Predigt am Pfingstmontag 2005
beim ökumenischen Festgottesdienst
in St. Johannes

P. Ludger Hillebrand SJ
Einheit in Verschiedenheit

A Einleitung:

In der vergangenen Woche gab es in der khg Göttingen die Veranstaltung „United colours of church“. An jedem Abend erzählten StudentInnen einer Konfession oder eines Erdteils von ihrer Kultur.
     
Ein jordanischer Student, eine rumänische Studentin und ein äthiopischer Student zeigten wunderschöne orthodoxe Ikonen und freuten sich von der Geschichte ihres Landes sprechen zu können.
Der indonesische kath. Student berichtete von Auseinander-setzungen mit Muslimen, die der Kirche seiner Heimat das Leben schwer machen. Kolumbianische und  bolivianische Katholiken zeigten, wie sich der indianische Kult der „Pacha mama“ mit der Marienverehrung verbunden hat. Westafrikanische Katholiken sagten, dass ihre Gottesdienste wie Partys sind, jugendlich und dynamisch. Lutherische und methodistische Deutsche feierten mit uns einen Gottesdienst und zeigten Wesentliches ihrer Kirchen.

„Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist, so heißt es bei Paulus“ (1Kor 12,4). Das lässt sich auch so interpretieren: es gibt verschiedene Kirchen, aber nur den einen Geist. Und jeder wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie den anderen nützt.        

Bei so vielen Farben und Kirchen: Welches Konzept der Einheit wird der Partitur des Evangeliums gerecht und ist geistvoll?

B Überblick:

Einheit in Verschiedenheit

„Einheit in Verschiedenheit“, das ist ein tragbares Konzept in unserem Christentum in unseren Kirchen. Die Musik Christi, die Partitur des Evangeliums erklingt in Orchestern mit Geigen, Flöten und Trompeten, in Bands mit E-Gitarre und Schlagzeug. Im Gesang eines Chores.Bei den Londoner Philharmonikern und hier in St. Johannes.

Kein tragfähiges Konzept:
Einheit in Uniformität: Alles muß gleich aussehen.
   
Alles muß so sein, wie in der kath. Kirche.
Oder: Alle müssen zurück in den Schoß der röm. kath.Kirche
Alle müssen so werden wie die evgl. Kirche in D. Sie ist
die wahre Bewahrerin des Evangeliums.
Über ein Papstamt müssen wir erst gar nicht diskutieren.
   
Auch kein gutes Konzept: Einheit in Beliebigkeit: Jeder auf seine Weise, ohne auf den anderen zu achten

Wir brauchen keine Auseinandersetzung um die Frage der Wahrheit. Wahrheiten und Verbindlichkeiten reichen uns.

C  Ausfaltung mit dem Bild der Musik

Beim Konzept der Einheit in Verschiedenheit möchte ich das Beispiel von Musikern aufgreifen: 

Der Einzelne muß sich intensiv mit dem Stück beschäftigt haben. Er muß die Möglichkeiten und Grenzen seines Instrumentes kennen. Es geht um intensives Üben und Studieren in Einzelarbeit.

Und im Orchester? Er muß akzeptieren, dass es andere Klänge gibt. Er muß auf andere hören. Er muß ihre Klangfarben sogar mögen.
Wer es mag, der erlebt ein wunderbares Klangspektrum, Dynamik, Rhythmik, leise und laute Töne, wer auf andere hört, wird angeregt seine eigenen Spielweise zu schätzen und zu erweitern. Wunderbar sind die Momente des Zusammenklangs und des Fließens der Musik.

Schauen wir auf den einen Straßengraben: die Einheit in Uniformität:

Für mich gibt es nur Geigen. Um Musik zu machen, braucht es einen Bogen. Mit ihm streicht man über die Saiten und so entsteht Musik. Anders geht es nicht. Dass ich damit Recht habe, zeigen mir die Cellisten und Kontrabässe.
Freundlich gibt der Geigenspieler der Flötistin seinen Bogen und ihr Spiel endet. Was soll sie mit dem Ding?
Ebenso verstummen Gitarren und Bläser. Einzig der Pauker entlockt seinem Instrument ein paar schwache Töne, indem er mit dem Bogen darauf schlägt.

Uniformität scheint nicht weiter zu helfen:
 
Das Dokument der katholischen Kirche „Dominus Jesus“ (6.10.2000  vor allem Absatz Nr.17) betont: Bei uns Katholiken spielt die Musik. Wir sind Kirche und die anderen sind Teilkirchen oder kirchliche Gemeinschaften, da sie die Fülle nicht haben.

