Vierte Fastenpredigt
"Ohne Grenzen -

Franz Xaver und die Mission heute"
am 25. März 2006
Lesung:  Mk. 8, 34 - 38
Autor: P. Martin Stark S.J.
„Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt etwas. Es ist nicht das Geld. Es sind auch nicht die Gläubigen. Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt die Überzeugung, neue Christen gewinnen zu können. Das ist ihr derzeit schwerster Mangel.“
Liebe Schwestern, liebe Brüder, mit diesem Zitat des Erfurter Bischofs Wanke möchte ich meine Fastenpredigt beginnen. Er beklagt die Ansicht „in unseren Gemeinden, dass Mission etwas für Afrika oder Asien sei, nicht aber für Hamburg, München, Leipzig oder Berlin.“ Oder Göttingen, dürfen wir wohl anfügen.
Mission – ich benutze dieses Wort, wenn es sicher heute auch belastet ist. Mission – das klingt nach Seelenfang, wie man sie von Sekten kennt. Dahinter steht der Verdacht, dass wer glaubt, seine Selbstbestimmung irgendwie aufgeben muss, um sich einem anderen unterzuordnen, dass wer glaubt, verliert. Am Leben des Hl. Franz Xaver möchte ich Ihnen heute Abend deutlich machen, dass das Gegenteil der Fall ist. Ja, es gibt sogar Bindungen, die freimachen. Für ihn ist dies der Glaube.
Wenn wir wissen wollen, was Mission heißt und für uns heute bedeuten kann, dann muss uns doch der größte Missionar der Neuzeit, der „Patron der Missionen“ die besten Antworten geben können, oder?
Aber, werden manche von Ihnen einwenden, was kann ein Mann, der am 7. April vor genau 500 Jahren geboren wurde, zu unseren Fragen sagen, zu dem, was uns aktuell so bedrängt? Wo wir von einem „Kampf der Kulturen“ sprechen? Dem Voranschreiten des Islam, verbunden mit der fortschreitenden Entchristlichung Europas und einer allgemeinen diffusen Religiosität. – Und ist nicht die Gefahr viel zu groß, in eine Art Pionierromantik mit einem zu bewundernden Helden zu verfallen, um dann nüchtern zu erkennen, dass dies reichlich wenig hergibt für die Schritte, die heute zu tun sind?
Franz Xaver lässt sich nicht so einfach einordnen. Natürlich ist nicht unmittelbar übertragbar, was er damals versucht hat – und mancher seiner Schritte ist auch auf dem Hintergrund neuer Erkenntnisse und theologischer Entwicklungen zu diskutieren. Die Koordinaten unserer Zeit sind schlichtweg andere. Aber es scheint so zu sein, dass im Kontrast zu unseren Verhältnissen eine Chance liegt: Dass so nämlich besonders deutlich wird, was die innere Dynamik seines Handelns war, was ihn als Mensch all dies hat durchstehen lassen, um was es ihm ging – und um was es bleibend geht, wenn es um eine „menschliche“ Entwicklung unserer Welt gehen soll.
Erlauben Sie mir also, dass ich mit Ihnen das Leben dieses großen Heiligen durchgehe auf der Suche nach einer kleinen Handreichung – sozusagen für das Handgepäck des Missionars von heute. Ich glaube, diese Handreichung hat uns heute erstaunlich viel zu sagen.

1. Was nützt es dem Menschen...
Und zwar als erstes, dass der Missionar selbst zunächst einmal missioniert werden muss. Auch ein Franz Xaver: Der begabte, gut aussehende, nicht nur sportlich ehrgeizige Baske aus Navarra beginnt sein Studium in Paris mit der Aussicht auf eine gute Pfründe als Domherr ohne allzuviel Arbeit. An der damals besten Universität Europas angekommen, genießt der 19-jährige das studentische Leben in vollen Zügen. Des Nachts durchstreift er mit Freunden die Kneipen der Stadt. Seiner Eitelkeit schmeichelt es, dass er sich als Sportler einen Namen gemacht hat, zählte er doch zu den Besten im Hochspringen.
