| In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde nicht nur in vielen Städten,
 sondern auch in etlichen Kirchen „aufgeräumt".
 In Göttingen z.B. mußte der alte Universitätsreitstall
 dem Betonkasten des heutigen Caree weichen.
 In unserer Kirche St.Michael z.B.
 wurden viele Heilige „in Pension geschickt".
 Um eines neuen, zeitgerechten Anfangs willen
waren solche Aktionen vielleicht sinnvoll;
 aber leider ist dabei auch viel Wertvolles für immer verloren
gegangen.
 Inzwischen hat jedenfalls teilweise ein Umdenken eingesetzt -
nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Kirche.
 Vor fünfzehn Jahren wurde ich von Fremden hier und da gefragt,
 ob unsere Kirche in ihrer Nüchternheit eine evangelische Kirche
sei.
 Seit damals ist sie um vieles einladender geworden -
 nicht nur für katholische Christen.
 Und auch die Heiligen haben wieder Einzug gehalten:
Neben der Gottesmutter,
 die immer ihren Platz bei uns hatte,
 gibt es sei einiger Zeit ein Bild des hl. Ignatius von Loyola
 und ein Bild der hl. Edith Stein.
 Und schon vorher wurde bereits der hl. Erzengel Michael,
 der Namenspatron unserer Kirche,
 der einmal seinen Platz im alten Hochaltar hatte,
 aus der Versenkung herausgeholt, restauriert
 und in „seine" Kirche zurückgebracht.
 Vielleicht ist Ihnen aufgefallen,
daß in dieser Woche zwei neue Heilige hinzugekommen sind:
 „Schuld" ist daran der hl.Josef:
 Der wurde uns geschenkt.
 Und da er auf der gegenüber liegenden Seite seines neuen Platzes
 eine Entsprechung brauchte,
 haben wir uns für den hl.Antonius von Padua entschieden.
 Ignatius ist unserer Kirche verbunden durch die Jesuiten.
Edith Stein hat hier in Göttingen gelebt.
 Josef ist der Schutzpatron der ganzen Kirche.
 Und Antonius ist nicht nur ein beliebter Volksheiliger,
 sondern auch ein Mensch, der sich den Armen zuwendet
 und uns immer wieder an Jesu Vorliebe für die Armen erinnert -
 und das nicht nur im Blick auf den „Mittagstisch St.Michael".
 Schon lange, bevor Antonius jetzt einen festen Platz in unserer Kirche
erhielt,
 befand und befindet sich gerade mal eine Spanne von ihm entfernt
 ein Opferstock mit der Aufschrift „Antoniusbrot".
 Was dort an Spenden einkommt,
 ist im wörtlichen Sinne „Brot für die Armen",
 insofern es dem Unterhalt des Mittagstisches dient.
 Natürlich sind wir als katholische Christen
jederzeit eingeladen, in den Heiligen
 mitreißende Vorbilder eines lebendigen Glaubens zu sehen.
 Natürlich sind sie uns auch vertraut als Menschen,
die Fürbitte einlegen für uns bei Gott.
 Für evangelische Christen ist gerade dieser Gesichtspunkt
 auf Grund ihrer eigenen kirchlichen Tradition
 nur schwer nachvollziehbar.
 Ein gewisses Verständnis gewinne ich auch bei ihnen,
 wenn ich sie an unseren gemeinsamen Auferstehungsglauben erinnere;
 und wenn ich darüber hinaus auf die Tatsache hinweise,
 daß Fürbitte in evangelischen Gemeinden
 so selbstverständlich ist wie in katholischen Gemeinden.
 Wenn also die Heiligen - wie alle Verstorbenen -
 nach unserem Glauben in der Gemeinschaft mit Gott leben,
 warum sollen nicht auch sie für uns beten,
 wie wir füreinander beten?!
 Es gibt aber noch einen weiteren Gesichtspunkt,
der es sinnvoll erscheinen läßt,
 uns auch durch Bilder der Heiligen in unseren Kirchen zu erinnern:
 Das kommt am besten in guten Barockkirchen Süddeutschlands zum
Ausdruck.
 Die haben zum einen große und helle Fenster,
 durch die sozusagen die aktuelle Welt hineinkommt in die Kirche,
 oder andersherum:
 durch die sich die Kirche öffnet für die Welt.
 Zum anderen öffnet sich in diesen Barockkirchen
 durch das Mittel der perspektivischen Deckenmalerei
 sozusagen der Himmel,
 oder andersherum:
 Der Himmel und all seine Heiligen
 öffnen sich hin zu den Menschen der Kirche heute.
 „Katholisch" bedeutet: Allumfassend
und ist in diesem Sinne gleich bedeutend mit „ökumenisch".
 Die Kirche muß offen sein in alle Dimensionen hinein,
 offen für die ganze Welt und für die Menschen der Gegenwart,
 offen aber auch hinein in Vergangenheit und Zukunft:
 Die Heiligen sind - wie auch unsere Verstorbenen überhaupt -
 unsere Schwestern und Brüder im gemeinsamen Glauben an Jesus Christus
 und in der die Zeit übergreifenden Wirklichkeit von Kirche.
 Ihre Bilder in unserer Kirche erinnern uns Tag für Tag 
an diese Offenheit von Kirche in der vertikalen Zeitdimension.
 Daß katholische Kirchen grundsätzlich geöffnet sind,
 und daß wir unsere St.Michaelskirche täglich sogar von 7.00
Uhr in der Frühe
 bis in den späten Abend hinein geöffnet halten,
 dokumentiert die Offenheit von Kirche in der horizontalen Dimension
 unserer Gegenwart.
 Abschließend sei noch ein kleiner Bezug hergestellt
zum Evangelium des heutigen Sonntags:
 Sie kennen alle das Grünewald-Gemälde dazu -
 Johannes der Täufer weist mit deutlichem Fingerzeig
 auf den gekreuzigten Christus, das „Lamm Gottes".
 Wie er verweisen uns alle Heiligen der Kirche
 auf IHN, der der Ursprung, die Mitte und das Ziel der Kirche
 und auch unseres Lebens ist:
 „Er muß wachsen, ich aber muß kleiner werden."
 Amen. |