1. Fastenpredigt: 12. Februar 2005
"
Wer ist unser Gott?"
Schriftlesung:
Autor. P.Ansgar Wiedenhaus S.J.
Wenn wir von Gott reden, dann hängt unsere Beziehung zu diesem Gott von unserem Bild von ihm ab. Diese Bilder gehen vom „Riesenengel“ bis zum überdimensionalen Verkehrspolizisten, der streng darauf achtet, ob wir auch die Fastenzeit einhalten. Ein trauriger Glaube ist das, der so einen Gott hat. Genauso traurig ist aber auch ein Glaube, in dem Gott immer fünf gerade sein läßt. Nach unserem Leben kommt dann die Barmherzigkeitskeule und alles, was unser Leben bedeutet hat, wird für unwichtig erklärt. Der christliche Glaube ist sich dieser Spannungen bewußt und bekennt darum einen Gott, der eben nicht wie wir ist, nur einfach größer. Wir drücken den Glauben an unseren Gott nicht durch das Bild von einem Riesenmenschen aus, sondern durch eine Beziehung.

Wir sagen, daß Gott die Liebe ist (also nicht, daß er sie nur hat). Liebe spielt sich aber immer zwischen Personen ab. Man kann nicht alleine auf einem Stuhl sitzen und sagen "Ich bin voller Liebe". Liebe muß sich buchstäblich äußern. Die Form der Liebe ist Hingabe. Das können Sie daran sehen, daß enttäuschte Liebe in der Regel eben nicht darin besteht, daß man den anderen nicht haben kann, sondern darin, daß der andere einen nicht haben will. Bei uns stößt diese Hingabe an ganz natürliche Grenzen. Selbst wenn wir von körperlicher Vereinigung reden, hat auch diese ihre Grenzen und auch psychologisch können wir uns nicht ganz hingeben, ohne zu verschwinden, was dann nichts mehr mit Liebe zu tun hat (denn dazu gehören ja zwei). Gott ist aber vollkommene Liebe. So kann man sagen (um jetzt im Schema Vater, Sohn, Geist zu bleiben), daß der Vater sich ganz in Liebe an den Sohn verschenkt und alles, was er hat, dem Sohn gibt, und der Sohn sich so hingibt, daß er ganz dem Vater gehört. Also eine Hingabe zwischen den Personen, die so vollkommen ist, daß es sinnvoll wird, von einer Einheit der Liebe zu sprechen. Und die Liebe, in der sie sich aneinander verschenken ist so sehr sie selbst, daß wir sagen, daß auch das Gott ist - der Heilige Geist.

Jetzt kann man sagen: "Schön und gut, aber erstens tauche ich ja gar nicht darin auf und zweitens scheint das alles nur theologisches Geplänkel zu sein". Die Antwort darauf ist einfach. Sie kennen vielleicht Paare, deren Liebe etwas Merkwürdiges hat. Wenn man sie besucht, hat man die ganze Zeit den Eindruck, daß man stört, und irgendwie hat das ganze ein ungesunde Art, andere auszuschließen. Bei funktionierenden Partnerschaften ist man gerne zu Gast und fühlt sich willkommen und wohl (beides als Grundstimmung nicht jeweils in Reinform). Solche Paare sind in der Lage, etwas so Aufwendigem und Zeitraubendem zuzustimmen wie einem Kind. So ist es auch mit der Dreifaltigkeit: Aus ihrer Liebe entsteht die Welt, einfach damit noch mehr da ist, das Gott lieben kann. Wir sind sozusagen die Wunschkinder Gottes. Und noch etwas springt für uns dabei raus: Wenn der Sohn in die äußerste Entfernung vom Vater geht, bis ans Kreuz, bis in den letzten Winkel der Welt, von dem man sagen kann "Hier wird's gottlos", dann kann man sich das bildhaft so vorstellen, daß er das tut, damit wir alle dazwischen passen und hineingenommen sind in die Liebe des Vaters zum Sohn, in den Heiligen Geist. Und genau hier haben Sie die Erklärung für den Begriff Gnade. Gnade heißt einfach, daß wir unverlierbar in die Liebe Gottes hineingenommen sind. Darum ist Gnade eben kein Zustand oder eine Eigenschaft, die einigen zukommt und anderen nicht, oder die man gar verlieren könnte. Gnade kommt uns durch unser Geschaffensein zu.
 