Doch dann dringt ein Störenfried in dieses Leben ein. Franz und seine Stubengenossen müssen für den Neuankömmling im Studentenwohnheim zusammenrücken. Der ist 15 Jahre älter, ein Winzling, ernst und ein Frömmler. Ignatius nennt er sich, früher hieß er Iñigo de Loyola. Für Franz wohl eine Witzfigur. Er hinkt, weil sein Bein von einer Kanonenkugel getroffen war, überdies gehört dessen Familie in der Heimat zu seinen politischen Feinden. Und nun setzt dieser Ignatius drei Jahre lang immer geduldig und freundlich alles daran, die eiskalten und stacheligen Vorbehalte zu überwinden. Später gesteht Ignatius einmal, Franz sei der zäheste Teig gewesen, den er je geknetet habe. Denn diesem geht der fromme Kauz auf die Nerven. Für seine weltflüchtigen Pläne und die komischen Bemühungen, Menschen für Gott zu gewinnen, hat der übermütige Magister nur Spott übrig. Dem stolzen Hidalgo trifft schließlich ein Christuswort ins Herz: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber seine Seele Schaden nimmt?“ (Mk 8,36/Lk 9,25) Dieses Wort, das bezeichnenderweise auch für den hl. Franziskus von Assisi richtungsweisend war, muss auch dem ehrgeizigen Adeligen so in die Knochen gefahren sein, dass er es später in seinen Briefen immer wieder zitiert, weil es im Kern seiner Person eine radikale Umkehr ausgelöst hat.
Wer im Gebet sich Gott annähern will, der muss eine Wandlung, die eigene Ver-wandlung in Kauf nehmen, der muss – in Ignatius Worten „aus seiner Eigenliebe und seinem Eigenwillen herausspringen“. Er, der beste Hochspringer, lernt nun, das Evangelium im Laufschritt in die Welt zu tragen. „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt?“ Diese Sehnsucht nach dem mehr als alles entfacht ein solches Feuer in Xaver, das nie mehr erlöschen sollte und das ihn in die Welt treiben würde, um den halben Erdball zu gewinnen, jetzt aber nur noch für Christus.
„Was nützt es dem Menschen?“ Liebe Schwestern, liebe Brüder, gibt es ein solches Christus-Wort, das Sie ähnlich ins Herz trifft? Gibt es auch in Ihrem Leben solche „Kompass-Worte“, welche Ihnen in Sturm und Ruhe helfen, Kurs zu halten? Die Sie vielleicht so berühren, dass Sie sie mit anderen teilen, Sie Ihren Freunden mit-teilen könnten? Was mein eigenes Leben trägt und erfüllt, was ich an Stärke und Zuversicht erfahre, darüber dürfte ich eigentlich nicht schweigen. Es geht nicht darum, Menschen zu einer Zustimmung zu verführen. Sondern ich muss meinen eigenen, ganz persönlichen Glauben, auch mit meinen Zweifeln und meinen unbeantworteten Fragen zur Sprache bringen. Wo wir selbst nur mit halbem Herzen und aus Gewohnheit dabei sind, müssen wir uns nicht wundern, wenn unser Zeugnis auch niemanden hinter dem Ofen hervorholt.

