2. Fastenpredigt: 19. Februar 2005
"Warum hat Gott einen Sohn?"
Lesung: Mt. 16, 13 - 17;
Autor: Diakon Bernd Müller
Versetzen sie sich mal in folgende Situation:
Sie sind mit einer Gruppe aus der Gemeinde unterwegs auf einer Fußwallfahrt.
Plötzlich gesellt sich ein Mann zu ihnen und gibt sich als Jesus zu erkennen.
Er hält sie an, schaut sie an und fragt sie: „Für wen hältst du mich?“
Sie sind im ersten Augenblick sicher verdutzt.
Und nach einer Denkpause werden sie vermutlich antworten: „Du bist Jesus Christus, unser Herr, der Sohn Gottes.“
So beten und bekennen wir doch regelmäßig in unseren Gottesdiensten.

 „Für wen haltet ihr mich?“
Das ist die Schlüsselfrage für uns Christen seit 2000 Jahren.
An ihr schieden und scheiden sich die Geister.

„FÜR WEN HALTEN MICH DIE LEUTE?“ (MT 16,13)
Das war damals die erste Frage Jesu an die Jünger.
Ihre Antwort : „Die Einen halten dich für Johannes den Täufer, andere für Elias, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten.“ (Mt 16,14).
Dazu gab es im Volk noch die verschiedensten Gerüchte.
Manche sehen in Jesus den messianischen Heilsbringer.
Andere verurteilen ihn als Gotteslästerer und falschen Propheten oder als Rebell.
Jesus gibt sich mit der Antwort aber nicht zufrieden und fragt seine Jünger:
„Und für wen haltet ihr mich?“(Mt16,15)
Er erwartet eine persönliche Stellungnahme, ein persönliches Bekenntnis.
Das Matthäusevangelium stellt uns das persönliche Bekenntnis des Simon Petrus vor Augen:
„Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Mt 16,16)
Der Evangelist Matthäus legt Petrus das Glaubensbekenntnis der ersten Christen und der frühen Kirche in den Mund.
Denn die Menschen, die die Texte des Neuen Testaments verfasst haben, sprachen von Jesus viele Jahre nach seinem Tod.
Sie drückten in der Sprache des Glaubens aus, was Jesus verkündete und was er für sie bedeutete, was er für sie war.

WER IST JESUS? - FÜR WEN HALTET IHR MICH?
Heute muss man nüchtern feststellen, dass diese Frage viele Menschen – auch in der Kirche – kaum mehr berührt.
Höchstens Meldungen und Publikationen um den historischen Jesus finden Interesse,
wie alle Jahre wieder um Weihnachten und Ostern.

Ihr aber, für wen haltet ihr mich?
„Jesus Christus ist unser Herr, der Sohn Gottes.“, sagen wir.
Das ist doch unser Glaube!
Darüber braucht man eigentlich gar nicht zu reden!
Dennoch müssen wir uns der Frage stellen:
Was meinen wir eigentlich mit einem solchen Bekenntnis über Jesus?
Sind diese Worte, ist dieses Bekenntnis, wirklich für unser Leben bedeutsam?
Oder sprechen wir es gedankenlos daher?
Ich weiß nicht, was sie jetzt denken?
Aber vielleicht spüren sie:
Ein noch so richtiges verstandesmäßiges Bekenntnis zu Jesus reicht nicht aus. 
Ohne die Beteiligung des eigenen Herzens für seine Ideen, ja für seine Person, bleibt jedes Bekenntnis leer.

Für Petrus war sein Bekenntnis „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“
ein Schlüssel zum Leben.
Für ihn ist es keine vorgefasste Formel aus irgendeinem jüdischen Religionsbuch, kein Bekenntnis ohne Lebensbezug.
Er bekennt aus dem unmittelbaren Erleben heraus:
Jesus ist der Messias, der auf den wir warten.
Er ist es, den wir brauchen.
Er ist es, der uns klar macht, wie die Welt eigentlich aussehen könnte.
Er ist es, der uns zeigt, was Leben in seiner ganzen Fülle bedeutet.
Er ist es, der uns sagt, welche Wege wir zu gehen haben.

