Fastenpredigt am 18. März 2006
"Zur größeren Ehre Gottes -
Höher, weiter, schneller?"

Lesung: 1 Kor 13
Autor: P. Ansgar Wiedenhaus S.J.
Ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, wo ich das Gefühl hatte, daß ein Gebet von mir direkt beantwortet wurde – und dieses eine Mal hätte ich auf die Antwort gut verzichten können. Ich saß in unserer Hauskapelle und dachte „So, lieber Gott, und jetzt bräuchte ich noch eine gute Predigt für die Messe“. Die Antwort kam prompt: „Kein Problem. Sollst du dabei gut aussehen oder ich?“
Mist, erwischt!

Ein Motto der Jesuiten ist „Alles zur größeren Ehre Gottes“. Doch: Um wessen Ehre geht es dabei wirklich? Wenn man dieses Schlagwort der Jesuiten hört, dann kommt einem schnell der Gedanke, daß alle anderen zur Ehre Gottes vor sich hin krepeln und ihr bestes versuchen, die Jesuiten hingegen erfolgreich zur größeren Ehre Gottes arbeiten, weil sie ja ohnehin alles besser können, mehr arbeiten, effektiver und schlauer sind und dazu wahrscheinlich noch gegen Kälte, Hitze und radioaktive Strahlung immum. Aber selbst wenn die Jesuiten alles besser könnten und wüßten, diente das schon der größeren Ehre Gottes? Diente das nicht viel mehr dem größeren Ego der Jeusiten?
 Was ist denn eigentlich Ehre Gottes? Womit kann man ihn denn ehren? Schließlich wird er doch schon geehrt wie wild. Salopp gesagt: Wenn täglich Legionen von Engeln um ihn herumfliegen und „Heilig, heilig“ singen, was können wir dem noch hinzufügen?
 Nun, wir könnten unserer Berufung folgen, der einen großen Berufung, die wir alle gemeinsam haben: liebende und geliebte Menschen zu sein. Wir sind Gottes großartigste Idee, seine größte Freude. Und damit, daß wir die sind, als die wir geschaffen wurden, ehren wir ihn am allermeisten. Nicht darin, daß wir große Taten tun, ehren wir Gott, sondern dadurch, daß wir lieben. Nicht darin, daß wir Meister der Meditation, der Entsagung, der Verkündigung werden kommen wir ihm näher, sondern dadurch, daß wir ihm in der Liebe zum Nächsten und in der Liebe  des Nächsten begegnen.
 
Aber auch hier verbirgt sich eine Falle. Wenn wir davon hören, daß wir lieben sollen, dann denken wir oft an die Liebe des Starken, die Liebe dessen, der voller Großmut seine Umwelt mit liebevoller Zuneigung beschenkt, unangefochten weiterliebt, auch wenn es Schwierigkeiten gibt und eine Bereicherung für seine Mitmenschen ist. Bedauerlicherweise fällt dabei ein wichtiger Aspekt unter den Tische: die Liebe des Schwachen, die bedürftige Liebe.
Wenn wir einander immer nur unsere Schokoladenseite zeigen, dann kann die Liebe zwischen uns nicht wachsen.  Stark sein kann jeder. Aber wir müssen auch den Mut haben, Schwäche zu zeigen, einander zeigen wo wir Grenzen haben. Nicht, weil es dazu eine moralische Verpflichtung gäbe, sondern: Weil wir sonst verkümmern. Weil wir sonst allein bleiben mit unseren Schwächen und Ängsten. Weil wir sonst einander nicht helfen können. Weil die Liebe dann keinen Ausdruck finden kann.
Wir müssen einander ermutigen, auch die bedürftige Seite der Liebe zu leben, die schwache Seite. Wenn Paulus schreibt, daß die Liebe alles hofft, alles erduldet, alles verzeiht, dann sind wir eingeladen, auch diese Seite der Liebe zu erfahren und den Raum dafür zu schaffen, daß andere sie erfahren können.
Wir können jedoch - ohne es zu ahnen - jeden Versuch des anderen, sich zu öffnen blockieren. Ich saß mit Mitbrüdern beim Essen und es ging um ein ganz ähnliches Thema. Irgendwann sagte ich: „Auch wir Jesuiten haben wenig Kultur, wenn es darum geht, einander im Glauben zu unterstützen. Wann sagt schon einmal ein Jesuit zu einem anderen: Du, ich habe seit zwei Monaten nicht mehr gebetet. Wie machst du das, wenn dir das Beten schwerfällt?“. Ich muß gestehen, daß ich dabei an mich dachte und wie schwer mir das regelmäßige Gebet oft fällt. Sofort antwortete ein Mitbruder „Sowas gibt’s ja auch gar nicht, daß ein Jesuit zwei Monate nicht betet.“ Richtig, ich hatte ganz vergessen, daß bei Jesuiten sowas ja gar nicht sein kann. Den Rest des Essens über war ich dann eher schweigsam.
„Die Liebe freut sich an der Wahrheit.“ Und zur Wahrheit unseres Lebens gehört es auch, daß wir in unserem Leben Dunkelheiten haben, Schwierigkeiten, für die wir uns vielleicht schämen, Probleme, mit denen wir nicht allein fertig werden. Aber was, wenn wir uns nicht mehr trauen, einander diese Wahrheit zu sagen?
Wir haben das große Privileg, die heilende Liebe Gottes weitergeben zu dürfen, der liebenden, tröstenden Umarmung Gottes Ausdruck geben zu können. Aber dazu muß erst einmal der Raum geschaffen sein, in dem wir unsere Wunden zeigen können. Wir sind fähig, liebend einander Mut zu machen, uns gegenseitig durch schwere Zeiten zu tragen, die Lasten und Schwächen des anderen zu tragen. Aber wir müssen dem anderen zeigen, daß wir uns nicht abwenden, sobald er seine Schwächen und Ängste zugibt. Unsere Liebe muß die Chance erhalten schwach, bedürftig, geängstigt zu sein. Wir werden einander vielleicht trotzdem nicht helfen können, aber wir können gemeinsam die Hilflosigkeit ertragen. Wir werden vielleicht nicht einmal einander trösten können, aber wir können zusammen die Dunkelheiten unseres Lebens durchstehen.

