Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis A
am 23. Januar 2005
Zur 2. Lesung: 1.Kor. 1, 10 - 17;
Autor. P.Heribert Graab S.J.
Wir haben am vergangenen Sonntag
in der zweiten Lesung den Eröffnungstext
des ersten Paulusbriefes an die Gemeinde in Korinth gehört.
In der antiken Briefliteratur
stehen am Anfang eines Briefes
einige Angaben zum Absender,
einige Anmerkungen über den Adressaten,
und eine Grußformel.
Paulus fügt noch so etwas wie eine „captatio benevolentiae" an
- also einige freundliche Worte über die Gemeinde in Korinth -
die er stilistisch in einen Dank an Gott kleidet.

Dann aber kommt er ziemlich unvermittelt „zur Sache":
Da ist dann Schluß mit freundlichen Höflichkeiten,
da geht es um überaus deutliche Kritik an der Gemeinde.
Wir haben diesen Einstieg in eine offene Auseinandersetzung
soeben in der Lesung gehört.

Auch während der kommenden Sonntage
- bis zum Beginn der Fastenzeit -
wird uns in den Lesungen der erste Korintherbrief begleiten.
In den Predigten möchte ich jeweils auf diese Texte eingehen.
Das hat u.a. seinen Grund darin,
daß es - modern ausgedrückt - in den Korintherbriefen
um „Citypastoral" geht -
um eine Pastoral also, die auch uns
in dieser Citygemeinde St.Michael am Herzen liegt,
und die uns unter mancher Rücksicht vor ähnliche Probleme stellt,
vor die sich Paulus damals gestellt sah.

Dieser Paulus ist ein Stadtmensch.
Vor allem in den großen Städten seiner Zeit
hat er die christliche Botschaft verkündet.
Man hat - wohl vor allem im Blick auf die Paulusgemeinden -
das Christentum insgesamt als eine „Stadtreligion" bezeichnet.
Und sicher spielt dabei gerade diese Stadt Korinth
eine herausragende Rolle.
In dieser Stadt verbrachte Paulus
eine - für seine Verhältnisse - sehr lange Zeit,
nämlich anderthalb Jahre.

Korinth war damals eine große Handelsmetropole,
Umschlagplatz zwischen West und Ost.
Eine Stadt mit zwei bedeutenden Häfen.
Zwischen denen mußten die Waren über Land transportiert werden,
weil es den Kanal zwischen Adria und Ägäis noch nicht gab,
obwohl er schon damals geplant war.

Diese Stadt an der Landenge war zu Zeiten des Paulus
eine sehr junge, bunte und quirlige Stadt.
Im Jahre 146 v.Chr. war sie von römischen Truppen
total zerstört und ausgelöscht worden,
weil sie sich zum Hauptzentrum des Widerstandes
gegen Rom entwickelt hatte.
Erst gut hundert Jahre später - um 44 v.Chr. -
entstand Korinth neu und nahm einen rasanten Aufschwung.
Die Stadt wurde schnell zu einer pulsierenden Weltstadt.
Der Handel blühte.
Großbanken hatten hier ihren Sitz.
Eine angestammte Bevölkerung gab‘s nicht mehr.
Aus dem gesamten Mittelmeerraum wanderten Menschen zu -
ein buntes Bevölkerungsgemisch auf der Suche nach Arbeit.
Natürlich schossen Vergnügungsbetriebe und Prostitution ins Kraut.
Die sozialen und politischen Spannungen waren groß,
die Lasterhaftigkeit der Stadt war sprichwörtlich.

Korinth war nicht das Geisteszentrum Griechenlands
- das war immer noch Athen.
Aber Korinth kennzeichnete eine große geistige Beweglichkeit,
eine Aufgeschlossenheit für alles Neue
und eine sagenhafte Vielfalt und Pluralität.
Vielfältig und bunt war auch das religiöse Leben:
Die Menschen brachten von überall her
ihre Glaubensüberzeugungen, Religionen und Kulte mit.
Es gab unzählige Sekten.
Auf diesem Nährboden fand auch das Christentum seinen Platz.

Die Gemeinde entstand etwa zwischen 49 und 52 nach Christus
und war ein Spiegelbild der Vielschichtigkeit der jungen Stadt.
Sie setzte sich vorwiegend aus Heidenchristen zusammen.
Daneben gab es aber auch eine kleinere Gruppe von Judenchristen.
Hauptsächlich bildeten Lohnarbeiter und Sklaven die Gemeinde.
Aber es gab durchaus auch Gutsituierte:
Geschäftsleute und höhere Beamte.
Frauen spielten in der Gemeinde
- auch das entsprach den Gepflogenheiten einer traditionsarmen Stadt -
eine durchaus emanzipierte Rolle.
So wirkte auch der kulturelle Pluralismus dieser Weltstadt
in die junge christliche Gemeinde hinein.

Kein Wunder, daß sich Gruppierungen entwickelten,
Spannungen und Parteiengegensätze.
Und genau damit beginnt Paulus die kritische Klage seines Briefes:
„Daß es Zank und Streit unter euch gibt."

Nun ist Göttingen im Vergleich zum alten Korinth
sicher eine Provinzstadt.
Dennoch stehen wir in dieser Stadt durchaus vor ähnlichen Problemen,
die sehr wohl auch in die Gemeinde durchschlagen.