ES IST UNSER GLAUBE,
  • DASS GOTT IN JESUS MENSCH WURDE,
  • DASS JESUS DIE FROHE BOTSCHAFT VOM ANBRECHEN DES REICHES GOTTES LEBTE UND VERKÜNDETE,
  • DASS ER FÜR UNS GEKREUZIGT WURDE,
  • UND DASS GOTT IHN VON DEN TOTEN AUFERWECKT HAT.
Gott wurde in Jesus Mensch.
Gott stieg herab, um an unserem Leben teilzuhaben.
Ein Gott mitten unter uns.
Gott hat für uns ein Gesicht bekommen.
Ein Gesicht, das sich jedem einzelnen Menschen zuwendet.
Geboren wurde er wie wir, ein Mensch aus Fleisch und Blut, voller Hoffnung und Angst, in all dem uns gleich, außer der Sünde.
Geboren in der Armseligkeit eines Stalles, Stroh und Krippe, dem Futtertrog für Schafe und Ziegen.
Gott hat sich klein und unscheinbar gemacht.
Gott hat sich arm und wehrlos gemacht im Kind in der Krippe.
Das ist der Platz Gottes in der Welt: die Krippe im Stall, draußen vor der Stadt, der letzte Platz.
Diesen Platz hat er angenommen, um all denen nahe zu sein, die ebenfalls draußen sind,
die in der Gesellschaft nichts wert sind und an den Rand gedrängt werden.

Im kleinen Kind in der armseligen Krippe von Bethlehem wurde die unermessliche Liebe Gottes zu uns Menschen sichtbar, begreifbar.
Paulus drückt das so aus: „Erschienen ist die Güte und Menschenliebe Gottes.....“ (Tit 3,4)

Jesus lebte und verkündete die Frohe Botschaft
vom Anbrechen des Reiches Gottes

Im Mittelpunkt des Auftretens Jesu steht die Botschaft vom Anbruch der Herrschaft, des Reiches Gottes.
Der Evangelist Markus fasst das so zusammen.
„Nachdem man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa;
 er verkündete das Evangelium Gottes  und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,14-15)
Jesus verkündet, das sich in ihm und durch ihn die alttestamentliche Hoffnung der Menschen nach Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Leben erfüllt.

In seiner Antrittspredigt in der Synagoge von Nazaret bezieht er sich auf diese Hoffnung:  "Heute hat sich das Schriftwort erfüllt",
und verkündet seine Berufung von Gott, seinen  Auftrag und sein Lebensprogramm:
"Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt,
 damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe, den Gefangenen die Entlassung, den Blinden das Augenlicht, den Zerschlagenen die Freiheit; damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe." (Lk 4,18-19)

Jesus predigt dies aber nicht nur.
Er lebt dies auch.
Seine Solidarität und Sympathie gilt den „Armen, den Kaputten und Ausgestoßenen, - den Loosern, - denen, deren Schuld zu groß geworden ist, den Kranken.
Ihnen bringt Jesus die Frohbotschaft.
Und er versucht seinen Zuhörern durch Bilder, Symbole und Geschichten klar zu machen, was
die Herrschaft, das Reiches Gottes ist:
wie z.B.
im Gleichnis vom barmherzigen Vater, in der Begegnung mit der Sünderin,
in seinen Gleichnisreden, in der gesamten Bergpredigt, besonders im Vater unser,
in seinen Krankenheilungen und Teufelsaustreibungen.
Dieses Programm und diese Botschaft lebte und verkündigte er.
Wort und Tat stimmen bei ihm überein.
Seine Frohbotschaft gilt nicht nur für religiöse Spezialisten.
Sie gilt allen, die sich nach seiner Liebe sehnen.
Diese Botschaft kommt aber nicht an, wie wir wissen.
Im Gegenteil.
Sie weckt Ärger, Ablehnung und Angst, schon damals.
Jesus wird zum Stein des Anstoßes für viele.

Jesus wurde für uns gekreuzigt
"Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“
Dieser Satz Jesu, bringt den Stein ins Rollen und wird ihm letztlich zum Verhängnis.
Sein Anspruch in Gottes Namen zu sprechen und an Gottes Stelle zu handeln, kostet ihm den Kopf und besiegelt sein Schicksal.
Er starb schmachvoll als Verbrecher am Kreuz.

Wie Jesus gelebt hat, um die Liebe Gottes zu verkünden, so ist er auch gestorben.
Er hat an der Botschaft, dass Gott die Menschen vorbehaltlos liebt, festgehalten.
Deshalb wurde er umgebracht.
Und er hat, wie schon bei seiner Geburt im Stall zu Bethlehem den allerletzten Platz eingenommen, um den Menschen zu zeigen, wo er steht und mit wem er in besonderer Weise solidarisch ist. 
Darin dürfen und darin sollen wir erkennen, wie sehr ihm an uns liegt.
Das Johannesevangelium sagt es so:
„So sehr hat Gott die Welt geliebt, das er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat" (Joh 3, 16).
Paulus erkennt im Kreuzestod Jesu die unergründliche Liebe Gottes zu allen Menschen;
eine Liebe, die selbst den eigenen Sohn nicht verschont, um die Menschen und die Welt mit sich zu versöhnen.
Weiter konnte und kann Gott nicht gehen, um mit uns solidarisch zu sein:
solidarisch in unseren Freuden und Leiden, in unserem Leben und Sterben.
Mehr konnte und kann er nicht einsetzen, damit doch noch sein Wille für uns geschehe,
gegen alles, was uns von ihm und untereinander trennt.