2. Gelebtes Beispiel
Seit dieser Zeit gehört Franz mit fünf weiteren Studenten zum Kern einer wachsenden Gruppe um Ignatius, die anders als die Kleriker ihrer Zeit selber arm lebt und sich aus dem Glauben heraus für die Ärmsten einsetzt. Nach Beendigung der Studien stellen sie sich dem Papst zur Verfügung, weil dieser in der Verantwortung für die Weltkirche wahrscheinlich am besten beurteilen könne, wo die Not am größten sei. Dorthin wollen sie gesandt werden. In diese Situation fällt eine Anfrage des portugiesischen Königs beim Papst nach Priestern dieser neuen Gemeinschaft. In seinen indischen Territorien waren erste Einheimische getauft worden, ohne aber wirkliche Unterweisung im Glauben zu erhalten. Einen Tag vor der Abreise wird der ursprünglich vorgesehene Mitbruder krank und Ignatius kann nur noch Xaver schicken: „Magister Francisco, das ist ein Unternehmen für Euch.“ Der flickt seine Kleider und antwortet: „Gut, ich bin bereit!“
Von den vielen Dingen, die der König ihm vor der Abreise anbietet, nimmt Franz nur einige Bücher und einen oder zwei Mäntel von grobem Stoff, um sich gegen die Kälte des Kaps der Guten Hoffnung zu schützen. Wenigstens einen Leibdiener solle er doch mitzunehmen, meint der Kammerherr des Königs, Waschen und Kochen sei mit seiner Würde als Nuntius nicht zu vereinbaren. Doch Franz antwortet: „Gerade das Erwerben von Ansehen und Autorität durch diese Mittel hat die Kirche Gottes und ihre Prälaten in dem kläglichen Zustand gebracht, in dem sie sich jetzt befindet... Die beste Art, sich wahre Würde zu erwerben, besteht darin, dass man diese Lumpen wäscht und seine eigene einfache Suppe kocht, ohne auf jemand angewiesen zu sein...“
Armut bedeutet für Franz zutiefst Vertrauen auf Gott. Weil er fähig wird, zu empfangen und zu geben. Weil er empfänglicher wird für den Reichtum in allem. Immer dann, wenn wir uns nicht verzweifelt nach außen hin als stark, mächtig und überlegen präsentieren müssen, bekommen wir eine Ahnung davon.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, dies ist eine Anfrage an jeden von uns: Wo kann ich selbst etwas vertrauensvoll ganz einfach zur Verfügung stellen? Zu aller erst einmal mich selbst, als Person, als Gegenüber, allein durch mein Dasein, meine Zeit, mein Interesse; und wo kann ich – ja im Vertrauen auf Gott – vielleicht auch mehr geben, weil ich viel empfangen habe.
Wichtiger als alle Verkündigung mit Worten ist letztlich das gelebte Vorbild: Am meisten hat Xaver wohl mit seiner leidenschaftlichen Liebe zu den Menschen beeindruckt. Er selber lebt bescheiden, kümmert sich um Kinder, besucht Kranke und Sterbende. Diese hatten bisher nur Europäer kennen gelernt, deren einziges Interesse den kostbaren Perlmuscheln galt, die sie für sie vom Meeresgrund holen sollten.

3. Der Vorrang des Tuns
Wie ein „Fliegender Holländer“ des Glaubens durchstreift Franz zwölf Jahre lang die Meere – auf schwankenden Schiffen, bedroht von Stürmen und Seuchen – vom Kap der Guten Hoffnung nach Mosambik, von der Piratenküste nach Goa und schließlich bis zu den geheimnisvollen Gewürzinseln, den Molluken. Franz sucht nicht Pfeffer, sondern Seelen. Mit dem wundersamen Titel eines „apostolischen Nuntius“ für Asien ausgestattet, geht er mit den Ozeanen um, wie andere mit dem Steinhuder Meer.
Wo er an Land geht, trommelt er mit einer Schelle in der Hand die Jungen und Männer zusammen, zweimal am Tag einen ganzen Monat hindurch, damit sie wiederum ihren Vätern und Müttern und allen Hausbewohnern und den Nachbarn beibringen, was sie gelernt hatten. Tausende unterrichtet er so im Glauben und tauft sie. Der unerschöpfliche Eifer für seine Sendung ist es, was an Xaver fasziniert. Das Evangelium zu verkünden und den „Seelen zu helfen“, lässt ihn kaum ruhen. Meistens hält er sich nur kurze Zeit an einem Ort auf. Immer geht es für ihn nur weiter. Er ist ein Heiliger, der es eilig hat. Er müsse Türen öffnen gehen, meint er selbst. Bei den Mitbrüdern in Rom sprach man von seinen „göttlichen Sprüngen“. Die eleganten Sprünge des Studenten auf der Isle de Paris wiederholen sich im Laufschritt seiner Reisen zu den Inseln Asiens.
