Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis (A)
am 13. August 2005
Eine "Novemberpredigt"
unabhängig von den Lesungen des Tages.
Autor: P.Heribert Graab S.J.
In diesen Novembertagen brennen vor unserem Altar
ständig viele rote Lichter.
Sie sind den Grableuchten nachempfunden,
die vielerorts zu dieser Zeit, da es abends schon früh dunkel wird,
manchen Friedhöfen eine fast anheimelnde Atmosphäre geben.
Vor kurzem noch war ich mit einer Gruppe unserer Gemeinde
in Aldein, einem kleinen Dorf in Südtirol.
Dort werden die Verstorbenen noch mitten im Dorf beerdigt -
rund um die Kirche, auf dem Kirchhof.

Hier bei uns - und überhaupt in den großen Städten -
werden die Friedhöfe und mit ihnen die Verstorbenen
an die Peripherie, weit nach draußen verbannt -
so wie man früher die Pestkranken weit draußen isolierte.
Das Grundwasser, das die Toten „verseuchen" könnten,
wird als Begründung vorgeschoben.
Wir haben es bei der Diskussion um die Stillegung
des Alten Stadtfriedhofes erlebt.

In Aldein dagegen und in vielen Dörfern und sogar in manchen Städten
Süddeutschlands, Österreichs und Südtirols
haben die Toten ihren Platz mitten unter den Lebenden.
Sie gehören einfach dazu.
Am Sonntag vor oder nach dem Gottesdienst
besuchen die Menschen ihre Gräber,
beten für sie oder auch mit ihnen,
bringen Blumen und zünden Grablichter an.

Immer wieder gehe ich gerne über solche Kirchhöfe -
in dieser Zeit besonders abends:
Vielfach taucht ein ganzes Meer von Lichtern
diese Friedhöfe in eine österliche Stimmung.
Sie sind ein Zeugnis des Osterglaubens der Lebenden.
Aus diesem Glauben heraus kommen die gar nicht auf die Idee,
•    ihre Toten auszugrenzen,
•    sie aus ihrem alltäglichen Gesichtskreis zu entfernen
•    oder sie gar zu „entsorgen".

Die Art, wie wir im Norden und im Osten Deutschlands
und zumal in unseren großen Städten,
mit unseren Toten verfahren,
sagt sehr viel aus über uns Lebende,
•    über unser Menschenbild,
•    über unser Verständnis von Sinn und Ziel des Lebens,
•    über unseren Glauben, bzw. Unglauben.

Die Zahl der Urnenbestattungen hat enorm zugenommen.
Die Zahl der anonymen Grabfelder wächst von Jahr zu Jahr.
Seebestattungen oder Bestattungen in Friedwäldern
sind „modern" geworden.
Und das alles nicht nur aus Kostengründen!
Wie gesagt:
Bedenklich ist vor allem das Menschenbild und der Unglaube,
die letztlich hinter solchen Entwicklungen stehen.

Hier in Göttingen beginnen Christen,
sich Gedanken darüber zu machen und zu fragen:
Wie kann die Osterbotschaft unseres Glaubens
auch in einer weltanschaulich pluralen
und mehr und mehr säkularisierten Umwelt
auf unseren Friedhöfen präsent bleiben -
oder besser: Auf‘s neue präsent werden?

Da taucht ernsthaft der Gedanke auf,
eigene Grabfelder für Christen zu schaffen -
etwa so wie es eigene Grabfelder für Muslime gibt.
In meinen Augen ist allein dieser Gedanke
erschreckend und absurd!

Selbstverständlich leben wir in einer mehr und mehr säkularisierten Welt.
Und sicherlich ist es auch zutreffend,
daß die wirklich gläubigen Christen
hier bei uns in die Minderheit geraten sind.

In der Welt der Lebenden ziehen wir uns - hoffentlich! -
dennoch nicht in ein Ghetto zurück.
Daß wir uns z.B. in St.Michael zunehmend als offene Citykirche verstehen,
das ist doch ganz bewußt eine Antwort auf die Säkularisierung.
•    Wir möchten sichtbar und wahrnehmbar in dieser Stadt präsent sein.
•    Wir möchten einladend sein für alle Menschen dieser Stadt.
•    Wir möchten deutlich machen,
daß wir als Christen und als Kirche
eine Antwort geben können auf grundlegende Fragen,
vor die jeder irgendwann gestellt ist.
•    Wir möchten mjtten in dieser Welt ansprechbar sein
für jeden, der auf der Suche ist,
für jeden, der uns braucht.

Sollen wir gleichzeitig wirklich auf unseren Friedhöfen
Ghettos für christliche Verstorbene errichten ???

