Predigt zum 5. Ostersonntag (B)
am 3. Mai 2015
Lesung: 1. Joh. 3, 18-24
Evangelium: Joh. 15, 1-8
Hintergrund: Gestern, am 2. Mai durfte ich mit den Schwestern der 'Mägde Mariens' den 165. Jahrestag ihrer Gründung am 3. Mai 1850 feiern und eine Skulptur des Gründers dieser Ordensgemeinschaft, des seligen Edmund von Bojanowski, segnen. Dieser bei uns weitgehend unbekannte Selige ist eine auch für uns heute faszinierende Persönlichkeit. So nehme ich in dieser Predigt auf ihn Bezug.
Das große Thema des 1. Johannesbriefes ist die Liebe:
„Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben,
sondern in Tat und Wahrheit,“ haben wir in der Lesung gehört.
Die deutsche Sprache macht deutlich,
warum dies ein österliches Thema ist:
‚Liebe‘ und ‚Leben‘ haben die gleiche Sprachwurzel.
Liebe ist die eigentliche Lebensenergie!

Gott selbst aber ist die Liebe schlechthin.
In nicht zu überbietender Weise offenbart sich diese Liebe
in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus,
in Seinem Tod und in Seiner Auferstehung.
Ostern feiern wir den Sieg der Liebe und des Lebens
über alle todbringenden Mächte -
über jedwede Form von Egoismus also,
über Ungerechtigkeit, Haß und Gewalt.
Die Liebe von Menschen untereinander
ist daher gelebtes Zeugnis der Osterbotschaft.
Diese Liebe und damit das Leben verbinden uns
mit dem auferstandenen Christus -
wie Reben mit dem Weinstock eine Einheit bilden
und daraus ihre Lebensenergie beziehen.

Das österliche Zeugnis von Liebe und Leben „in Tat und Wahrheit“
kennzeichnet zumal das Leben der Heiligen.
So auch das Leben und das Werk des sel. Edmund von Bojanowski.

Ungezügelte Industriealisierung und noch viele andere Ursachen
führten im 19. Jahrhundert in weiten Teilen Europas
zu einer erschütternden Armut.
Immer wieder gab es auch Epidemien, z.B. Cholera-Seuchen,
und es fehlte an einer angemessenen Krankenpflege.
Eine ausgesprochen schlechte Bildung des Volkes
und fehlende Kinderfürsorge kamen hinzu.
Auf diesem sozialen Hintergrund gab es während des 19.Jahrhunderts
in der Kirche einen enormen Aufbruch caritativ-sozialen Engagements:
Es entstanden nahezu ‚unzählige‘ Ordensgemeinschaften
als Reaktion auf die enorme Fülle sozialer Mißstände.
Einzelne Bischöfe, vor allem aber mutige Frauen
gründeten neue soziale und caritative Lebensgemeinschaften
als ganz praktische Antwort auf die großen Nöte der Zeit.

Angesichts der Not von Kindern und Frauen
unter der Landbevölkerung im preußisch besetzten Polen
ergriff ein einzelner Mann die Initiative -
und das war kein Bischof und nicht einmal ein Priester:
Edmund von Bojanowski.
Edmund von Bojanowski war seiner Zeit weit voraus -
wie selbstverständlich auch die in gleicher Weise engagierten Frauen:
Sie alle verstanden sich als ‚mündige Laien‘ in der Kirche
und nahmen als katholische Christen eine Verantwortung wahr,
die erst das Zweite Vatikanische Konzil ‚Laien‘ offiziell zugestand.

Edmund Bojanowski sah mit offenen Augen
das Elend in seinem Dorf und auf dem Land ringsumher.
Er ging in die ärmlichen Hütten,
suchte den Kontakt zu den Menschen,
traf aber tagsüber nur vernachlässigte Kinder -
ohne Versorgung, ohne menschliche Zuwendung,
ohne eine christliche Erziehung, wie er selbst sie erfahren hatte.
Ihre Mütter schufteten den ganzen Tag
als Landarbeiterinnen auf den großen Gütern.
Aber selbst die harte Arbeit von Vater und Mutter reichten nicht aus,
eine Familie halbwegs über die Runden zu bringen.

Als dann eine schlimme Choleraepidemie das Elend
ins Unerträgliche steigerte, schritt Edmund Bojanowski zur Tat.
Er wurde zum Samariter all der Kranken und Sterbenden.
Sodann aber erschütterte ihn das Schicksal
der durch die Cholera verwaisten und sich selbst überlassenen Kinder.
Für sie und für all die anderen verelendeten Kinder
mußte dringend etwas getan werden.
Edmund Bojanowski war keiner von denen,
die auch heute so oft sagen „Da müßte man doch etwas tun…“.
Er tat selbst das Notwendige.