Goa ist der Mittelpunkt seiner Missionstätigkeit in Indien. Hier errichtet er die erste Jesuitenniederlassung zur Ausbildung einheimischer Jugendlicher. Hierhin kehrt er immer wieder zurück. Von dort aus geht er zu den Fischerdörfern an der Südküste Indiens. Es folgt ein einziges Durcheinander an Reisen – alles zusammen über 8.000 Kilometer. Die Menschen sind beeindruckt von der inneren Glut, mit der er den Gott verkündet, der ihn all diese Wege leitet. Was die Leute aber vielleicht am meisten beeindruckt, ist seine Heiterkeit, als hätte er den Mund voller Lachen. „Alegre y de muy buena gracia“ – heiter und liebenswürdig sah er aus, hat jemand einmal über ihn geschrieben.
„Frucht bringen“, das ist die Vokabel, die Franz in seinen Briefen ständig rezitiert. Er setzt den ignatianischen Grundgedanken in die Tat um: der größere apostolische Nutzen und damit die größere Ehre Gottes. Und da das Reifen beim Menschen nie abgeschlossen ist, und das Leben immer weiter geht, muss auch die Frucht immer größer werden. Die Liebe muss mehr in die Werke gelegt werden, hatte Ignatius betont, und Franz war sicherlich einer seiner besten Interpreten. Die Liebe ist kein stehender Tümpel, sondern Quellwasser, sie läuft nicht aus, sondern über. Natürlich kann dies auch missverstanden und gefährlich werden. Der Zwang zu geistlichen und menschlichen Höchstleistungen kann schnell zur ständigen Überforderung werden. Und bei dem ehrgeizigen Hochspringer lag diese Gefahr sehr nahe. Doch gerade seine letzten Lebensjahre, bevor er mit nur 46 Jahren starb, zeigen, dass er die Grenzen eines solchen Leistungsdenkens noch einmal überspringt. Denn selbst in der höchsten Aktivität bleibt der Mensch Gott gegenüber immer der Empfangende. Seine Gnade geht unserem Tun voraus.
Heiter und liebenswürdig, liebe Schwestern, liebe Brüder, das können wiederum Stichworte für uns selbst sein. Letztlich fruchtet für den Glauben nur, wenn wir aus echter Liebe handeln. Vielleicht hilft dieser Gedanke auch, unseren tief sitzenden Glaubensverbissenheiten auf die Spur zu kommen. Sie fruchten ohnehin nicht, weil sie ganz und gar unattraktiv für andere sind. Nur wo wir selbst innerlich heiter und liebenswürdig sind, da wird auch unser Glaube fruchtbar für andere.

4. Ihm gehen die Augen auf: Glaube und Gerechtigkeit
Wir wissen nicht genau, wann Franz die Zweideutigkeit seiner Situation in Indien bewusst wird. Wann ihm die Augen aufgehen, dass er für die Portugiesen eigentlich nur als Feigenblatt herhalten muss, um die beschämende Blöße des ungeheuerlichen Raubes, den die Kolonialisation jener Zeit darstellt, zu verstecken. Aber nach und nach begreift er in aller Klarheit, dass das Evangelium mit der europäischen Eroberungspolitik nicht zu vereinbaren ist.
„Was den König angeht“, schreibt er, als er sich über die Raffgier der portugiesischen Beamten beklagt, „so scheint mir, dem guten Mann werden in der Todesstunde die Augen aufgehen, dass er bezüglich Indiens versagt hat.“ Gemeint ist König Johann III., einer der größten Wohltäter des jungen Jesuitenordens in Europa, den Ignatius immerhin als „besten König der Welt“ bezeichnet. Dieser, schreibt Franz, müsste doch endlich auch die Worte Christi verstehen und tief innerlich verkosten, die sein eigenes Leben so radikal veränderten: ‚Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet?’ Und: „Es ist an der Zeit, dem König die Augen zu öffnen.“
Er spürt, dass es um mehr geht, als um eine himmlische Rettung der Seelen. Zur Verkündigung des Glaubens muss notwendigerweise das engagierte Eintreten für die Gerechtigkeit dazukommen.
