Predigt zum 15. Sonntag im Jahreskreis (A) 
am 14. Juli 2002
Lesung: Jes. 55, 10-11; Evangelium: Mt. 13, 1-9; 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Heute morgen in der Kindermesse
haben wir selbstverständlich unseren Ambo betrachtet.
Der stellt ja in seinen Bronzereliefs
die Bilder des Gleichnisses vom Sämann dar.

Dann haben wir uns jedoch nicht so sehr
mit der unterschiedlichen Bodenbeschaffenheit befaßt,
um die es im Gleichnis vor allem geht.
Vielmehr haben wir uns den Samen genauer angeschaut.
Zunächst habe ich eine Schale mit Weizenkörnern
unter den Kindern rundgehen lassen.
Es war schnell klar, was aus diesen Samenkörnern wächst,
wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen:
Weizen natürlich.

Dann jedoch wurde es schwieriger:
Als zweites machte eine Schale 
mit kleinen Buchstaben die Runde.
Auch das sind Samen!
Aus Buchstaben bilden wir Worte;
und wir alle streuen Worte aus wie der Sämann den Samen.

Der Sämann achtet sehr wohl auf die Qualität des Samens -
möchte er doch demnächst guten und nahrhaften Weizen
aus seiner Saat ernten.
Wie aber ist es um den Samen der Worte bestellt,
den wir Tag für Tag säen -
gar zu oft ohne jedwede Qualitätskontrolle?

Guter Samen bringt gute Früchte,
schlechter Samen schlechte Früchte -
das gilt auch hier.

„Jeder Mensch soll schnell bereit sein zu hören,
aber zurückhaltend im Reden",
heißt es im Jakobusbrief.
Also: Qualitätskontrolle!

In drei plastischen Bildern spricht Jakobus
von den Wirkungen der Worte,
die wir mit unserer Zunge formulieren:
„Wenn wir den Pferden den Zaum anlegen, 
damit sie uns gehorchen,
lenken wir damit das ganze Tier.
Oder denkt an die Schiffe:
Sie sind groß und werden von starken Winden getrieben,
und doch lenkt sie der Steuermann
mit einem ganz kleinen Steuer, wohin er will...
Und wie klein kann ein Feuer sein, 
das einen großen Wald in Brand steckt."
Wir haben das gerade wieder
bei den verheerenden Waldbränden in den Vereinigten Staaten erlebt.
So haben unsere Worte, diese kleinen „Samenkörner",
so hat unsere Zunge, dieses kleine Körperglied,
enorme Auswirkungen - zum Guten, wie zum Schlechten,
meint Jakobus.

Vermutlich hat er vor allem schlechte Erfahrungen gemacht,
wie auch wir sie Tag für Tag machen können,
wenn wir nur die Zeitung aufschlagen.
Dementsprechend sagt Jakobus:
„Auch die Zunge ist ein Feuer,
eine Welt voll Ungerechtigkeit.
Die Zunge ist der Teil,
der den ganzen Menschen verdirbt
und das Rad des Lebens in Brand setzt...".

Und weiter heißt es:
„Mit der Zunge preisen wir den Herrn und Vater,
und mit ihr verfluchen wir die Menschen,
die als Abbild Gottes erschaffen sind.
Aus ein und demselben Mund kommen Segen und Fluch."

Also: Qualitätskontrolle!
Bevor wir drauflosreden,
erst einmal tief durchatmen
und bedenken, was wir sagen wollen,
und wie wir es sagen,
und welche Wirkungen es haben wird,
welche Früchte es bringen wird.

Viel Unfrieden in unseren Familien,
in unserer Nachbarschaft und am Arbeitsplatz
ist nichts anderes als die giftige Frucht giftiger Worte, 
die wir keiner Qualitätskontrolle unterzogen haben.

Manche tief einschneidenden Verletzungen 
könnten wir vermeiden,
wenn wir die Saat unserer Worte vorher abwägen würden.

Wie viele Stammtischparolen, wie viele Vorurteile
und wieviel unverantwortliches Politikergeschwätz
kolportieren wir und reden es einfach nach,
ohne die Früchte zu bedenken - als da sind 
die Abstempelung von Arbeitslosen als Faulpelze,
die Ausgrenzung von Flüchtlingen und von Ausländern insgesamt,
die Spaltung unserer Gesellschaft 
in Leistungswillige und Leistungsverweigerer,
in produktive Kräfte und Schmarotzer,
in lebenswertes und lebensunwertes Leben.

Mit Politphrasen machen wir aus offenkundiger Ungerechtigkeit
erstrebenswerte Gerechtigkeit,
aus den Wurzeln des Unfriedens
unaufgebbare Elemente gesellschaftlicher Ordnung.

Umgekehrt erfahren wir selbst jedoch auch immer wieder,
wie gut uns Worte der Anerkennung, 
der Ermutigung und der Liebe tun.
Schon die kleinsten Freundlichkeiten
tragen Früchte für den ganzen Tag und darüber hinaus:
Ein freundliches Wort des Grußes,
ein herzliches Dankeschön,
die Bitte um Entschuldigung,
oder die Zusage: „Ich verzeihe dir."

In einem schlichten Kinderlied,
das wir heute morgen gesungen haben,
werden Strophe für Strophe
Wortsaat und Worternte gegenüber gestellt:
• Wenn einer sagt, ich mag dich, du,
ich find dich ehrlich gut,
dann krieg ich eine Gänsehaut
und auch ein bißchen Mut.
• Wenn einer sagt, ich brauch dich, du,
ich schaff es nicht allein,
dann kribbelt es in meinem Bauch,
ich fühl‘ mich nicht mehr klein.
• Wenn einer sagt, komm, geh mit mir,
zusammen sind wir was,
dann werd ich rot, weil ich mich freu,
dann macht das Leben Spaß.

In der letzten Strophe heißt es dann:
• Gott sagt zu dir, ich hab dich lieb
und wär so gern dein Freund.
Und das, was du allein nicht schaffst,
das schaffen wir vereint.

Da klingt die beglückend wirkende Kraft des Wortes Gottes an,
von der es in der Jesaja-Lesung hieß:
„Wie der Regen vom Himmel fällt...
und die Erde tränkt
und sie zum Keimen und Sprossen bringt...
So ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verläßt:
Es kehrt nicht leer zu mir zurück,
sondern bewirkt, was ich will..."

Im Johannesevangelium wird Jesus Christus selbst
das lebendige Wort Gottes genannt.
Dies Wort vor allem bewirkt, wozu es ausgesät ist:
Das Reich Gottes, das Reich der Liebe und Gerechtigkeit,
das Reich des Friedens und menschlicher Vollendung.

Dies Wort bringt reiche Frucht 
- in uns und auch durch uns -
wenn wir uns wie fruchtbarer Boden
für seine Saat öffnen. 

Amen.