Predigt zum 4. Fastensonntag (C) 
am 21. März 2004
Lesung: 2. Kor. 5, 17-21;
Evangelium: Lk. 15, 1-3 und 11-32;
Autor: P.Heribert Graab S.J.
„Laetare" - „Freue dich!" - so heißt dieser Sonntag -
mitten in der Fastenzeit.
„Freut euch und trinkt euch satt
an der Quelle göttlicher Tröstung" -
heißt es im Introitus dieses Sonntags.

Das scheint leicht gesagt - in einer unversöhnten Welt,
die erfüllt ist von Feindschaft, Haß und Gewalt -
leicht gesagt - klingt aber keineswegs überzeugend.
Wie ein schlechter Scherz mag uns sogar 
die Einladung zur Freude erscheinen,
während Tag für Tag Bilder der Trauer, 
Berichte von Leid und Tod unsere Bildschirme überfluten.

Krieg und Terror machen Schlagzeilen,
wenn es um Bagdad geht und um den Irak,
wenn von Afganistan die Rede ist oder gerade wieder vom Kosovo.
Die tödlichen Bomben in Madrid haben uns aufgeschreckt,
weil sich dieser Schrecken vor unserer Haustür abspielte.
Und trotz all dem wird immer noch das meiste unterschlagen:
So spielt sich im Augenblick die weltweit größte humanitäre Katastrophe
im Westen des Sudan ab - ein Völkermord unvorstellbaren Ausmaßes,
von dem wir praktisch nichts mitbekommen.

Da sollen wir uns nun freuen?
Gewiß gibt es im überschaubar-privaten Bereich 
Gott-sei-Dank hier und da Gründe zur Freude.
Aber auch da können wir nicht die Augen verschließen
z.B. vor Trennung und Unversöhntheit in unzähligen Ehe und Familien,
und vor deren Folgen:
- Armut, Not und Streß alleinerziehender Mütter,
- psychische Störungen so vieler Kinder und Jugendlicher,
- Einsamkeit und Verlassenheit alter Menschen...

In diese Situation hinein hören wir nun in der Lesung,
Gott habe uns durch Jesus Christus
„den Dienst der Versöhnung aufgetragen".
„Uff!" sagen wir: „Das soll nun ein Grund zur Freude sein???"
Wie sollen wir mit dieser Herkulesaufgabe umgehen?
Wir sehen einen immensen Berg vor uns
und trauen uns nicht einmal einen kleinen Hügel zu.

Der Auftrag zum „Dienst der Versöhnung" steht in der Lesung
allerdings nicht isoliert.
Da heißt es vielmehr im gleichen Atemzug:
Dieser Gott hat uns selbst „durch Christus mit sich versöhnt";
und nicht nur das: 
Die ganze Welt hat Er „in Christus mit sich versöhnt".
„Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden!" - Jetzt schon!
Und all das kommt von Gott!

Wir stehen also nicht allein 
vor dem Berg eines „Dienstes an der Versöhnung".
Im Gegenteil: Das Wesentliche ist schon geschehen.
Wir müßten nur mit den Augen des Glaubens
und eines rückhaltlosen Vertrauens hinschauen,
um uns der uns geschenkten Gabe der Versöhnung bewußt zu werden.

Genau da aber „liegt der Hund begraben":
Wir selbst sind weitgehend der unversöhnten Welt gleichförmig geworden!
Ganze Generationen der Kirche - keineswegs nur die Pfarrer! -
haben den Primat der Sünde gepredigt,
anstatt die frohe Botschaft vom Primat der Versöhnung zu verkündigen.
Nicht von ungefähr tun sich so viele von uns
mit der „Beichte" so schwer 
oder haben sie sogar ganz aus ihrem Leben gestrichen.
Sakrament der „Buße" - statt Sakrament der „Versöhnung"!
„Zerknirschung" - statt „Fest der Versöhnung"!
Im Evangelium wartet der Vater mit weit geöffneten Armen,
um einzuladen zu einem solchen Fest.
Und bei uns???
Wir schlüpfen da lieber in die Rolle des daheim gebliebenen Sohnes:
Recht und Gerechtigkeit hat Vorrang vor Gnade und Vergebung!
Wo kämen wir sonst auch hin???

Bis auf den heutigen Tag nehmen Gesetze und Prinzipien
in der Kirche einen bei weitem höheren Rang ein
als das Geschenk der Erlösung,
das „den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnet".
Scheitert einer in seiner Ehe, 
gerät er immer noch ganz schnell in eine kirchliche Außenseiterrolle.
Man lädt ihn zwar ein, auch weiterhin mit der Gemeinde zu leben
und Gottesdienst zu feiern;
aber von der „communio" bleibt er ausgeschlossen,
wenn er sich auf ein neues Glück einläßt.
„Versöhnung" bleibt auf halbem Wege stecken:
Eine neue Chance erhält er nicht.

In ganz ähnlicher Situation sind übrignes auch diejenigen Priester,
die irgendwann zu der Überzeugung kommen,
das Priestertum sei nicht der sie erfüllende Lebensweg.

Mit der unversöhnten Welt gleichförmig geworden
ist aber nicht nur „die Kirche" als Institution.
Ganze Heerscharen von Christen sind 
der Welt gleichförmig geworden, 
• wenn sie z.B. in Nordirland seit Jahrzehnten 
unversöhnt nebeneinander her leben oder gar den Haß pflegen;
• wenn sie den Islam mit fundamentalistischen Terroristen in einen Topf werfen
und zum „Erbfeind" des Christentums hochstiliseren;
• oder wenn sie hier vor unserer Tür
z.B. den Drogenabhängigen in großem Bogen aus dem Weg gehen:
Von wegen - mit offenen Armen Versöhnung leben!

Die Bibel kennt den Grund all der Unversöhntheit unserer Welt:
Wer unversöhnt Gott gegenüber steht,
lebt letztendlich unversöhnt auch mit seinen Mitmenschen,
und sogar mit sich selbst!
Und wohlgemerkt:
Das verbale Gottesbekenntnis schließt 
Gottesentfremdung und Unversöhntheit mit Gott keineswegs aus!

Grund zur Freude?
Worin besteht der nun?
In all unserer Unversöhntheit bleibt Gott unverrücklich dabei,
auf jeden einzelnen Menschen 
und erst recht auf uns, die wir auf den Namen Jesu Christi getauft sind, 
mit offenen Armen zu warten!

Eigentlich sollte es eine „Kleinigkeit" sein,
dies Angebot Gottes von ganzem Herzen anzunehmen
und sich in Seine Arme fallen zu lassen.
Haben Sie schon einmal die überaus große Freude beobachtet,
die aus einem Kind - manchmal mit Tränen - herausbricht,
wenn es sich nach einer Entfremdung von den Eltern
einfach in deren ausgebreitete Arme werfen kann? 

Das Gleichnis vom heimkehrenden Sohn und vom „barmherzigen Vater"
ist der Wirklichkeit abgeschaut.
Es erschließt einen Neuanfang - auch für uns.
Gemeinsam können wir - wenn wir nur wollen -
in der Kirche (oder wenigstens in der Gemeinde)
das Modell einer versöhnten Menschheit leben.

Amen.