„Entschuldigen Sie meine freie Sprache“, schreibt er dem König schließlich ziemlich unverblümt: „Señor, es ist ein Martyrium, mit Geduld ansehen zu müssen, wie das zerstört wird, was man mit soviel Mühe aufgebaut hat... Die Erfahrung lehrt mich immer wieder, dass Euer Majestät in Indien keine Macht haben, den Glauben Christi auszubreiten, während Sie doch Macht besitzen, den Reichtümer des Landes wegzunehmen und sich ihres Genusses zu erfreuen...“ Und fast resigniert fügt er hinzu: „Da ich weiß, wie die Dinge hier stehen, Señor, habe ich keine Hoffnung mehr, die Befehle und Anweisungen, die ich zur Ausbreitung des Christentums gegeben habe, in Indien in die Tat umzusetzen. Deshalb fliehe ich gleichsam nach Japan, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.“
Liebe Schwestern, liebe Brüder, der jetzige Papst fragt in seiner Enzyklika mit Recht, wer eigentlich gerechte Strukturen schaffen „muss“, die Kirche oder der Staat. Und er entscheidet sich für den Staat und damit gegen eine Politisierung des Glaubens. Selbst wenn mir selbst manchmal der Gedanke kommt, gescheite Sozialarbeit könne die Verkündigung letztlich aufwiegen oder gar überbieten...: Dem würde Franz so wohl ganz bestimmt nicht zustimmen! Kirche darf sich niemals zum „Feigenblatt“ machen lassen, weder durch ihre Verkündigung in ungerechten Strukturen, noch durch noch so gute Sozialarbeit, wenn sie allein deswegen geschieht, um in den Augen der breiten Mehrheit wenigstens nicht ganz unnütz zu sein. Gerade in dieser Hinsicht erscheint mir der „Patron der Missionen“ heute erstaunlich auf der Höhe der Zeit.

5. Flucht und Neuansatz in Japan
„Deshalb fliehe ich gleichsam nach Japan“, schreibt Franz. Zwei von den zwölf Jahren seiner Odyssee hat er dort verbracht, und es werden für ihn die entscheidenden sein, weil sich dort etwas Grundlegendes wandelt. Er lässt die koloniale und habgierige Umgebung, die seine Botschaft in Indien entstellt und zur Flucht zwingt, hinter sich. Was er jetzt in Japan lernt, ist eine ganz neue Missionsmethode. Was sich letztlich wandelt, ist er selbst!
Das Schicksal war ihm 1547 in Malakka in Gestalt eines Japaners begegnet, Anjirô, der ihn mit seinen Fragen und vor allem seiner Neugier beeindruckt. Vom Land der aufgehenden Sonne zu hören, versetzte ihn in helle Aufregung. „Ich fragte ihn, ob alle Japaner Christen werden würden, wenn ich mit ihm in seine Heimat ginge. Er antwortete, seine Landsleute würden nicht sofort Christen werden. Sie würden zuerst viele Fragen stellen und abwarten, was ich antwortete und wie viel ich wüsste. Vor allem würden sie zu sehen wünschen, ob mein Leben mit meiner Lehre übereinstimme. Wenn ich in diesen beiden Dingen ihren Vorstellungen genügen würde, das heißt, wenn ich ihre Fragen zufriedenstellend beantwortet und ein Leben ohne Tadel geführt hätte, dann würden der König, der Adel und alle Leute mit gutem Urteil innerhalb eines halben Jahres Christen werden. Denn dieses Volk, so sagte Anjirô, folgt nur der Vernunft.“
Damit ist in wenigen Zeilen die neue Philosophie skizziert, die ihn fortan leitet: die Bereitschaft zum Dialog, zum Austausch, die gemeinsame Suche nach Wahrheit. Mit nur drei Begleitern fährt er 1549 auf die japanischen Inseln. Aber hier merkt er bald, dass er seine bisherige Missionsmethode ändern muss. Als armer Bettler in einem zerschlissenen Kleid, wie er angekommen war, wird er ausgelacht. Ebenso weckt das Vortragen von schlecht übersetzten Texten eher Gelächter. Er kleidet sich nun in Seide, und mit Hilfe eines Gefährten, der sehr rasch japanisch lernt, diskutiert er täglich mit buddhistischen und shintoistischen Mönchen über den christlichen Glauben. Er ist wohl der erste Europäer, der auf dem Weg zum Kaiserhof ins Landesinnere vordringt. Er hat keine Massenerfolge mehr, kann aber innerhalb von zwei Jahren dennoch etwa 1.000 Personen für den christlichen Glauben gewinnen. Xaver macht die Erfahrung, dass Mission nur unter Berücksichtigung der Wurzeln einer Kultur sinnvoll ist.
