Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis (A)
am 19. Juni 2005
Evangelium: Mt. 10, 26-33
Autor: P. Heribert Graab S.J.

„Das größte Unglück der anständigen Leute ist die Feigheit,“
hat der Spötter Voltaire einmal gesagt.
Im Blick auf das heutige Evangelium könnte man sagen:
„Das größte Unglück anständiger Christen ist die Feigheit.“

Gott-sei-Dank leben wir nicht in der Situation
des Freundeskreieses um Jesus,
über dem sich schon lange vorher
jenes Gewitter zusammenballte,
das sich am Karfreitag entlud.

„Fürchtet euch nicht vor den Menschen!
Die können zwar den Leib, nicht aber die Seele töten.“
Soweit Jesus diese Worte – so oder ähnlich –
wirklich selbst gesprochen hat,
gehen sie auf diese aktuelle Bedrohung auf dem Weg nach Jerusalem ein.

Die uns überlieferte Fassung des Jesus-Wortes
stammt natürlich von Matthäus,
der den gesamten Text seines Evangeliums redigiert hat.
Matthäus hat bereits die Situation
der zweiten und dritten Generation von Christen vor Augen.
Über denen zieht sich auch schon früh ein Gewitter zusammen:
Aus den Synagogen werden sie ausgeschlossen.
Mehr und mehr gehen auch die Römer gegen sie vor.
Gott-sei-Dank sind wir auch nicht in der bedrohlichen Situation
dieser frühen Christengemeinden.

Von den bald folgenden blutigen Christenverfolgungen
des römischen Imperiums
bis hin zum kommunistischen, nationalsozialistischen
und heute auch islamistischen Terror gegen Christen
konnte das Jesus-Wort zu allen Zeiten

Trost und Ermutigung spenden:
„Fürchtet euch nicht!
Nicht einmal ein Spatz fällt zur Erde ohne den Willen eures Vaters.
Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.
Fürchtet euch also nicht!
Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.“

Gott-sei-Dank leben wir seit 60 Jahren in Frieden.
Auch wenn die christlichen Kirchen
bei uns inzwischen in eine Minderheitenposition geraten sind –
im Wesentlichen werden wir
in dieser Gesellschaft immer noch hoch geschätzt.

Dennoch:
Dieses Evangelium ist auch heute hochaktuell
Nicht so sehr wegen einer Bedrohung von außen;
wohl aber auf Grund einer inneren Bedrohungssituation.

„Fürchtet euch nicht vor den Menschen...
Was ich euch im Dunkeln sage,
davon redet am hellen Tag,
und was man euch ins Ohr flüstert,
das verkündet von den Dächern!“

Unser Glaube heute ist
- einem Trend der Gesellschaft folgend –
weitgehend zur Privatangelegenheit geworden.
Für die Glaubensverkündigung „von den Dächern“
haben wir – jedenfalls solange wir sie bezahlen können – Hauptamtliche.
Es sei in diesem Zusammenhang dahingestellt,
inwieweit die Kirche selbst durch ihren Klerikalismus dazu beigetragen hat.
Jedenfalls sollte in dieser Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
der "mündige Christ" selbstverständlich sein.
Und dieses Konzil liegt immerhin schon
zwei Generationen zurück.
Schon mehrfach habe ich hier die Erfahrung zum besten gegeben,
daß sich hier und da in unserer Kirche
Berufskollegen treffen mit der erstaunten Begrüßung:
„Wie? Du bist auch katholisch?“

Unsere Jugendlichen sin in ihren Schulklassen
als gläubige Christen vielfach vereinzelt
und ducken sich weg.
Wir Erwachsenen haben Fragen unseres persönlichen Glaubens
in aller Regel tabuisiert:
Darüber redet man nicht.

Und wenn wir auf kontroverse Themen des Glaubens
oder auf umstrittene Positionen der Kirche dazu
angesprochen werden,
dann beeilen wir uns, uns von dem,
was z.B. der Papst sagt, zu distanzieren,
und entschuldigen uns fast dafür,

katholische Christen zu sein.

Im Gespräch mit Außenstehenden
sind die meisten von uns nicht in der Lage,
differenziert Stellung zu beziehen.
Wir haben eine zu oberflächliche Kenntnis von der Problemlage,
wie sie uns – häufig in Schwarz-Weiß-Manier –
von den Medien vermittelt wird.