Er entwickelte Ideen und setzte sie um.
Während der Cholera richtet er ein kleines Krankenhaus ein -
vor allem für die Armen, die nichts zahlen konnten.
Für die Kinder schuf er Kinderbetreuungsstätten,
die ihnen Geborgenheit, Zuwendung
und auch Zugang zu einem sinnstiftenden Glauben geben sollte.
Für eine erste Einrichtung dieser Art
stellte ihm eine fromme Bäuerin eine alte Kate zur Verfügung.
Für die Sorge um die Kinder gewann er einige Mädchen
und erreichte damit gleich zweierlei:
Eine sinnvolle Aufgabe für diese Mädchen
und für die Kinder eine Art ‚Zu-Hause‘
während des langen Arbeitstages ihrer Eltern.

Edmund Bojanowskis faszinierendes Engagement
war verwurzelt in seinem lebendigen Glauben,
einer tiefen Spiritualität und einer echten Frömmigkeit.
In seinem Glauben, in seinem Vertrauen und in seiner Liebe
war er – wie die Reben mit dem Weinstock – mit Christus verbunden.
So formte er bald schon aus den jungen Frauen,
die sich der Kinder annahmen, eine geistliche Lebensgemeinschaft.
Aus diesen Anfängen entstand schließlich
die Ordensgemeinschaft der ‚Mägde Mariens‘.
Bojanowskis Ideen und seine Tatkraft ‚zündeten‘.
Mehr und mehr Dörfer
wollten eine seiner Kinderbetreuungsstätten haben.
Junge Frauen standen bald schon ‚Schlange‘,
um diesen Dienst zu übernehmen
und selbst in der jungen Schwesterngemeinschaft
eine Erfüllung ihres eigenen Lebens zu finden.

Eine solche Aufbruchsstimmung und ein solcher Andrang
sind heute wohl der Traum einer jeden Ordensoberin.
Die Zeiten haben sich jedoch verändert -
durchaus auch zum Guten:
Viele Aufbrüche von damals sind inzwischen Allgemeingut.
Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Pflegeinrichtungen
und Bildungsmöglichkeiten sind für uns selbstverständlich geworden.
Viele Notsituationen von damals gehören der Vergangenheit an.

Und doch ist selbst unsere Wohlstandgesellschaft kein ‚Paradies‘.
Bedrückendes Elend gibt‘s auch bei uns - offen und versteckt.
Armut und Not hat heute andere Ursachen,
aber verletzt die Würde vieler Menschen heute genauso wie damals.
"Alles so weitermachen, wie es immer schon gemacht wurde,
führt zum Tod," sagte Papst Franziskus vor wenigen Tagen.
Wir müssen heute - wie Edmund Bojanowski damals -
mit offenen Augen und einfühlsamen Herzen
die Not und das Elend der Menschen um uns wahrnehmen.
Wir müssen - wie Edmund Bojanowski es ausdrückte -
„die Not selber berühren“,
und dann aus der gleichen Grundhaltung
das tun, was heute erforderlich ist.

Das gilt natürlich auch für jene Ordensgemeinschaften,
die sich - wie im 19. Jahrh. - z.B. für Kinder und Kranke engagieren.
Aber Kinder und Kranke in einem reichen Land
sind längst nicht mehr vom Elend früherer Zeiten betroffen.
Die heute Betroffenen jedoch
- etwa Flüchtlingskinder, Kinder auf der Straße oder Drogenabhängige -
haben mit Kirche eher selten was zu tun
und geraten - u.a. deshalb - leicht aus dem Blickfeld
christlicher Gemeinschaften.

Das gilt nicht nur für die Ordensgemeinschaften!
Auch unsere christlichen Gemeinden,
die ja weitgehend gut situierte Mittelstandsgemeinden sind,
haben da in aller Regel einen ‚blinden Fleck‘.

Wir alle müssen uns also immer wieder der Frage stellen:
Was fordert unsere Berufung als Christen von uns heute?
Was heißt es heute, Kirche Jesu Christ zu sein?
Wie kann und wie muß ich heute und in meinem Alltag
glaubwürdig als Christin und Christ leben?
Oder um es noch einmal mit den Worten von Edmund Bojanowski
zu sagen: Wo geht es uns wirklich darum, „die Not selber berühren“?

Abschließend auch noch einmal
die aktuellen Worte von Papst Franziskus:
"Alles so weitermachen, wie es immer schon gemacht wurde,
führt zum Tod."
Gefragt ist vielmehr die kreative Phantasie
und die gläubige Tatkraft eines Edmund Bojanowski.
Für die Fragen von heute brauchen wir Antworten von heute;
für die Probleme unserer Zeit brauchen wir Lösungen unserer Zeit -
neue Antworten und neue Lösungen,
die im alten und doch immer neuen Glauben
an Jesus Christus und Sein Evangelium verwurzelt sind.

Amen.