„Interreligiöser Dialog“ ist sicher eine Vokabel, die Franz Xaver nicht kannte. Was damit aber gemeint ist, war ihm deswegen bestimmt nicht fremd. Er ermahnt seinen Stellvertreter, nicht zu streng mit den Perlenfischern zu sein: „Lernen Sie, deren Schwächen mit viel Geduld zu ertragen, indem Sie sich der Hoffnung hingeben, dass sie eines Tages gute Christen sein werden, wenn sie es auch jetzt noch nicht sind. Und wenn Ihnen auch nicht alles nach Wunsch glückt, so seien Sie zufrieden mit dem, was Ihnen gelingt. Ich muss es ja auch so machen.“
Wo ich das nicht mehr kann, wo ich die Geduld verliere, wo ich meine, der Wahrheit nachhelfen zu müssen, da habe ich eigentlich die Hoffnung verloren. Darum ist eigentlich die Rede von einem „Kampf der Kulturen“ und jeglicher Fundamentalismus so unmissionarisch wie nur was und auch so gefährlich. Weil ich die Hoffnung aufgebe und selber meine, das Heft in die Hand zu nehmen. Hoffnung ist aber der Urgrund der Mission. Die Hoffnung auf Gott, der letztlich das Reich Gottes für alle Menschen will und dessen Reich eben wie ein Senfkorn ist, aber unaufhaltsam wächst und zu einem großen Baum wird. Jemand, der von Mission redet, aber dieser Hoffnung keinen Glauben schenkt, gleicht einem Bock, der zum Gärtner gemacht wird.

6. In allen Dingen
Die Welt ist Gottes so voll. Für Franz wird die ganze Welt zum Ort der Begegnung mit Gott, ein Ort, wo wir Gott erfahren können. Aus dieser Erfahrung erwächst eine Sehnsucht, dem in der Schöpfung sich mitteilenden und sich schenkenden Gott eine entsprechende Antwort der Liebe zu geben.
