gut bestellt ist.
Jesus lädt uns immer wieder ein zu seinem „Mahl".
Das feiern wir heute.
Aber dies Wort ist fast nur noch
im religiösen Bereich zu Hause:
„Abendmahl" - „Herrenmahl".
In unserem alltäglichen Leben hat es keinen Platz mehr.
Es fehlt ihm der „Sitz im Leben".

Heute „essen" wir nur noch.
Das hat man selbstverständlich immer schon getan.
Aber für festliche Gelegenheiten hatte man
darüber hinaus die Bezeichnung „Mahl".
Damit ist mehr gemeint als nur
„Nahrung aufzunehmen".

Für ein Mahl ist kennzeichnend,
• daß es in einem festlichen Rahmen stattfindet,
• daß die Gemeinschaft der Teilnehmenden im Vordergrund steht,
• daß die Teilnehmenden auch selbst festlich gekleidet sind,
• daß sich alle für dieses Zusammensein viel Zeit nehmen,
und Ruhe mitbringen,
• daß sich anregende Gespräche entwickeln.

Machen wir uns das bewußt,
wird zugleich klar, 
warum das „Mahl" in unserem Umfeld kaum noch eine Rolle spielt:
• der Unterschied zwischen Alltag und Festtag,
zumal der zwischen Alltag und Sonntag
ist weitgehend nivelliert,
• verbindliche Gemeinschaften gibt es immer weniger:
- Familien - zumal Großfamilien - zeigen Auflösungserscheinungen,
- die hochgepriesene Mobilität und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt
tut das Ihre dazu,
- eine ständig zunehmende Zahl von Menschen
lebt auf Dauer oder wenigstens für lange Zeit als „Single".
• Man unterscheidet zwar zwischen Freizeitlook und chicker Kleidung;
aber zwischen Alltag und Sonntag ist auch in der Kleidung
kaum noch ein Unterschied.
• Zeit haben wir schon gar nicht.
Im Gegenteil: Ein dicht gefüllter Terminkalender
ist vielfach zu einem Statussymbol geworden.
• Auch die innere Ruhe fehlt uns in einer gehetzten und stressigen Zeit.
• Und dementsprechend fehlt uns auch die Ruhe und Aufmerksamkeit
für ein wirkliches Gespräch.

Unter diesen Umständen gelingt uns nur selten
ein gemeinsames Essen, das den Namen „Mahl" verdient hätte.
Das typische Stichwort unserer Zeit heißt „Fastfood".
Das muß ganz schnell gehen -
gegebenenfalls sogar als „Drive-in":
In der einen Hand das Steuer, in der anderen einen Hamburger.

Auf dem Hintergrund einer solchen „Kultur"
verlieren wir unmerklich den inneren Bezug
zu jenem „Mahl", zu dem Jesus uns einlädt.
Viele Zeitgenossen ignorieren diese Einladung einfach -
und das nicht nur, weil sie keine religiösen 
oder keine glaubenden Menschen wären,
sondern vermutlich wenigstens so sehr aus „kulturellen" Gründen.
Und wir selbst?

Schauen nicht auch wir immer mal wieder auf die Uhr,
während wir dieses „Mahl" feiern"?
Tun wir das wirklich nur, weil die Gottesdienstgestaltung
oder die Predigt des Pfarrers „langweilig" sind?
Oder tun wir‘s nicht auch, weil wir schon während des Mahles
an den nächsten „Termin" denken,
oder einfach nur, weil in fünf Minuten der nächste Bus fährt?

„Mahl" - das ist ein Ort der Begegnung!
Und beim „Herrenmahl" geht‘s nicht nur um die Begegnung mit Gott,
sondern ebenso sehr um die Begegnung mit „Schwestern und Brüdern".
Gewiß - wir singen und beten miteinander,
wir pflegen auch die Gewohnheit des Friedensgrußes.
Eine „Agape" gönnen wir uns allenfalls zum Ausklang 
der Christmette oder der Osternachtfeier.
Ansonsten sind fast alle husch-husch verschwunden
noch während das letzte Lied gesungen wird -
auf jeden Fall aber gleich danach.
Für einen „Plausch" reicht die Zeit nicht mehr,
vielleicht nicht einmal das Interesse an den „Schwestern und Brüdern".

So wird auch nicht die Chance genutzt,
neue Menschen kennenzulernen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Und die Kehrseite davon ist, daß Menschen,
die nach Göttingen ziehen und neu dazu kommen,
kaum jemals angesprochen werden
und manchmal Jahre brauchen,
um in der Gemeinde Kontakte zu finden.

Die Einladung Jesu zu seinem Mahl
reicht jedoch weit über den Kreis seiner Jünger
und auch über den Kreis der hier versammelten Gemeinde hinaus.
Wenn wir miteinander das Herrenmahl feiern,
dann tun wir das in einer inneren Verbundenheit
mit der Feier des Herrenmahles weltweit.
Und dazu sind grundsätzlich alle Menschen eingeladen -
auch die „von den Hecken und Zäunen".
Jesus selbst hat eine solche allumfassende Tischgemeinschaft gepflegt:
mit den Zöllnern und Sündern,
mit den Kranken und Armen,
mit den Verachteten und Ausgegrenzten.
Das Herrenmahl hat immer auch eine diakonale Dimension:
Es gibt einen inneren Zusammenhang 
zwischen diesem Mahl Jesu hier in der Kirche
und dem „Mittagstisch St.Michael".

Und das alles hat sehr viel mit Glauben, bzw. Unglauben zu tun!
Christlicher Glaube spielt sich nicht nur in der Vertikalen ab.
Glaube wird gelebt und wird zu einem lebendigen Glauben
in der Gemeinschaft von „Schwestern und Brüdern" -
in der Horizontalen also.
Nicht von ungefähr stellt Jesus nach dem Johannesevangelium
einen unaufgebbaren Bezug her zwischen Abendmahl und Fußwaschung:
Miteinander und füreinander dasein - darum geht es,
wenn wir zum Herrenmahl zusammenkommen.
Leider gelingt dieses Miteinander und Füreinander
nicht einmal immer im begrenzten Rahmen der Gemeinde.

Daher möchte ich heute abend anregen,
dies Miteinander beim Gottesdienst und auch danach
bewußter und intensiver zu pflegen.
Am besten ist das bisher sonntags um 10.00 Uhr
beim Kindergottesdienst gelebte Wirklichkeit.
Wir alle könnten eine Menge von den Kindern lernen,
wie schon die meisten Eltern sehr viel gelernt haben.

Vor uns liegt ein hoffentlich schöner Sommer.
Wir haben mitten in der Innenstadt 
einen wunderschönen Innenhof.
Den werden wir noch mehr als in der Vergangenheit
mit einladenden Sitzgelegenheiten ausstatten.
Nehmen Sie die Gelegenheit wahr,
auch nach der Eucharistiefeier ein wenig zusammenzubleiben
und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Nach der sonntäglichen Abendmesse
gibt es schon seit langem
einen kleinen Kreis von Unentwegten,
die das Miteinander pflegen.
Das ist kein geschlossener Kreis!
Kommen Sie doch einfach dazu!

Laßt uns gemeinsam etwas dazu beitragen,
daß unsere Gottesdienste zu wirklichen Begegnungen werden,
und daß wir beim „Herrenmahl" nicht nur „Kommunion" empfangen,
sondern „communio" = Gemeinschaft leben.

Amen.