Predigt zum Tod von Johannes Paul II. am 7. April 2005 |
Evangelium: Joh. 20, 19-20.24-29 Autor. P.Heribert Graab S.J. Die Predigt wurde gehalten bei der offiziellen Gedenkfeier der Katholischen Kirche Göttingens in St.Paulus. |
Johannes Paul ist Ostern gestorben! Als Christen feiern wir in diesen österlichen Tagen das Leben, den Sieg des Lebens über den Tod, den Sieg des auferstandenen Christus über die Mächte des Todes. Wir glauben, daß all unseren Verstorbenen und eben auch Johannes Paul dem II. die Fülle dieses Lebens mit dem Auferstandenen geschenkt ist. Der Papst hat sich selbst bis in den Prozeß seines Sterbens hinein ganz und gar in den Dienst dieses österlichen Lebens gestellt und damit in den Dienst eines Lebens in Würde für alle Menschen - bereits hier. Ich habe für diese Gedenkfeier als Schriftlesung ein Osterevangelium gewählt - das Evangelium des vergangenen Sonntags. Wenn man dieses Evangelium mit neuen Augen liest - unter dem Eindruck der letzten Lebenstage dieses Papstes und unter dem Eindruck seines Sterbens - dann fällt auf: Jesus offenbart sich seinen Freundinnen und Freunden, und dann noch einmal in besonderer Weise dem Thomas als der Auferstandene, indem er ihnen seine Verwundungen zeigt. Im Blick auf seine Verwundungen kommen sie zum Glauben! Johannes Paul hat seine „Verwundungen" nicht versteckt. Im Gegenteil: Er hat seit Jahren schon die ganze Welt teilhaben lassen an seinem Altwerden, an seiner Parkinson-Erkrankung, an seiner Gebrechlichkeit und schließlich am Prozeß seines Sterbens. Mehr als mit all seinen verbalen Botschaften hat er damit ein glaubwürdiges Zeugnis abgelegt für die Würde menschlichen Lebens in Alter, Krankheit und Behinderung. Ein Zeugnis auch dafür, daß Leben mehr ist als das, was vordergründig als Schwäche erscheint. Ein Zeugnis für die österliche Dimension des Lebens. Ein Zeugnis also für den christlichen Osterglauben. Er hat damit vielen alten, kranken und gebrechlichen Menschen Mut gemacht und ihnen eine neue Hoffnung geschenkt. Beeindruckend waren für mich unter all den Würdigungen der letzten Tage die Worte eines an Parkinson Erkrankten, der seine Dankbarkeit gerade für dieses lebendige Zeugnis des Papstes zum Ausdruck brachte. Ich bin also nicht der Meinung, die Medien hätten mit ihrer Berichterstattung allzu Intimes an die Öffentlichkeit gebracht und sich in den Dienst eines billigen Voyeurismus gestellt. Im Gegenteil: Die Medien haben ganz im Sinne des Papstes seinem Glaubenszeugnis für das Leben, für die Würde des Lebens und für dessen österliche Dimension weltweit Ausdruck verliehen. „Weil du mich gesehen hast, glaubst du!" Dieses Wort Jesu an Thomas gilt in gewisser Weise auch im Blick auf viele Menschen heute: Das Engagement dieses Papstes für die Würde des Lebens hat gerade durch sein ganz persönliches Lebenszeugnis viel an Glaubwürdigkeit bei ihnen gewonnen und nicht wenige kamen zum Glauben, bzw. wurden im Glauben bestärkt. In diesen Tagen wird sehr viel über den Papst gesprochen und geschrieben. Er hat in 26 Jahren nicht nur der Kirche, sondern der Welt insgesamt seinen Stempel aufgedrückt. Bei fast allem, was seine Amtszeit prägte, ging es letztendlich um die Würde menschlichen Lebens. Konsequent in der Nachfolge Jesu Christi hat er sich vor allem dafür eingesetzt - sei es gelegen oder ungelegen. Wenn er kompromißlos Abtreibung und Euthansie als Verbrechen brandmarkte, dann ging es ihm dabei um eben diese Würde menschlichen Lebens - von allem Anfang an und bis zum letzten Augenblick. Noch in seinen letzten Tagen hat er sich für das Leben von Terry Schiavo eingesetzt. Es ist vielleicht mehr als ein Zufall, daß er wenigstens einige Tage nur durch eine solche Magensonde überleben konnte, deren Entfernung für jene Comapatientin den Tod bedeutete. Es störte ihn nicht, daß er durch eindeutige Stellungnahmen gegen Abtreibung und Euthanasie in die Ecke christlicher Fundamentalisten gerückt wurde. Er ließ sich andererseits gerade von diesen Kreisen ebenso wenig davon abhalten, auch die Todesstrafe klipp und klar zu ächten und jedweden Krieg als „auswegloses Abenteuer" zu bezeichnen. In beiden Fragen hat er wohl während seines Lebens selbst dazugelernt und sich schließlich nicht gescheut, auch kirchliche Traditionen über den Haufen zu werfen. Immer wieder suchte er die persönliche Begegnung mit kranken und behinderten Menschen. Auf einer Lourdes-Reise sagte er ihnen noch vor wenigen Monaten: „Ich teile mit Euch eine Zeit des Lebens, die von physischer Krankheit gezeichnet ist... Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte Euch alle in die Arme schließen, einen nach dem anderen." Immer wieder wird in Nachrufen das politische Wirken dieses Papstes hervorgehoben. Mir scheint in diesem Zusammenhang wichtig zu sein: Es geht auch dabei um die Würde des menschlichen Lebens. Das gilt für die Mitwirkung des Papstes bei der Überwindung der kommunistischen Unrechtssysteme. Das gilt für sein Bemühen um Gerechtigkeit und Frieden für die Menschen der sogenannten Dritten Welt. Vielleicht ist es erlaubt, bei diesem letzten Punkt anzusetzen mit einer ersten kritischen Frage: Dient es wirklich der Würde menschlichen Lebens, in den südlichen Ländern Afrikas, die stöhnen unter der Geißel von Aids, die Benutzung von schützenden Kondomen rigoros zu verbieten? Oder wird da vielleicht ein Prinzip, das zudem auf einer fragwürdigen Naturrechtslehre beruht, über den Menschen und über die Würde seines Lebens gesetzt? Und das - obwohl Jesus uns doch gelehrt hat, das Gesetz sei für den Menschen da und nicht der Mensch für das Gesetz. Wenn in diesen Tagen von dem größten Papst des Jahrtausends die Rede ist und manchmal der Eindruck entsteht, da werde bereits seine Heiligsprechung vorweg genommen, dann dürfen solch kritische Fragen nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Dann müssen auch innerkirchlich offene Fragen zur Sprache kommen - z.B. die Frage nach der Stellung von Frauen in der Kirche. Es ist sicher richtig, daß sich diese Frage nicht ausschließlich um eine mögliche oder eben nicht mögliche Priesterweihe von Frauen drehen sollte. Es gibt zweifelsohne Leitungsfunktionen in der Kirche, die unabhängig sind von der Priesterweihe. Aber auch da muß man Frauen mit der Lupe suchen. Und die theologischen Begründungen in diesem Kontext müßten vielleicht doch noch einmal gründlich hinterfragt werden. Die modernen Kommunikationsmittel machen heute einen zentralistischen Leitungsstil in der Kirche möglich, wie er in der Vergangenheit niemals gepflegt werden konnte. Der Nachfolger unseres verstorbenen Papstes wird sich mit den daraus resultierenden Fragen konfrontiert sehen und in diesem Zusammenhang wohl auch die Rolle der Kurie neu bedenken müssen. Die wichtigste Aufgabe des Papstamtes ist wohl die Wahrung der Einheit. In dieser Aufgabe war Johannes Paul II. vor allem durch die Traditionalisten in der Kirche herausgefordert. Im Wesentlichen ist es ihm zwar gelungen, diese Herausforderung zu bestehen. Allerdings hat er dafür einen hohen Preis bezahlt: Das, was viele als Stillstand oder gar Lähmung der Kirche bezeichnen, und den stillen Auszug vieler, die dadurch von der Kirche enttäuscht wurden. Vor dieser enormen Aufgabe in einer multikulturellen und glabalisierten Welt wird auch der neue Papst stehen. Die Frage wird sein, ob er andere und vielleicht bessere Wege findet, die Kirche zukunftsfähig zu machen und zugleich die Einheit zu wahren. Die Zukunft der Ökumene und des Dialoges mit anderen Religionen war für Johannes Paul II. zweifelsohne ein Herzensanliegen. Es sei erinnert an die Übereinkunft zur Rechtfertigungsfrage, an seine Besuche bei der evangelischen Kirche Roms, aber auch in Synagoge und Moschee. Es sei erinnert an sein Schuldbekenntnis und an sein Gebet an der Klagemauer in Jerusalem. Es sei erinnert an das Friedensgebet mit vielen Religionsführern in Assisi. Dennoch bleiben viele offene Fragen, die wir im Blick auf die christliche Ökumene nicht nur aus unserer deutschen Perspektive betrachten dürfen. Manchmal möchte ein spürbarer Fortschritt im Verhältnis zu den evangelischen Kirchen und zugleich im Verhältnis zur Orthodoxie wie die Quadratur des Kreises erscheinen. Auch vor diesen Schwierigkeiten wird ein neuer Papst stehen - genau so wie Johannes Paul II. vor diesen Schwierigkeiten stand. Eine Frage beschäftigt mich schon länger ganz persönlich: Ich habe während des größten Teils meines Lebens in dieser Kirche Jugendarbeit gemacht. Ich weiß, daß das eine sehr mühselige und manchmal auch frustrierende Arbeit ist. Meine Frage - nicht ganz frei von einem Anflug von Neid - lautet: Was habe ich falsch gemacht? Und was ist das Geheimnis dieses Menschen Karol Woityla, dem die Herzen von jungen Menschen gleich millionenfach zufliegen? Ich bin sicher, der Schlüssel zur Antwort ist nicht das Amt des Papstes. Es ist vielmehr seine Persönlichkeit. Da wird seine persönliche Glaubwürdigkeit genannt, daß er persönlich lebte, was er verkündet hat; auch seine Fähigkeit menschlicher Zuwendung, sein Humor, seine Spontaneität, seine tiefe Frömmigkeit, seine Offenheit und das Zusammenspiel von all dem. Vermutlich ist die eigentliche Wurzel all dessen eine geradezu intime Verbundenheit mit Jesus Christus, ein zugleich kindlicher und doch auch in einem nicht ganz einfachen Leben gereifter Glaube. In diesem Glauben, um den er wahrscheinlich auch immer wieder ringen mußte, konnte er als ein froher und letztlich angstfreier Mensch leben und zuletzt auch sterben. Vielleicht ist dieser scheinbar so selbstverständliche Glaube in der Verbindung mit einer Reihe von glücklichen Gaben der Natur das Geheimnis seines faszinierenden Charismas. Jedenfalls lohnt es sich, diesem Geheimnis - auch über die Zeit der Nachrufe hinaus - nachzuspüren und darum zu beten, es möge auch für unseren ganz persönlichen Glauben fruchtbar werden. Amen. |