„Die Tröstungen, die Gott unser Herr jenen gibt, die unter diesen Heiden leben und sie zum Glauben an Christus bekehren, sind so groß, dass wenn es überhaupt eine wahre Freude gibt in diesem Leben, sie hier zu finden ist“, schreibt Franz 1544 nach Rom. „Gar oft kommt es mir vor, ich hörte jemand, der hier lebt, sagen: Herr, gib mir nicht so viele Tröstungen! Und willst du sie doch in deiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit geben, dann nimm mich auf in deine ewige Seligkeit: denn zu leben, ohne dich zu schauen, ist ein so großer Schmerz, wenn du dich auch nur einmal innerlich so deinen Geschöpfen mitgeteilt hast.“
Sicher könnte man versuchen, diese Worte zu erklären, was mit diesen Tröstungen wohl gemeint sein könnte. Vielleicht kann man sie aber auch einfach nur so stehen lassen., Franz hat solche geistliche Erfahrung gemacht. Und er hat versucht, andere dafür zu begeistern: „Das schreibe ich Euch, damit Ihr wisst, wie überreich diese Inseln sind an geistlichen Tröstungen. In ein paar Jahren könnte man hier das Augenlicht verlieren vom Übermaß der Tränen des Trostes.“
Wenn ich diese Worte höre, dann sagen sie mir: Bevor ich meine, eine Fülle von Ideen in die Welt tragen zu müssen, wäre es gut, die Fülle Gottes in der Welt gewahr zu werden. Es geht wirklich, würde Franz unseren Zweifeln entgegnen. Ihr werdet es sehen. Haltet Euch offen dafür. Es kann Euch ein Augenblick dieser geistlichen Tröstung geschenkt werden, der dann Euer ganzes Leben tragen wird. Dann werdet Ihr in jedem Gesicht, in jedem Gespräch, im Dunkel und im Licht, in der Freude und in der Not, in der Nähe Gottes und in seiner Ferne Gott finden. In allem Gott.

7. Allein vertrauend auf Gott
Es ist ein letzter Punkt, den ich an Franz vielleicht am bemerkenswertesten finde. Bevor er mit 46 Jahren stirbt, setzt er alles daran, nach China zu gehen. Denn er hatte gehört, dass die japanische Kultur eigentlich von China her gegründet worden sei. Deswegen verspricht er sich auf lange Sicht nach einer Bekehrung dort auch mehr Erfolge in Japan. China hatte aber seine Tore für alle Fremden dichtgemacht. Trotzdem versucht Xaver, irgendwie hineinzukommen. Schwer enttäuscht ihn, dass er nun quasi von allen in Stich gelassen wird.
„Ausgesetzt allen Gefahren des Todes, setze ich meine ganze Hoffnung und mein Vertrauen auf Gott unseren Herrn“, schreibt er von den Molukken, und wieder erinnert er sich an das Christus-Wort, das ihn einst in die Welt hinaus getrieben hat. „Nur eine Sehnsucht habe ich: mich, gemäß meinen kleinen und schwachen Kräften, gleichzubilden dem Wort Christi unseres Erlösers und Herrn, der da sagt: ‚Qui enim voluerit animam suam salvam facere, perdet eam.’“ (Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren.) Nun ist es zwar leicht, das Latein, und den allgemeinen Sinn dieses Herrenworts zu verstehen. Aber wenn gefährliche Fälle kommen, in denen man annehmen muss, dass der Entschluss, zu dem man neigt, wahrscheinlich den Verlust des Lebens bedeutet: dann wird es so finster um uns, dass auch dieses Latein, das sonst so klar ist, dunkel wird.“
Sehr realistisch schildert er die Gefahren der Überfahrt. Entweder werde das Schiff ihn unterwegs aussetzen oder aber, in Kanton angekommen, werde er gefangengenommen und gefoltert. Viel größer sei aber die Gefahr, „dass man aufhört, auf die Barmherzigkeit Gottes zu hoffen und zu vertrauen... In Seine Barmherzigkeit und Macht Misstrauen zu setzen wegen der Gefahren, in denen wir uns um seines Dienstes willen sehen könnten, das ist eine viel größere Gefahr, als es die Übel sind, die uns alle Feind Gottes zufügen können.“