Manche Stellungnahmen aus der Kirche tragen wir selbst nicht mit –
nicht nur weil sie nicht auf der Höhe der Zeit sind,
sondern mehr noch, weil wir sie nicht wirklich kennen.
Allenfalls kennen wir sie in der verkürzten oder gar verzerrten Version der Presse.
Wir können nicht differenzieren,
weil wir schlicht zu wenig Ahnung haben.

Und teilen wir einmal die Aussagen einer Verlautbarung aus der Kirche,
dann reicht unser Wissen nicht aus,
das, was uns selbst richtig und wichtig erscheint,
in der Auseinandersetzung auch zu begründen.
Also schweigen wir lieber,
anstatt „am hellen Tag davon zu reden“
und die Wahrheit „von den Dächern zu verkünden“.

Auch in dieser Situation ist uns gesagt:
„Fürchtet euch nicht!“
In einem anderen Zusammenhang
- nämlich „wenn sie euch vor die Gerichte schleppen“ –
sagt Jesus:
„...dann macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt;
denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt.
Nicht ihr werdet dann reden,
sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden.“ (Mt. 10,19 f).

Das sagt Jesus hier wohlgemerkt nicht
obwohl selbstverständlich Gottes Geist
uns auch in alltäglichen Situationen „auf die Sprünge helfen“ kann. 

Die Furchtlosigkeit vor den Menschen ist immer
gewiß auch ein Geschenk Gottes.
Sie hat aber darüber hinaus sehr viel damit zu tun,
-         wie sehr wir selbst in unserem Glauben zu Hause sind,
-         wie sehr wir in der Lage sind, über unseren Glauben Rede und Antwort zu stehen,
-         wie sehr wir uns mit dem Glauben auseinandersetzen
und seine lebenspraktischen Konsequenzen bedenken,
-         wie sehr wir dann auch aus dem Glauben
Selbstbewußtsein und innere Sicherheit gewinnen.
 
Nur wenn wir unseren Glauben wirklich kennen
und ihn auch intellektuell verantworten und vertreten können,
können wir auch nach außen dazu stehen
und über unseren Glauben Rechenschaft ablegen.
Als erwachsene Menschen sind wir heutzutage
in unserem beruflichen Alltag großenteils hochqualifizierte Wissenschaftler,
Ingenieure, Verwaltungsfachleute, Handwerker oder was auch immer sonst.
 
Als gläubige Christen dagegen fehlt es uns häufig
an jener Qualifikation, die uns anderweitig selbstverständlich ist.
Das Wissen um unseren Glauben haben wir vielfach
nicht mehr wirklich weitergebildet
seit der letzten Religionsstunde unserer Schulzeit.
Für alle möglichen Fortbildungen
nehmen sich viele von uns sogar Sonderurlaub.
In Zusatzausbildungen investieren manche sogar viel Geld.
Der Glaube dagegen führt ein Aschenputteldasein.
 
So geht’s nicht!
So kann der Glaube in der modernen Welt nicht bestehen.
So wird man sich – wo der Glaube angefragt ist –
entweder unsterblich blamieren,
oder gleich ganz den Mund halten.
 
Ergo:
Ab morgen geht’s los mit der Fortbildung im Glauben!
Nehmen Sie ruhig mal wieder ein Glaubensbuch zur Hand,
das auf der Höhe der Zeit ist.
Ein solches Buch darf ruhig kritisch sein.
Es sollte jedoch intellektuell redlich
und durchaus auch anspruchsvoll sein.
Bei der Auswahl bin ich Ihnen gerne behilflich.
Augenblicklich steht zum Beispiel
ausgerechnet ein Buch von Josef Ratzinger auf der Bestsellerliste:
„Einführung in den Glauben“.
Dieses Buch zum Glaubensbekenntnis
stammt noch aus der Zeit vor dem Tübinger Schockerlebnis
des damaligen Theologieprofessors Ratzinger.
Diese „Einführung in den Glauben“ kann ich Ihnen
durchaus empfehlen.
 
Und wenn Sie sich mal die Zeit für einen Fortbildungskurs im Glauben
nehmen würden, könnte das auch nicht schaden!
Qualifizierte Angebote gibt’s genug.
Vielleicht sollten wir im nächsten Winterhalbjahr
auch in St.Michael mal wieder einen Glaubenskurs anbieten.
 
Es gibt also genug zu tun.
Packen wir’s an!
 
Amen.