Vor allem haben wir in Göttingen eine sehr bunt gemischte Bevölkerung.
In unserer Gemeinde können wir etwa drei große Gruppen unterscheiden:
•    Diejenigen, die ursprünglich aus dem Eichsfeld stammen;
•    diejenigen, deren Eltern oder Großeltern nach dem Krieg
aus dem Osten, zumal aus Schlesien, geflohen sind;
•    diejenigen, die aus beruflichen oder aus Studiengründen
- häufig nur für wenige Jahre - nach Göttingen kommen.
Unter ihnen gibt es nicht nur Menschen aus allen deutschen Regionen,
sondern auch etwa 10 bis 12 % Ausländer.

Diese Situation stellt uns - wie damals die Gemeinde in Korinth -
vor die Frage nach der Integration dieser unterschiedlichen Menschen
in die Gemeinde.
Viele von ihnen sind ja nicht nur durch unterschiedliche Kulturen geprägt,
sondern bringen auch andere religiöse und kirchliche Traditionen mit.
In der Feier unserer Gottesdienste
wird das zum Beispiel sichtbar in verschiedenen Formen,
die heilige Kommunion zu empfangen.
Sicherlich führt das bei uns nicht gleich zu „Zank und Streit".
Wohl aber führt es zu einem oft unverstandenen Nebeneinander.

Dieses „Nebeneinander" zeigt sich dann auch
in einer fehlenden Kommunikation außerhalb des Gottesdienstes.
Man hat halt seine Gruppen, in denen man sich kennt,
und über deren Tellerrand man selten Kontakte sucht.
Das gilt übrigens auch für die verschiedenen Generationen,
für verschiedene soziale Schichten,
von denen - jedenfalls im äußeren Erscheinungsbild -
eher die Schicht der Akademiker im Vordergrund steht.

Bei Paulus ist in der heutigen Lesung
vor allem die Rede von religiös unterschiedlich orientierten Gruppen,
die sich jeweils auf konkrete Personen berufen -
auf Apostel, Theologen, Lehrer, Missionare...
Paulus, der Gründer der Gemeinde, hat viele Gemeindemitglieder
mit seinem persönlichen Glauben und seiner Theologie geprägt.
Er war ursprünglich ein einfacher Handwerker -
im Unterschied zu seinem unmittelbaren Nachfolger
in der Gemeinde: Apollos,
der eine akademische und vor allem eine rhetorische Ausbildung hatte.
Aus dessen Mund klang die Verkündigung des Evangeliums
vor allem für die Gebildeten in der Gemeinde
um einiges attraktiver.
Aber Paulus ist wohl der Meinung,
daß bei ihm auch wesentliche Glaubensinhalte
durch gekonnte Formulierungen abgeschwächt
oder gar verfälscht würden.
Auf Petrus beriefen sich wohl vor allem die Judenchristen der Gemeinde.
Und wieder andere spielten Christus selbst
gegen seine Nachfolger aus.

Auch unter dieser Rücksicht können wir hier bei uns
- denke ich - durchaus mitreden.
Selbstverständlich gibt es auch in unserer Gemeinde
einen theologischen Pluralismus:
•    Da gibt es Konservative und Progressive;
•    da gibt es Charismatiker und Sozialethiker;
•    da spielt im Glauben einiger Gemeindemitglieder
Maria eine so zentrale Rolle,
daß andere meinen, da käme Christus
als die Mitte unseres Glaubens zu kurz.

Auch diese Glaubensvielfalt führt bei uns
nicht zu offenem „Zank und Streit",
aber des öfteren doch zur „Auswanderung" in andere Gemeinden.
Sicher ist es legitim, sich heute gerade in einer Großstadt
eine Gemeinde zu wählen, in der man sich „zu Hause" fühlt.
Problematisch und für die Einheit der Kirche bedrohlich
wird ein solcher Pluralismus erst,
wenn eine Gruppe den Anspruch erhebt,
die katholische Wahrheit für sich allein gepachtet zu haben.

Vielfach entgehen wir dem „Zank und Streit",
indem wir strittige Fragen gar nicht erst offen ansprechen.
Denken Sie beispielsweise an die Frage
nach dem Verhältnis von Christen zum Islam,
oder auch an die Frage christlicher Einstellung zur Homosexualität.

Und alle unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Positionen
in Kirche und Gemeinde lassen sich natürlich auch personalisieren -
wie damals in Korinth.
Man kann Bischöfe gegeneinander ausspielen -
wie etwa den von Köln gegen den von Limburg.
Man kann auch Pfarrer gegeneinander ausspielen -
wie etwa den von Maria Frieden gegen den von St.Michael.
Und sogar Jesuiten kann man gegeneinander ausspielen.

Gewiß kommt die Pluralität des Glaubens hier bei uns
in der Regel „nur" recht moderat zum Ausdruck.
Aber sehr wohl stellt sich die Frage,
ob es nicht zwischen den unterschiedlichen Gruppen
zu sehr am Gespräch miteinander fehlt.
Gespräche könnten ja wenigstens
das Verständnis füreinander fördern.
Und wahrscheinlich könnten sie darüber hinaus
auch den eigenen Glauben bereichern.

Paulus stellt allerdings in seinem Brief an die Korinther
einen anderen Gedanken in den Vordergrund:
Er legt der Gemeinde nahe,
sich immer wieder auf das Wesentliche ihres Glaubens zu besinnen.
Und für Paulus findet das Wesentliche
seinen Ausdruck im Kreuz Jesu Christi.
Am Kreuz Jesu Christi scheiden sich die Geister -
auch heute!

Das Kreuz ist  - nicht nur nach Paulus -
in den Augen dieser Welt „Torheit".
Darum geht es in der Fortsetzung seines Briefes.
Die werden wir in der Lesung des nächsten Sonntags hören.
Und darüber sollten wirdann auch miteinander nachdenken.

Amen.