Gott hat Jesus von den Toten auferweckt.
Durch die Auferweckung Jesu hat Gott die Botschaft und den Anspruch Jesu bestätigt.
Aber erst nachdem der Auferweckte sich als Lebender gezeigt hatte, erkennen die Jünger:
- Hier ist etwas Entscheidendes für die ganze Welt geschehen,
- Eine neue Zeit ist angebrochen,
- Der Tod ist besiegt,
- Hass und Gewalt, Sünde und Tod, haben nicht das letzte Wort.
- Die Liebe Gottes zu den Menschen ist stärker als alles in der Welt.
- Gott hat sich als treu erwiesen und diese Botschaft bestätigt durch den Tod hindurch:

UNSER GLAUBE AN JESUS CHRISTUS
„Für wen haltet ihr mich?“
Wir spüren, da wird unser Glaube auf den Prüfstand gestellt.
Da hat er Risiken und Nebenwirkungen.
Fromme Reden von Gott genügen nicht.
Auch das feierlichste Bekenntnis zu Gott und Jesus Christus mit Hilfe altehrwürdiger und klassischer Formulierungen reichen nicht.
Jesus möchte eine ganz persönliche Antwort haben.

Eine Antwort, die wir uns nicht selber ausgedacht haben,
sondern eine Antwort, die aufgehoben ist im Neuen Testament.
Wenn wir an Jesus als „Christus“, den Messias, an Gott Sohn glauben, glauben wir ihm, daß Gott so ist, wie er ihn uns sagt und zeigt.
Im Namen seines Gottes sagte Jesus gerade denen Grund zur Freude zu, die arm und ihrer selbst nicht sicher sind.
Besonders sie will Gott in seine Zukunft führen und sie mit seiner Liebe beschenken.
Den Trauernden versprach Jesus, dass Gott seinen Trost für sie hat.
Den Kranken zeigte er, dass Gott an ihrem Leben hängt.
Mit denen, die keinen guten Namen bei den Menschen hatten, aß und trank er zum Zeichen, dass Gott sie nicht verloren gibt.
Denen, die eine gerechte und unbewaffnete Welt suchen, versicherte er, dass sie sie finden und an ihr Anteil haben werden.
Er verkündete, dass die, die geben und teilen, reich und überreich von seinem Gott empfangen sollen.
Allen, die verfolgt werden, weil sie Gottes Willen tun, gab er die Verheißung,
das Gott ihr Leben in seine neue Welt rettet.

Wenn wir an Jesus als „Christus“, den Messias, an Gott Sohn glauben,
dürfen und sollen wir uns von Jesus die Liebe Gottes, seines Vaters, zusagen und schenken lassen. Und wir dürfen und sollen diese Liebe weitergeben.
Wenn wir an Jesus als „Christus“, den Messias, an Gott Sohn glauben, dürfen und sollen wir uns von ihm anstecken und begeistern lassen.
Wir folgen ihm nach und orientieren uns dabei an ihm und seiner Botschaft.
Er hat uns gelehrt, dass unsere Gottesliebe zur Farce wird, wenn sie sich nicht in der konkreten Liebe zum Nächsten zeigt.
Er hat uns gelehrt einander zu dienen, die Füße zu waschen und nicht den Kopf.
Er hat uns gelehrt, das er uns im Mitmenschen begegnet, insbesondere in den Armen, in den die am Rand leben, die hungern und dürsten, gefangen und nackt sind.
Und er fordert unsere Solidarität mit ihnen.
Durch uns sollen sie die Frohe Botschaft von der Liebe Gottes erfahren.

Durch unseren Glauben an Jesus als „Christus“, den Messias, an Gott Sohn, dürfen wir Jesus als unseren Freund und Bruder betrachten.
Wir können zu ihm in eine Beziehung treten, wie zu einem Menschen, den wir lieben.
Er begleitet uns auf unserem Weg und steht in Freud und Leid zu uns.
Wir brauchen uns niemals verlassen zu fühlen, nicht einmal angesichts von Schmerz, Leid und Tod. Denn darin ist er – am Kreuz – uns gleich geblieben.
Und er hat uns zugesagt, das wir mit ihm vom Tod auferstehen werden:

Von dem wohl berühmtesten Theologen des vergangenen Jahrhunderts Karl Rahner stammt das Bekenntnis:
„Ich bekenne Jesus Christus als meinen Herrn und Heiland,
 auch wenn ich Fragen an das allzu gewohnte Christusbekenntnis der Kirche stelle.“
Genau dies meint Petrus mit seinen Worten:
„Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“
Ob wir heute neu als ganz persönliche Überzeugung sagen können, wie Petrus im Johannesevangelium:
„Herr, Du allein hast Worte ewigen Lebens. Denn wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“
(Joh 6,68 f)?