Wir brauchen einander. Lebensnotwendig. Glaubensnotwendig. Wenn Gottes Wort nicht aus menschlichem Mund kommt, dann bleibt es stumm. Wenn Gottes Liebe nicht menschlichen Ausdruck erhält, dann bliebt sie eine Idee. Zu sagen, „Ich bin geliebt von Gott“ ist erst einmal ein frommer Wunsch, etwas, das man sich so lange einreden kann, bis man es selber glaubt. Erst wenn diese Liebe konkret erfahrbar wird, erst dann kann sie uns wirklich tragen. Erfahrbar wird Gottes Liebe aber erst durch Menschen, die sein Lächeln auf ihrem Gesicht tragen und ihn dadurch ehren, daß sie sich in die Bewegung seiner Liebe hineinnehmen lassen. Und diese Liebe bewahrt uns dann auch davor, die Ehre Gottes mit unserer eigenen Ehre zu verwechseln. Denn wo wir lieben, da geht es nicht mehr um unsere Ehre, da geht es um sehr viel mehr. Dann kann man wirklich sagen, daß es um eine größere Ehre geht. Die Ehre, Gottes Liebe konkret sichtbar machen zu können und konkret erfahren zu dürfen.

Nun sind wir bei manchen Menschen einfach nicht verhandlungsfähig, was das Lieben angeht. Manche Menschen gehen uns zu sehr gegen den Strich und es hilft alles nichts; so sehr wir es auch versuchen, wir können sie nicht lieben. Manchmal ist ein Streit vorangegangen und wir sind zu verletzt, um zu verzeihen. Manchmal paßt uns der andere einfach nicht und wir sind unserer eigenen Engherzigkeit hilflos ausgeliefert. Wir merken allerdings selbst, daß es uns nicht gut tut, wenn wir nicht lieben können. Es kostet Energie, einen Groll gegen den Anderen zu haben. Wenn also alles nichts hilft, dann zuerst einmal beten: „Lieber Gott, hilf mir, diesen Kerl zu lieben“. Sollte das auch nichts helfen (und das ist nicht unwahrscheinlich), dann einen Schritt weitergehen und beten „Gott, lieb’ du ihn, ich bin gerade verhindert“. Wenn wir es dem anderen gönnen, daß Gott auch nur drei Sekunden liebevoll auf ihn schaut, dann ist das schon ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Fastenzeit ist nicht dafür da, daß wir uns und den anderen zeigen, was für tolle Hechte wir sind, wenn wir beweisen, auf was wir alles verzichten können. Die Fastenzeit ist keine Zeit, an deren Ende der Gewinner des Entsagungs-Zehnkampfes ausgelobt wird. Die Fastenzeit ist eine Zeit, in der wir überdenken können, was uns hält und trägt. Die Fastenzeit ist die Zeit, in der wir uns selbst anschauen - ohne Angst vor unseren Schwächen, vor unseren eigenen Lieblosigkeiten, unseren Fehlern und Macken. Wir dürfen uns von Gott sagen lassen, daß er sich über uns freut, daß wir seine großartigste Idee sind. Wir dürfen unsere Berufung überdenken, die Berufung, zu lieben, ohne Angst, am Schluß die Dummen zu sein, ohne Angst, daß es nicht lohnt zu lieben, ohne Angst, daß wir doch nur enttäuscht werden. Wir dürfen aber auch unsere Berufung feiern, uns lieben zu lassen und auch diese Berufung ohne Angst annehmen, ohne Angst, daß wir nicht liebenswert sind, ohne Angst, daß jeder, der unsere Schwächen sieht, sich von uns abwendet.
Vielleicht müssen wir manchmal investieren, etwas mehr Offenheit zeigen als der andere, damit unsere Beziehungen richtig in Gang kommen. Vielleicht werden wir manchmal trotzdem enttäuscht werden, weil die Angst sich als stärker erweist. Aber letztenendes werden wir erfahren, daß wir einander näher kommen und Gott in unserer Mitte begegnen: im Zuhören, im Sprechen, im Lächeln und in der Umarmung des Nächsten.
„Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ Die größere Ehre Gottes finden wir dort, wo wir am größten sind: da wo wir lieben, da wo wir geliebt werden, da wo wir uns gegenseitig feiern können als großartigste Idee Gottes.
Amen.