So können wir sagen, daß wir einen Gott haben, der Liebe ist, daß wir in einer Welt leben, die durch Liebe entstanden ist, und die bevölkert ist von lauter Wunschkindern Gottes. Aber die guten Nachrichten hören hier noch nicht auf. Nur zu sagen, daß wir auf irgendeine Weise in der Liebe Gottes stehen, ist ja bis hierhin erst einmal nur Schall und Rauch. Gott geht aber noch einen Schritt weiter. In der biblischen Ausdrucksweise wird davon geredet, daß wir „nach Gottes Bild geschaffen sind“. Nun ist klar, daß damit nicht gemeint sein kann, daß er vielleicht eine Brille trägt, sondern daß wir Ähnlichkeit mit seinem Wesen haben, und das drückt sich darin aus, daß wir lieben wollen und geliebt werden wollen. Unsere Familienähnlichkeit mit Gott besteht in unserer Liebesfähigkeit. So kann man sagen, daß unser größtes, vornehmstes und würdigstes Gebet die Liebe ist, was sich im Katholizismus ausdrückt im Sakramentcharakter der Ehe. Wir können die Spuren von Gottes Liebe also in Beziehungen entdecken, die von Liebe, Wohlwollen und Respekt geprägt sind. Wenn Eltern also ihre Liebe zu ihrem neugeborenen Kind zeigen, dann vermitteln sie damit dem Kind einen ersten Eindruck vom Lächeln Gottes.
Was bringt uns also diese Gnade, aus der heraus wir geschaffen sind? Was ist der Gewinn? Ein bloßes Schulterklopfen Gottes, ein „Ganz gut, daß du da bist“ wäre schließlich etwas wenig.

Die Antwort ist einfach: Wir können daraus die Hoffnung gewinnen, daß nichts verloren geht. Die Verheißung, die im gerade vorgestellten Glauben liegt, besteht darin, daß alles, was wir jetzt als vorläufig, bedroht und oft auch besiegt erleben, nicht verschwindet, nicht verschwendet ist. Daß das, was Sie in ihrer Arbeit an Güte und Liebe investieren, eben nicht ein Tropfen auf den heißen Stein ist, sondern vielmehr zu etwas Großem und Guten gehört, das sich durchsetzen wird. Wir dürfen hoffen, daß Gottes Ja zu uns stärker ist als das Nein einer Welt, die uns oft zuzuschreien scheint, daß alle Güte vergebens ist. Und diese Hoffnung ist nicht ein billiges Vertrösten auf ein Jenseits, in dem alles einmal gut wird, auch wenn man hier nichts davon merkt. Es geht also nicht um eine Heile-heile-Segen-Spiritualität, die die Welt, so wie sie uns begegnet nicht ernstnimmt. Vielmehr kann uns diese Hoffnung beflügeln, unser jetziges Leben mit einem neuen Ernst, einer neuen Würde wahrzunehmen. Sie befreit uns dazu, das auszuleben, was wir im Tiefsten sind: liebende und geliebte Menschen.

Nun kann es auf diese Darlegungen zwei Einwände geben. Der erste Einwand besteht in einem Blick auf die Welt, die dem Menschen oft so feindlich gesinnt scheint, und in der schlimme und zerstörerische Gewalten das Leben des Menschen immer wieder bedrohen und vernichten. Der zweite ist das Verhalten der Menschen, das nun in vielerlei Hinsicht gar nicht dem Bild entspricht, daß ich hier entworfen habe. Diese Einwände sind wichtig und sie helfen, einige Perspektiven des Christentums klarer herauszustellen.

