16. Sonntag im Jahreskreis (A)
am 21. Juli 2002
Evangelium: Mt. 13, 24 - 43
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Licht und Schatten, Weizen und Unkraut
stecken in jedem Menschen:

•    Selbstverständlich ist es um des Zusammenlebens von Menschen willen notwendig,
    sowohl im privaten Umfeld eines jeden einzelnen,
    als auch im gesellschaftlichen Miteinander
    auf Regeln zu achten und „Ordnung" zu halten.
    Im Laufe der Menschheitsgeschichte
    ist uns allen - mehr oder weniger, so oder so -
    dieses Streben nach Ordnung sozusagen zur zweiten Natur geworden.
    Bei manchen „Liebhabern des Guten, Reinen und Richtigen"
    schlägt die „Ordnungsliebe" jedoch nicht selten um in einen Fanatismus,
    der alles, was in das eigene Ordnungsschema nicht hineinpaßt,
    auszugrenzen und schließlich auszumerzen sucht.
    Und dann wuchert in ihnen drin
    mitten im Weizen das Unkraut.

•    Es liegt wohl auch in der Natur des Menschen,
    daß er das „Große" bewundert
    und sich über das „Kleine" erhaben fühlt
    oder es gar verachtet.
    Das Große nötigt uns Respekt ab.
    Das hat wahrscheinlich auch einen Grund
    in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit:
    Schon für unsere vormenschlichen Ahnen
     war es überlebensnotwendig,
    die Großen und Stärkeren zu beachten.
    Denn sie waren in aller Regel auch die Gefährlichen.
    Daraus resultiert der Wunsch,
    selbst groß, stark und überlegen zu sein
    oder wenigstens auf der Seite der Großen und Mächtigen zu stehen.
    Das gilt bis auf den heutigen Tag auch für uns:
    Das gilt schon für Kinder im Kindergarten
    und erst recht für Jugendliche in Schule, Verein oder Gang.
    Das gilt ebenso für Erwachsene z.B. im Beruf
    und erst recht in der Politik.
    Das gilt schließlich zwischen Völkern und Bündnissen.

    Und wenn dann fast automatisch damit verbunden ist,
    daß wir auf Kleinere und Schwächere
    geringschätzig herabschauen
    oder z.B. gar über die Rücken der Kleineren
    rücksichtslos die Karriereleiter emporklettern,
    dann mischt sich auch hier Unkraut unter den Weizen.

Im ersten Gleichnis des heutigen Evangeliums
spricht Jesus uns rundweg die Fähigkeit ab,
zutreffend zwischen Weizen und Unkraut zu unterscheiden.
Längst nicht alles, was in unseren Augen wie „Unkraut" erscheint,
ist auch in Seinen Augen Unkraut.
Und längst nicht alles, was wir als störend, überflüssig, ärgerlich oder gar böse ansehen,
ist es auch nach den Maßstäben Gottes.
Wir stolpern schon über die unangepaßte Kleidung von Menschen,
die einen anderen Lebensstil pflegen.
Überhaupt neigen wir dazu,
alles was anders ist als wir selbst,
alles was wir nicht verstehen,
und erst recht alles, was uns aus den Bahnen des Gewohnten herausreißt,
abzulehnen, zu diskriminieren und auszusondern,
wie man eben „Unkraut" ausreißt und möglichst ganz ausmerzt.

Dieser Tage hörte ich einen Dreikäsehoch sogar zu seinem Vater sagen,
der nicht nach seiner Pfeife tanzen wollte:
„Weg mit dir in die Mülltonne!"
Wenn ein Dreijähriger das sagt, lachen wir darüber.
Und doch sollte es uns mehr als nachdenklich machen,
weil schon bei diesem Dreijährigen etwas Erschreckendes zum Ausdruck kommt:
Eine Denkweise nämlich,
die in letzter Konsequenz die Wurzel aller Pogrome
in der Menschheitsgeschichte war.
Bitte achten Sie im vor uns liegenden Wahlkampf
sehr genau auf die Sprache der Pollitiker
und darauf, ob sie nicht die Sprache des Unmenschen sprechen,
und ob und inwieweit sie nicht schon in ihren Reden dabei sind,
entgegen der Mahnung Jesu
das, was sie als „Unkraut" deklarieren gleich auszureißen.

