Predigt zum fünften Ostersonntag (A)
am 18. Mai 2014
Lesung: 1. Petr. 2, 4 - 9
Evangelium: Joh. 14, 1 - 12
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Schon am vergangenen Sonntag hat uns die nachösterliche Frage
der wachsenden, jungen Kirche beschäftigt:
Wer ist eigentlich dieser Jesus Christus,
auf dessen Namen wir getauft sind, und dem wir nachfolgen?

Diese Frage steht heute noch einmal
im Mittelpunkt der beiden Schrifttexte, die wir gehört haben.
Wir erleben im Hinhören auf diese Texte
den beginnenden theologischen Reflexionsprozeß
über die Gestalt Jesu mit.
Dieser Reflexionsprozeß hat sich dann
durch zwei Jahrtausende hindurch fortgesetzt
und unser intellektuelles Verständnis Jesu,
den wir den Christus nennen, immer weiter vertieft.
Zugleich grenzt sich die Theologie,
indem sie die Offenbarung der Schrift reflektiert,
auch von Mißverständnissen dieses Jesus von Nazareth ab.
Allerdings erlag die christliche Theologie
auch selbst immer wieder diesem oder jenem Mißverständnis -
manchmal mit der einschneidenden Folge
einer dauerhaften Spaltung.

Am vergangenen Sonntag ging es um die Frage:
Was heißt das, wenn Jesus von sich sagt,
Er sei „der gute Hirte“, oder Er sei „die Tür“ zum Leben.
Heute geht es wieder um Bildworte,
die Jesu Wesen umschreiben:
In der Lesung aus dem ersten Petrusbrief ist die Rede
vom „Stein, die die Bauleute verworfen haben,
der jedoch zum Eckstein geworden ist“.
Im Evangelium spricht Jesus
von den „Wohnungen“ im Haus Seines Vaters,
die Er für uns vorbereitet,
und davon, daß Er selbst „der Weg“ zum Vater ist
und damit zugleich „die Wahrheit“ und „das Leben“.

Wie das Johannesevangelium ist auch der Erste Petrusbrief
ein sehr später Text des Neuen Testamentes.
Vermutlich ist er in Rom entstanden:
Die Absender des Briefes nennen sich
„die Mitauserwählten in Babylon“ und meinen damit wohl
-  ähnlich wie die Offenbarung des Johannes - Rom,
das in den Augen dieser Generation von Christen
vor allem wegen der fürchterlichen Christenverfolgungen
durch und durch verdorben war -
ein Abgrund selbstherrlicher Bosheit.

Auf diesem Hintergrund bekommt die Bezeichnung Jesu
als „Stein, den die Bauleute verworfen haben“
eine höchst aktuelle Bedeutung.
Nicht von ungefähr also greifen
die Autoren dieses sogenannten Petrusbriefes
ein Wort aus dem 118. Psalm auf:
„Der Stein, den die Bauleute verwarfen,
er ist zum Eckstein geworden.“

Das ist zunächst einmal als eine Ermutigung der Christen Roms
in der Bedrängnis von Anfeindungen und Verfolgung zu verstehen:
Sie erleben hautnah, wie sehr dieser Christus,
dem sie sich zutiefst verbunden fühlen,
in ihrer Umgebung als ‚Stein des Anstoßes‘ gesehen wird.
Und nicht wenige von ihnen werden in dieser mörderischen Stadt
wie unbrauchbare Steine behandelt und einfach weggeworfen.

Daraus entsteht Verunsicherung im Glauben
und auch Angst vor Isolation oder gar Angst um das eigene Leben.
Dem stellt der Petrusbrief
die Erwählung Jesu Christi durch Gott entgegen:
Durch Gott ist Er zum „Eckstein“ geworden,
zum Fundament, auf dem ‚Gottes Stadt‘ erbaut,
und Gottes Zukunft für diese Welt errichtet wird.
Durch Gott ist dieser von Ihm erwählte Eckstein
zugleich jedoch auch so etwas wie ein unverrückbarer Fels,
an dem seine Gegner, zumal die herrschende Clique Roms,
sich stoßen, sich eine blutige Nase holen
und schließlich zu Fall kommen.
Ihr dagegen gehört zu Christus, dem Eckstein,
seid selbst als „lebendige Steine“ in Gottes Haus, in Gottes Stadt,
seid sogar in diesem ‚Organismus‘ der Zukunft Gottes
„ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft,
ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde“.

Natürlich ist dieser ermutigende Text auch heute hochaktuell!
Christen werden weltweit verfolgt -
mehr denn je und mehr als alle anderen Minderheiten.
Von einer solchen Verfolgung sind wir selbst weit entfernt;
aber auch wir sind zur Minderheit geworden,
gelten vielfach als ‚rückwärtsgewandt‘ und ‚von gestern‘,
begegnen oft blankem Unverständnis:
„Wie kann man nur…?“
„Wie? Du bist immer noch nicht ausgetreten aus deiner Kirche?“
Nicht selten sind wir mit einem spöttischen Lächeln
oder mit einer spitzen Bemerkung konfrontiert.

In dieser Situation kann und soll die Lesung dieses Sonntags
auch uns ermutigen,
uns nicht zu verstecken, sondern durchaus selbstbewußt
zum Glauben an Jesus Christus zu stehen.
Selbst innerhalb der Kirche ermutigt diese Lesung
gerade die sogenannten ‚Laien‘, deutlich zu bekennen:
Wir sind die Kirche!
Mehr noch: Wir sind durch Taufe und Firmung
„eine heilige Priesterschaft“ aus Frauen und Männern.
Und wir pochen auf diese Würde,
gerade weil die offiziell nicht viel gilt.

Die Aktualität des heutigen Evangeliums
steckt wohl in der ‚Orientierungslosigkeit‘,
die viele von uns mit Thomas, Philippus
und den anderen Aposteln gemeinsam haben:
„Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst.
Wie sollen wir dann den Weg kennen?“

Die Jünger Jesu glaubten, ihren Meister zu kennen -
wie auch die meisten von uns überzeugt sind, Christus zu kennen.
Und doch kannten die Jünger Seinen Weg nicht;
und noch viel weniger kamen sie auf die Idee,
daß Er selbst der Weg schlechthin ist,
der Weg auch ihres eigenen Lebens, ja sogar der einzige Weg,
der sie ans Ziel ihres Lebens bringen konnte.
Geht’s uns eigentlich wesentlich anders?
Wir können vielleicht sogar Bücher
über diesen Jesus Christus schreiben;
aber ist Er wirklich der Weg unseres Lebens?
Orientieren wir uns einzig an Ihm?
Ist Er der entscheidende Wegweiser unseres Lebens?
Und sind wir in der Praxis unseres Lebens
konsequent davon überzeugt,
in Ihm und nur in Ihm das Ziel dieses Lebens zu erreichen -
Gott, den wir mit Ihm ‚Vater‘ nennen dürfen?

Amen.