Portugiesische Händler bringen ihn schließlich auf die China vorgelagerte Insel Sanzian, nur drei Meilen vom Festland entfernt. Aber niemand ist bereit, ihn dorthin zu bringen. Da der Winter naht, reisen alle ab. Jeder menschlichen Hilfe beraubt, bleibt Franz Xaver mit einem einzigen Gefährten auf der Insel zurück, in der Hoffnung, doch noch eine Gelegenheit für die Überfahrt zu finden, und sei es auch heimlich. Er, der bisher allen Gefahren mit einer eisernen Gesundheit getrotzt hatte, wird nun krank. Allein und verlassen vor den verschlossenen Toren seines letzten großen Traumes schreibt er in einem seiner letzten Briefe an die Brüder in Goa kurz vor seinem Tod: „Betet, viel für uns zu Gott, denn wir laufen die allergrößte Gefahr, in die Gefangenschaft zu geraten. Aber wir finden Trost in dem einen Gedanken: Viel besser ist es, gefangen zu werden aus Liebe zu Gott, als frei zu sein durch die Flucht vor den Mühen des Kreuzes.“
Das finde ich an Franz Xaver letztlich faszinierend. Gerade der größte Pionier der Mission macht deutlich, dass es eben nicht auf heroische Heldentaten für den Glauben ankommt, sondern am Ende seines Lebens steht nur noch das stille Aushalten, das Gebet. Wer gewinnen will, wird verlieren. Aber wer verliert, gewinnt! So lautet Gottes Regel im Spiel der Gnade! Nicht menschliches Tun bewirkt den Durchbruch. Allein Gottes freies Handeln kann das Menschenherz gewinnen. Unser Handeln bereitet jedoch den Raum für Gottes Einladung. Dabei brauchen wir uns aber nicht zu ängstigen im Blick auf unsere eigene Schwäche, auf unsere Unvollkommenheiten, auf unser halbmüdes Verzagtsein. Sondern entscheidend ist nur, zum Zeugnis des Wortes und der Tat die Zustimmung unseres eigenen Herzens zu geben. Wie im Gleichnis vom Sämann beschrieben, gelingt es nur in einer Haltung der Großzügigkeit, die Frohe Botschaft unverkrampft und freimütig weiterzusagen.
Diese Großzügigkeit, ein solches restloses Vertrauen in die Wirksamkeit der Gnade Gottes befreit von jeder kleinlichen Angst und befähigt zur „Großmut“, d.h. Großes zu tun. Eine solche „Absichtslosigkeit“ oder Gelassenheit, die etwas von dem „liebenden Umsonst“ („gratis“) der Liebe Gottes zu uns widerspiegelt, diese Tugend ist vielleicht heute die wichtigste Grundeinstellung, wenn wir Menschen in unseren Gemeinden „willkommen“ heißen wollen.
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Liebe Schwestern, liebe Brüder, ich meine, die kleine Handreichung des heiligen Franz macht sich im Handgepäck des Missionars von heute immer noch sehr gut. Wenn wir missionarisch sein wollen, dann geht es eigentlich darum, dass wir Gott in unserem Leben wirklich ernst nehmen: Wir müssen und dürfen davon ausgehen: Gott ist am Werk, er hat wirklich etwas mit uns vor.
Lassen wir unser Herz doch anrühren von Seinem Wort, und versuchen wir, Sein Wort in unsere bescheidenen Worte zu fassen, in unser begrenztes Tun. Unser ganzes Leben dürfen wir von Gott als Geschenk begreifen und deswegen vertrauensvoll weiterschenken – in gelassener Heiterkeit und großzügiger Liebenswürdigkeit. Auf dass es Frucht bringe!
Mission, so sagt uns der große Missionar, ist gelebter Glaube, ist niemals Leistung, sondern die Entdeckung, dass Gott alle Grenzen übersteigt, dass er schon längst dort ist, wohin wir erst noch auf dem Weg sind, dass er überall am Werk ist.
Schauen wir nicht zu sehr auf uns und unsere begrenzten Möglichkeiten, richten wir unseren Blick vielmehr auf Ihn, der uns sendet und alle Grenzen überwindet.
Der erste große Brief Franz Xavers nach Europa ist ein einziger flammender Aufruf. Er schreibt, angesichts der großen Herausforderungen packe ihn oft das Verlangen, „in die Universitäten Europas zu stürmen, schreiend mit lauter Stimme, wie einer, der nicht mehr bei Sinnen ist“; um in den Studenten ein inneres Feuer zu wecken, „bis sie sagen: Herr, siehe hier bin ich. Was willst Du, dass ich tun soll? Sende mich, wohin Du willst, und wenn es gut ist, selbst bis nach Indien!“