Übrigens ist selbst die Kirche Jesu Christi nicht davor gefeit,
es sehr voreilig und kraft eigenen Urteils
den Knechten des Evangeliums gleichzutun.
Natürlich geht es immer darum,
daß die Kirche die Kirche Jesu Christi bleibt -
in ihrer Lehre und in ihrer Lebenspraxis.
Aber diese Kirche war nie die Kirche der „Reinen",
sie war und ist eine Kirche von fehlbaren und fehlerhaften Menschen.
Und dem trägt Jesus in seinem ganzen Leben
und eben ausdrücklich auch in diesem Gleichnis Rechnung.
Wie sehr Seine Kirche jedoch zu ihrem eigene Verderben
immer wieder von der Maßgabe Jesu abgewichen ist,
wird deutlich bei einem Blick in die Geschichte:
Der Antijudaismus bis hin zu christlichen Pogromen,
die „Kreuzzüge" ins Heilige Land,
    die oft regelrechte Ausrottungskriege waren,
die Verbrennung des Reformators Hus,
die Urteile über Giordano Bruno oder Galileo Galilei,
der Bannstrahl gegen Martin Luther
oder auch die grauenhaften Hexenverbrennungen
zeigen überdeutlich, wohin es führt,
wenn Menschen sich anmaßen,
auszureißen, was sie als Unkraut ansehen.
Gott-sei-Dank hat die Kirche heute nicht mehr die Macht zu solcher Rigerosität,
aber die Versuchung, Unkraut zu jäten, bleibt.
Das wird heute immer noch sichtbar in der Art und Weise,
mit der die Kirche hier und da gegen „Abweichler" vorgeht.

Ebenfalls sind und bleiben auch die beiden folgenden Gleichnisse
vom Senfkorn und vom Sauerteig hochaktuell -
und zwar unter verschiedener Rücksicht:
Zunächst tendieren wir alle - auch wir als Christen - dazu,
uns auf die Seite der Großen und Mächtigen zu schlagen
und gleichzeitig die (scheinbar) Schwachen und Kleinen gering zu achten.
Auch diese problematische Tendenz
kennzeichnet nicht nur die Gesellschaft, in der wir leben,
und jeden einzelnen von uns,
sondern leider immer wieder auch die Kirche selbst.
Auch da ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte:
Das Zweckbündnis vieler Verantwortlicher der Kirche
und auch einzelner Christen mit dem „Dritten Reich",
und auf der anderen Seite die mangelnde Rückendeckung
für viele Verfolgte und Opfer des Nazi-Regimes
durch einzelne Christen und auch durch die Kirche insgesamt.

Vor allem aber ist auch die Ermutigung hochaktuell,
mit der Jesus Seiner kleinen Jüngerschar
den Rücken stärken will
im Blick auf deren Minderheitensituation
und im Blick auf die Ausgrenzung,
die auch ihnen bevorsteht.
Im unscheinbar kleinen Keim des angebrochenen Reiches Gottes
steckt eine ungeheure Kraft.
Und dieser Kraft gehört die Zukunft!

Diese Ermutigung sollten auch wir mit auf den Weg nehmen,
wenn wir gleich aus dem Gottesdienst heraus
und wieder in unseren Alltag gehen -
in einen Alltag, in dem auch wir als heutige Christen
und hier bei uns erst recht als katholische Christen
mehr und mehr eine kleine und unansehnliche Minderheit bilden.
Wir haben keinen Grund, uns als Christen zu verstecken -
nicht einmal angesichts der vielen Schattenseiten unserer Kirche,
von denen eben die Rede war.
Wo viel Schatten ist, ist auch viel Licht.
Das gilt zumal im Blick auf unsere Kirche,
die eben nicht nur die Kirche fehlbarer Menschen ist,
sondern auch die Kirche der Heiligen
und vor allem die Kirche Jesu Christi
und Seiner frohen Botschaft
vom kommenden Reich Gottes.

Amen.