Wir Katholiken machen Musik und die andern sind musikalische Gemeinschaften? Was soll das?
Hatten wir solche Töne nicht schon hinter uns?
Ich glaube schon, dass es in der kath. Kirche eine Fülle von Gutem und Christlichem gibt. Ich genieße diesen Reichtum.
Aber eine Fülle von Reichtum gibt sehe ich auch in anderen Kirchen. Gott sei Dank! Und ich erlebe in ihnen Klangfarben, die ich in meiner Kirche vermisse.

Welche Armut ist es, wenn man sagt: Kirchenmusik findet nur auf der Orgel statt und nicht durch eine Band! Es gibt immer noch und immer wieder solche Stimmen, aber ob sie der Vielfalt des Heiligen Geistes gerecht werden?

Den Heiligen Geist hörte man damals beim Pfingstfest hebräisch, griechisch, arabisch, mesopotamisch, ägyptisch reden.
Er erklang in verschiedenen Sprachsystemen und eben „Gott sei Dank!“ nicht nur in der Form des Kirchenlateins.

Die Bischöfin von Hannover sagte in einem Interview, wo es um das zähe Ringen in der Ökumene ging: Wir müssen uns auf die Taufe besinnen, dass wir in die eine Kirche Christi taufen, die sich dann in die historisch entstandenen Kirchen auffächert.        
Getauft sein ohne Kirche zu repräsentieren?
Das geht wohl nicht. Eine Gemeinschaft von Getauften, die nicht Kirche ist?  Wie soll das gehen?

Und der zweite Straßengraben: die Einheit in Beliebigkeit

Musiker brauchen den Kammerton A.
Immer wenn man zusammenkommt, braucht es die Abstimmung auf diese Grundlage. Wer sich nicht einstimmen will, kann mit den anderen nicht zusammen spielen.
Es braucht ein Notensystem, mit dem die einzelnen umgehen können.
Sie brauchen ein Stück auf dessen Hintergrund sie sich entfalten.

Wir Christen der verschiedenen Orchester brauchen als Kammerton immer wieder die Orientierung an Gottes Geist.
Unser Notensystem sind: Das gemeinsame Glaubens-bekenntnis von Nicäa und Konstantinopel, die Anerkennung der Taufe, Papiere der Einigung.
Und die Partitur, die wir zum Klingen bringen möchten, ist die Botschaft unserer Bibel.

Mühsam wird es, wenn gemeinsame Spielsysteme wieder in Frage gestellt werden: So bei der Frage des Leitungsamtes:

Bischof Kasper aus Rom: Wir Katholiken und Lutheraner waren uns einig: (Quelle: Herder Korrespondenz 2/2005)
1.    das ordinierte Amt, durch Handauflegung und Gebet ist eine für die Kirche notwendige Institution.
2.    Die Institution des Amtes steht nicht im Widerspruch zur Heiligen Schrift
3.    Es dient der Verkündigung des Evangeliums, der Weitergabe des Glaubens, der Spendung der Sakramente und ist deshalb unverzichtbar für die Feier des Abendmahles.

Das ist eine Absage an rein funktionales Amtsverständnis und Annäherung an sakramentales Verständnis.

Das Papier der Vereinigten evangelischen lutherischen Kirchen Deutschlands : „Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung“ sagt 2004 : es gibt kein amtsmäßiges Gegenüber.

1981    „Das geistliche Amt in der Kirche“ Lutheraner und Katholiken vor 20 Jahren stellte fest:

Grundlegend für das Verständnis von Lutheranern und Katholiken ist es, dass das Amt sowohl gegenüber, als auch in der Gemeinde steht. Es ist Vergegenwärtigung Jesu und darf deshalb nicht als Delegation der Gemeinde verstanden werden.

Die Leitungsfunktionen müssen grundsätzlich allen offen sein, aber ich glaube nicht, dass jeder fähig ist zu leiten und der Einheit zu dienen.
Die christliche Musik auf dem Hintergrund des eigenen Lebens erklingen zu lassen, ist nicht das Gleiche wie ein Orchester zu leiten.

Als Katholik glaube ich, dass es ein amtliches Gegenüber braucht. Wer zum Dirigenten eines Chores wird, empfängt damit eine besondere Aufgabe, die sein Wesen prägt und ändert.
Er oder sie muß lernen die Eigenarten des anderen zu hören und zu fördern, zur Entfaltung des anderen beitragen und ihn zur Gemeinschaft führen. Jetzt darf die Gruppe der Geigen sich entfalten, jetzt muß sie schweigen, jetzt braucht es ihre Töne im Hintergrund. Leitung muß hören und gestalten. Leitung bei großen menschlichen Zusammenwirken ist mehr als nur ein Nebenjob.

