Predigt 4. Sonntag in der Osterzeit
am 29. April 2007

Evangelium: Joh. 10, 27 - 30
Autor: P.Heribert Graab S.J.
In Zeiten des Landschaftsschutzes
begegnen uns hier und da wieder
Hirten mit ihren Herden rund um Göttingen.
Dennoch scheint uns das Bild des Hirten
aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen -
also „unmodern" zu sein.

Weil aber das Bild des Hirten
zu den Urbildern der Menschheit gehört
- ähnlich wie das des Vaters oder des Königs -
lebt es auch heute
und erschließt uns wesentliche Bedeutungszusammenhänge
zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Lebens.
Daher sind auch die biblischen Hirtengleichnisse
zu allen Zeiten und eben auch heute höchstaktuell.

Hirte

Pieter Bruegel d.Ä. hat in dem Kupferstich
„Der Schafstall Christi" mehrere Gleichnisreden
vom guten und vom schlechten Hirten zusammengefaßt.
Im Zentrum steht selbstverständlich der gute Hirte Jesus Christus.
Wir werden auf Ihn zurückkommen.
Aber all die anderen
- die schlechten Hirten, die bezahlten Knechte,
die Diebe und Räuber -
nehmen breiten Raum ein
und scheinen sogar die Übermacht zu haben.

Bruegel hielt sich nicht heraus
aus den geistigen und politischen Bewegungen seiner Zeit.
Er hatte ebenso die religiösen Auseinandersetzungen
zwischen der reformierten Kirche und der katholischen Kirche im Blick,
wie auch vor allem die politischen Auseinandersetzungen
zwischen dem katholischen Spanien
und den protestantischen Niederlanden.

In all diesen Auseinandersetzungen
werden die Menschen zu Opfern.
Denn alle - ob politisch oder religiös tätig -
greifen nach den Menschen,
bringen sie in ihren Besitz,
beherrschen sie,
nützen sie aus.
Und wer mehr Menschen an sich reißen kann,
wird am Ende der Mächtigste sein.

Bruegel sieht wohl einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Jesuswort:
„Ihr wißt, daß die Herrscher ihre Völker unterdrücken
und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen mißbrauchen.
Bei euch soll es nicht so sein..." (Mt. 20, 25 ff)

Wie aktuell das Ganze ist, liegt auf der Hand:
Vor allem fundamentalistische Bewegungen
- seien sie islamistisch oder christlich geprägt -
greifen nach den Menschen,
bringen sie in ihren Besitz,
beherrschen sie
und nützen sie aus -
mit Gewalt zum Beispiel der Islamismus im Irak
oder der fundamentalistische Hinduismus in Teilen Indiens;
mit Geld und wirtschaftlicher Macht
zum Beispiel fundamentalistisch-christliche Sekten aus den Vereinigten Staaten
in Lateinamerika oder auch in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

In der Politik sieht‘s nicht anders aus:
Denken Sie an die Krisengebiete dieser Welt:
Darfour, Somalia, Irak, Iran, Israel, Palästina und, und, und...
Selbst in westlichen Demokratien hat man gar zu oft den Eindruck,
es gehe nicht um den Dienst an den Menschen,
sondern um deren Stimmen und um den eigenen Machterhalt.

In der Wirtschaft mögen zwei entlarvende Begriffe
deutlich machen, worum es geht:
„Head-Hunter" - was auf deutsch „Kopfjäger" bedeutet,
und „Hedgefonds", bei denen es zwar der Wortbedeutung nach
um „Sicherheit" geht,
in Wirklichkeit jedoch - bei mangelnder Aufsicht -
nicht selten um rücksichtslose Spekulation,
die zur Bezeichnung dieser Fonds als „Heuschrecken" führte.

Wenn ich mir die Szenen rings um den Schafstall
und auf dessen Dach näher anschaue,
dann assoziiere ich damit fast schon automatisch
die Personalreduzierungs- und Ausgliederungspolitik
von Großunternehmen wie Telecom oder Airbus.

Aber diese Szenen können auch dazu dienen,
die Situation von Kindern in unserer Gesellschaft zu illustrieren:
die Kinderarmut, den Mißbrauch von Kindern,
die Vernachlässigung von Kindern,
die Kindersklaven und Kindersoldaten -
und das alles weltweit
und mehr oder minder, direkt oder indirekt
auch hier bei uns.

Amen