Predigt zum dritten Sonntag in der Osterzeit (B)
am 26. April 2009 in Sankt Michael, Göttingen
Evangelium:  Lk. 24, 35 - 48
Autor:  P. Christoph Soyer S.J.
    Vor fünf Wochen hatte ich eine Trauung in den österreichischen Bergen. Mein ältester Schulfreund hatte geheiratet hat und da habe ich trotz der langen Anfahrt zugesagt. Es war eine beeindruckende Trauung: am Morgen in einer Dorfkapelle, danach sind wir alle (150 Leuten) rauf ins Skigebiet gefahren worden, 3 Stunden Ski oder Schlitten fahren, noch ne kleine Party auf der Skihütte mit Live-Musik, dann wieder runter ins Hotel und eine ausgedehnte Feier bis in die Morgenstunden. Das war eine großartige Hochzeit!

    Für mich war es auch aufregend, weil ich dort alte Klassenkameraden getroffen habe, die ich seit 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Ich hatte in der 13. Klasse einen unrühmlichen Abgang von der Schule, die ich wenige Monate vor dem Abitur einfach abgebrochen habe. Ich fand damals alles ziemlich bescheuert, und ich vermute, die Anderen fanden mich ebenso. Da ist die Situation eine Trauung, wo ich plötzlich in einer ganz anderen Rolle auftauche – vorne stehe – wirklich aufregend. Die Trauung verlief gut, ich habe mir bei der Vorbereitung auch viel Mühe gegeben und es war einfach ein schöner Gottesdienst. Im Verlauf des Tages lobten mich einige der alten Klassenkameraden und sagten mir: Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.

    Ich habe mich darüber natürlich gefreut; es ist immer schön, gelobt zu werden, gerade wenn es um die Konfrontation mit der eigenen Lebensgeschichte geht. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut: Für mich hatte das etwas mit Auferstehung zu tun – obwohl die Trauung mitten in der Fastenzeit lag. Es geht nicht um das Lob, sondern Auferstehung deswegen, weil es um das Ineinander von Kontinuität und Neuem geht. Ich bin ja immer noch derselbe, der ich früher war, aber ich bin eben auch ein Neuer geworden. Das Neue ist tatsächlich etwas Neues, aber es ist nicht denkbar ohne die Vorgeschichte, auch wenn das Neue mehr ist als die Summe der Teile der Vorgeschichte.

    In den Evangelien nach Ostern hören wir Erzählungen des Auferstandenen. Die Erzählungen unterscheiden sich in vielen Details. Letzte Woche war es Thomas, der seine Hände in die Wundmale Jesu legen sollte; heute geht es darum, dass Jesus essen kann. All diesen Auferstehungserzählungen ist gemein, dass die Jünger den Auferstandenen anfangs nicht erkennen. Wir haben eben gehört, wie die Jünger meinen, einem Geist zu sehen; Phantasma steht im Griechischen, es geht also in Richtung Halluzination oder Hirngespinst. Damit die Jünger Jesus erkennen, muss er sich in bestimmten Zeichen oder Worten zu erkennen geben. Bei Maria aus Magdala war es, dass er sie bei ihrem Namen gerufen hat, bei den Emmausjüngern war es das Brotbrechen, oder es war der Friedensgruß an die Jünger, oder hier das gemeinsame Mahlhalten. Jesusmachte so begreiflich: Ich bin es – und ich bin es als ein ganz Anderer! Erst indem Jesus mit den Anderen in Beziehung tritt, wird seine Identität deutlich. Im Beziehungsgeschehen wird das Neue erfahrbar.

    Freilich, die Jünger sagen nicht: ‚Oh, das hätten wir dir gar nicht zugetraut‘. Das wäre zu wenig, irgendein Ereignis, das interessant und ungewöhnlich ist. Vielmehr wird ihr ganzes Leben umgekrempelt. Ausgehend von den paar Fischern, die sich aus lauter Angst in verschlossenen Räumen aufhalten, wird eine unglaublich dynamische Bewegung, die sich in wenigen Jahren über die gesamte damals bekannte Welt ausbreitet. So etwas ist nur möglich, wenn die Apostel in der Auferstehung Jesu auch ihre eigene Auferstehung erlebt haben; oder zumindest ihr Auferstehungspotential gespürt haben.

    Auferstehung: Für mich ist es das Ineinander von Lebensgeschichte, all das, was mich, positiv wie negativ, geprägt hat, und dem Aufgehobensein in Gott. Dieses Aufgehobensein in Gott meint, dass tatsächlich etwas Neues entsteht, dass Lebensgeschichte verwandelt wird. Diese Verwandlung ist kein Phantasma. Nichts gespenstisches, wie die Jünger erst dachten, sondern Kraft, Mut, Heilung, Versöhnung.

    Meinen persönlichen Auferstehungsglauben finde ich ausgedrückt in einem Satz des Philosophen Hegel. Ein Satz, der mich seit vielen Jahren begleitet: ‚Identität ist die Identität von Identität und Nicht-Identität‘. Gemeint ist damit, dass alles, was mein Leben ausmacht, das, was sich wie ein roter Faden durch das Leben zieht, genauso wie die Brüche, Niederlagen und Enttäuschungen zu einem Ganzen zusammenfügt. Nichts von alldem geht verloren, sondern es wird emporgehoben. Emporgehoben, in Gott eingefügt, und somit zur wahren Vollendung gebracht. Das kann man nicht selber machen, das kann man nur als Geschenk Gottes annehmen. Selber machen kann man vielleicht noch, dass man sich mit seiner Lebensgeschichte versöhnt, also die Brüche in seine Biographie integriert. Wenn das gelingt, ist das schon viel. Aber die Verwandlung in Gott hinein kann man nicht mehr selber machen. Die letzte und eigentliche Identität, die Gemeinschaft mit Gott, gibt es nur im Glauben und im Vertrauen auf Gott.

    Wenn wir auf unser Leben schauen, mit dem, was sich Positives durch unser Leben zieht, aber auch mit den Brüchen und dem Schmerzhaften – wenn wir dann auf den auferstandenen Jesus schauen, dann ist vielleicht die entscheidende Frage: Traue ich Dir, Gott, zu, dass Du auch mein Leben auferweckst und verwandelst? Amen.