Petrus beim Pfingstfest tritt deutlich in den Vordergrund: Er erzählt den anderen von der Tradition des Alten Testamentes und von dem Zusammensein mit Jesus.
Er kennt die Traditionen und macht sie durch seine Person lebendig. Die Heilige Schrift, der Geist Gottes und Petrus als Person animieren die Zuhörer/innen sich taufen zu lassen.

Ich sehe bei mir selbst: Ich brauche Experten in Exegese
Korrekturen und Anregungen von Profis in Gruppenarbeit, ich
freue mich, wenn bei Sitzungen jemand gut leitet.
Orchester mit guten Dirigenten blühen auf.
Leitung zur Entfaltung der christlichen Musik, ist kein einfaches Amt

D: Schluß : Einheit in Verschiedenheit

Wir haben „Gott sei Dank!“ die gemeinsame Taufe, das gemein-same Glaubensbekenntnis, wir lesen die gleiche Bibel, feiern einen gemeinsamer Kirchentag, verfassen gemeinsame Papiere zur wirtschaftlichen Lage in D und Ikonen der Ostkirche finden sich in kath. und evgl. Kirchen.

Bei so viel Respekt und einer so tragfähigen Basis dürfen wir uns auch respektvoll fragen ob das andere Orchester immer der Partitur des Evangeliums gerecht wird:

Das Modell der Einheit in Verschiedenheit ist mehr als die Festschreibung des „status quo“:

Eine Alte Dame zu mir: „Sie sind doch katholisch?“. Ich: „Ja.“
Sie: „Das mit dem Heiliger Vater stimmt so nicht. Er ist nicht heilig.“ Und ich denke und sage: „Recht hat sie.

Nennt euch nicht Vater = Worte von Jesus. Gott wird im „Vater unser“ schlicht als Vater angesprochen. Wie kann ich dann den Titel Heiliger Vater für einen Menschen gebrauchen?

Jesus sprach Zeit seinen Lebens immer wieder vom Zeichen des Brotes, er ist das Brot des Lebens (Joh 6,35.51.58), beim Abendmahl sprach er testamentarisch: „Tut das zu meinem Gedächtnis (1 Kor 1,23-26)“
   
Wenn evangelische Gemeinden nur zwei Mal im Jahr das Abendmahl feiern, frage ich mich ob, sie dem Testament Jesu und seinen Zeichen wirklich gerecht werden.
Ich freue mich über die theologischen Formulierungen zum Abendmahl der lutherischen Kirchen: Christus ist in, mit, durch und unter dem Brot gegenwärtig. Diese Formulierungen sind verständlicher und unserer heutigen Zeit angemessenen als das missverständliche Wort der Transsubstantiation in meiner kath. Kirche. Transubstantiation im aristotelischen Sinn meint grob gesagt, dass das was der Materie zugrunde liegt, gewandelt wird. Die Materie, das Anfaßbare ist für die mittelalterliche Kirche etwas äußeres und das bleibt gleich. 

Nicht verständlich ist es für mich, dass die verwandelten Gaben, das Brot und der Wein, die zum Zeichen Jesu wurden, danach wieder „normal“ sein sollen. Ich habe einige Geschenk meines verstorbenen Vaters bei mir im Zimmer. In diesen Dingen ist mir mein Vater präsent, obwohl er schon seit längerem tot ist. Die Sachen sind mir heilig. Die Beziehung zu meinem Vater
ist in ihnen präsent. 

Paulus sagt, dass es vor Gott nicht Mann noch Frau gibt (Gal 3,28). In der pfingstlichen Verheißung bei Joel (3,5) hören wir, dass alle den Heiligen Geist empfangen.

Mit Neid blicke ich darauf, dass die evangelischen Kirchen weiter sind, als meine. Noch fehlt das Frauenpriestertum in kath. Kirche.
Und andererseits empfinde ich das Beispiel der evgl. Kirchen auch als Ermutigung. Was bei ihnen an Gutem entstanden ist, muß doch auch bei meiner Kirche möglich sein!

„Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn.“ … „Einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu, wie er will.“ „… alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.“

Das können wir schon hier und jetzt in Göttingen und an anderen Orten erleben. Gott sei Dank!

Wir leben davon dass wir uns von der Tiefe des Evangeliums anregen lassen und den Heilenden, Heiligen Geist wirken lassen. Das Evangelium haben wir als Einheit in Verschiedenheit von Markus, Lukas, Matthäus und Johannes.
Gott selbst als Vater, Sohn und Geist ist eine Einheit in Verschiedenheit.

Genießen wir dieses wunderbare Lebensmodell und lassen wir den Geist Gottes vielstimmig und farbenfroh in unserem Leben erklingen.