Mich beschäftigen in diesem Zusammenhang ganz andere Fragen.
Seit Jahren wachsen die Teilnehmerzahlen unserer Osternachtfeiern.
Ganz viele Menschen - auch solche,
die nicht Sonntag für Sonntag in die Kirche gehen -
spüren offenkundig, daß gerade die Botschaft dieser Osternacht
eine wichtige Antwort gibt auf die bedrängende Frage nach dem Tod -
eine Antwort, die der säkularisierte Osterkommerz
eben nicht zu geben vermag.
Warum gelingt es uns allen miteinander so wenig,
diese Osterbotschaft auch während des Jahres,
und vor allem wenn wir unmittelbar mit dem Tod konfrontiert sind,
lebendig zu erhalten
und sie anderen zu vermitteln?

Wodurch unterscheidet sich unsere Art, mit dem Tod umzugehen,
von der Art, mit der „Neuheiden" dem Tod begegnen?
Sind wir Christen wirklich vom Osterglauben durchdrungen?
Hat die Frage nach dem Tod und seiner Bedeutung für einen jeden von uns
vielleicht einen zu geringen Stellenwert in unseren Gottesdiensten
und überhaupt im Leben der Gemeinde?

Sind unsere Todesanzeigen oder auch die Grabsteine für unsere Verstorbenen
wirklich Zeugnisse unseres Glaubens?
Sind sie in Wort und Symbol so gestaltet,
daß Menschen innehalten und ans Nachdenken kommen?
Darüber sollten wir miteinander reden!

Auch könnten wir miteinander ins Gespräch kommen
über christliche Traditionen rund um‘s Sterben,
die - jedenfalls hier bei uns - bemerkt oder unbemerkt
in Vergessenheit geraten sind
oder in einer katholischen Diaspora nie lebendig waren.
Wir sollten uns vielleicht Gedanken darüber machen,
welche Möglichkeiten es gibt,
solche Traditionen auch zu verändern und so zu „aktualisieren",
daß sie gerade in einer säkularisierten Umwelt zu neuem Leben gelangen.

Ich denke zum Beispiel an diese Lichter der Hoffnung,
die jetzt zwar in unserer Kirche brennen.
Aber brennen sie auch - und das nicht nur vereinzelt -
auf den Gräbern unserer Toten?

Ich denke auch an das Gebet in der Sterbestunde
und an das Gebet in den Stunden und Tagen danach.
Wird beim Sterben unserer Angehörigen überhaupt gebetet?
Und wenn ja - finden wir geeignete Worte,
auch die Freunde des Sterbenden dazu einzuladen?

Es war einmal Brauch, Tote für eine gewisse Zeit zu Hause aufzubahren
und mit Angehörigen, Freunden und Nachbarn gemeinsam zu beten.
Ein einziges Mal habe ich das in den bald zwanzig Jahren Göttingen
hier erlebt - und es wird mir immer in Erinnerung bleiben.

In vielen Gegenden wird beim Sterben eines Menschen
die Totenglocke geläutet.
Dann versammeln sich an jedem Abend bis zum Begräbnis
Menschen aus dem ganzen Ort oder dem ganzen Quartier
um gemeinsam zu beten.
Gewiß - die Totenglocke in einer Stadt wird leicht überhört;
aber vielleicht sollten wir sie doch wieder läuten!
Es wäre sinnvoll, wenn auch nur ein einziger
mitten im Getriebe des Alltags
•    für einen Augenblick stehen bleiben,
•    vielleicht sogar in unsere Kirche einkehren
•    und ein Gebet sprechen würde.

Auch für das gemeinsame Gebet in den Tagen nach dem Tod
ließen sich vielleicht ansprechende Formen entwickeln.
Und selbstverständlich müßten wir Wege finden,
möglichst viele Menschen aus dem Umfeld des Verstorbenen
oder sogar darüber hinaus einzuladen.

Früher hatten einmal sogenannte „Totenbruderschaften"
die Funktion, sich um all das zu kümmern.
Vielleicht könnte man etwas Vergleichbares
auch für unsere Zeit ins Leben rufen.

Ich denke schließlich an die „Totenbildchen",
die vielfach heute noch an Verstorbene erinnern,
und die mit Bild und Text auch Glaubenszeugnisse sind.
Ich selbst benutze viele davon nicht nur in Gebetbüchern,
sondern auch in anderen Bücher als Lesezeichen.
Sie sind allemal und immer wieder ein Anstoß zum Nachdenken
und manchmal auch zu einem kurzen Gebet.

All diese Gedanken möchte ich Ihnen heute abend
an einem Novembersonntag mit auf den Weg geben.
Lassen sie sich die ruhig durch den Kopf gehen.
Auch ist es ausdrücklich erwünscht,
wenn Sie sich selbst anregen ließen zu einer eigenen Initiative.
All diese Riten und Bräuche rund um den Tod
waren nie vor allem Sache des Pfarrers
oder der sogenannten „Amtskirche".
Sie lebten und leben heute noch vom Glauben
eines jeden katholischen Christen
und vom Glauben der Gemeinde.

Amen.