Der erste Einwand beschäftigt sich mit der Frage, wieso diese als gut geschaffene Welt sich oft so feindlich gegen den Menschen verhält. Widerspricht dies nicht der Vorstellung von einem Gott, der alles liebevoll geschaffen hat und erhält?
Die Antwort darauf gliedert sich in zwei Teile.

Auf die Frage, warum es Leid gibt, warum Menschen durch Krankheiten, Naturkatastrophen und Kriege sterben, gibt es keine Antwort. Alle Versuche, die dem Leid eine pädagogische Dimension zu geben versuchen, also das Leid interpretieren als Gottes Versuch, uns etwas beizubringen, enden in höchst zynischen Schlußfolgerungen. Auch ist hoffentlich klargeworden, daß das alte Modell von Lohn und Strafe Gottes nicht greift. Wenn wir wirklich unverlierbar in der Liebe Gottes stehen, dann kann es nicht sein, daß Gott uns bis zur Vernichtung straft. Darum muß die Frage, warum es überhaupt Leid gibt, unbeantwortet bleiben. Das Christentum gibt nur eine Antwort darauf, wie Gott auf das Leid reagiert und was der Ertrag für uns daraus ist:

Offensichtlich ist die Welt nach bestimmten Regeln erschaffen: Schwerkraft, daß Wasser keine Balken hat, daß sich die Planeten auf bestimmten Bahnen bewegen usw. Ja, man kann sogar hinzufügen, daß es auch eine Regel zu sein scheint, daß derjenige, der Macht hat, sie auch ausnützen wird (und daß das Wunder da passiert, wo dies nicht der Fall ist). Und es scheint so zu sein, daß Gott bei diesen Regeln keine Ausnahmen macht. Er straft nicht diejenigen, die sich besonders schlecht benehmen und er hat auch keine Lieblinge, denen er besondere Gefallen tut. Wie aus der allgemeinen Erfahrung belegbar, sagt er an keiner Stelle „Du bist so fromm und darum bekommst du eben keinen Krebs“. Gottes Art ist es also anscheinend nicht, daß er uns bewahrt vor den Wirkungen der Welt. Aus irgendeinem Grund geht er einen anderen Weg: Er unterwirft sich diesen Regeln selbst. Das ist es, was die Christen mit dem Kreuzestod verbinden. Gott offenbart seine Nähe zu uns dadurch, daß er zu uns in die Welt kommt und sich den gleichen Regeln unterwirft, die auch für uns gelten. Zu diesen Regeln gehört es dann schließlich, daß er gekreuzigt wird, weil die Menschen nicht glauben können, daß sie sich die Liebe Gottes nicht verdienen können, sondern sich schenken lassen müssen. Diese Nähe Gottes versöhnt nicht mit dem Leid, und mit dem Leid darf es auch keine Versöhnung geben. Aber sie kann mit dem Gott versöhnen, in dessen Welt es geschieht, und mit dieser Welt selbst. Denn wenn Gott selbst keine Kosten und Mühen scheut, um uns in dieser Welt zu zeigen, wie sehr er auf unserer Seite ist, und wie stark sein Ja zu uns ist, dann kann das für uns bedeuten, daß wir in dieser Welt weiterleben können und vertrauen dürfen, daß wir nicht auf einem Weg ohne Ziel und ohne Hoffnung ist. Dann bedeutet auch das wieder, daß unsere Welt eine Zukunft hat.

Zum zweiten Einwand: Wieso verhält sich der Mensch so selbstzerstörerisch, wenn er doch das Bild eines liebenden Gottes ist?
Dazu ist ein weiterer theologischer Begriff notwendig, nämlich der der Sünde. Leider hat es sich in einem traditionellen Christentum herausgebildet, unter Sünde einen Katalog katholischer Kleinkriminalität zu verstehen, dessen Einträge alle mit „Ich habe…“ beginnen. Sünde also als eine Liste verschiedener moralischer Verfehlungen.
Ich möchte an dieser Stelle einen Sündenbegriff vorstellen, der nicht in erster Linie moralisch ist und klarer herausstellt, worum es eigentlich geht. Als Grundlage nehme ich dafür die Geschichte vom sogenannten Sündenfall. Die Schlange sagt zu den Menschen: „Gott tut immer so großzügig und als würde er es gut mit euch meinen. Aber er stellt euch einen tollen Baum mitten in diesen Garten und den gönnt er euch nicht. Er liebt euch gar nicht so, wie er immer sagt.“ Und die Menschen glauben das tatsächlich und denken sich, daß, wenn Gott nicht auf ihrer Seite ist, sie halt für sich selber sorgen müssen - aus Angst zu kurz zu kommen, wenn sie sich auf Gott verlassen. Und dann fängt das ganze Drama an, kurz nach diesem Sündenfall verstärkt sich dieses Gefühl, von Gott nicht geliebt zu sein, denn jetzt waren sie ja ungehorsam und haben ganz bestimmt verspielt. Es ist wie in einer Beziehung, wo ein Partner immer sagt „Ich glaube nicht, daß du mich liebst“. Irgendwann wird diese Beziehung an diesen ständigen Zweifeln scheitern oder zumindest schweren Schaden erleiden. Sünde hat also im Wesentlichen nicht etwas mit moralischem Versagen zu tun, sondern mit der Angst um sich selbst. Diese Angst um sich selbst führt den Menschen immer wieder in Situationen, die zerstörerisch für ihn werden. Das ist der Grund, warum wir im übrigen von Erbsünde reden, denn es scheint dem Menschen irgendwie in den Kleidern zu hängen, daß er nicht glauben kann, so geliebt zu sein, wie er ist. Stattdessen macht er immer wieder die Erfahrung von Tod und Streit, und aus der Angst, daß diese Elemente das Maß seines Lebens sind, fängt er an, Verteidigungskriege im Alltag zu führen, die ihn von seinen Mitmenschen und von sich selbst entfremden. Dabei gilt die Zusage Gottes für ihn immer noch. Wir leben immer noch aus der Angst, daß wir im Leben verlieren, daß wir am Schluß die Dummen sind, daß wir doch nicht so geliebt werden, wie wir es uns ersehnen und daß es sich nicht lohnt, gut zu sein. Und damit entfernen wir uns von uns selbst. Wenn wir also fragen, wieso die Menschen von Gott gut geschaffen sein können und dennoch oft in Lieblosigkeit verrannt sind, dann ist eine Antwort: Weil sie immer noch aus der Angst um sich selbst leben, die sie mißtrauisch gegen andere werden läßt und gegen ein Leben, das ihnen oft feindlich erscheint. So gesehen benehmen sich die Menschen wie einige japanische Soldaten, die nach dem zweiten Weltkrieg immer noch in ihren Stellungen auf dem asiatischen Festland lagen, weil sie nicht wußten, daß der Krieg vorbei war. Eines der Hauptanliegen der christlichen Botschaft besteht darin, die Menschen von ihrer Angst um sich selbst zu befreien und dadurch zur Liebe zu befähigen.

Wenn wir also von unserem Gott reden, dann reden wir von einem Gott, der unserer Welt eine Zukunft gibt, mit dem wir unverlierbar in einer Liebesbeziehung stehen. Dieser Gott will keinen Augenblick ohne uns leben, freut sich jeden Tag an uns und glaubt auch dann noch an uns, wenn wir es schon lange nicht mehr können.

Darin besteht der Sinn der Fastenzeit: Sich auf diese Treue Gottes zu besinnen und daraus wieder neu zu leben und sich von Gott sagen zu lassen, daß wir keine Angst um uns selbst haben müssen. Denn Gott ist die Liebe. Seht, das ist unser Gott.
Amen.