Predigt zum Herz-Jesu-Fest (A)
gefeiert am Sonntag nach dem Fest, am 5. Juni 2005
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Dieses Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu
ist den allermeisten von uns ganz und gar fremd.
Viele von uns Älteren verbinden damit „kitschige" Bildchen,
die uns spätestens als Jugendliche den „Geschmack"
an der Herz-Jesu-Frömmigkeit verdorben haben.
Die Jüngeren unter uns haben vielleicht niemals davon gehört,
daß es das Herz-Jes-Fest überhaupt gibt.
Der Juni als Herz-Jesu-Monat - keine Ahnung.
Und der „Herz-Jesu-Freitag"
- also der erste Freitag eines jeden Monats -
wird zwar regelmäßig
in der Gottesdienstordnung unseres Pfarrbriefes angezeigt,
•    aber wer weiß das schon?
•    Wer achtet überhaupt darauf?
•    Und wem bedeutet das etwas?
Der Gottesdienst am Herz-Jesu-Freitag
ist jedenfalls um keinen Deut besser besucht
als an anderen Freitagen.
Und - um ehrlich zu sein -
seine Gestaltung unterscheidet sich in aller Regel
auch nicht von jedem anderen Werktagsgottesdienst.

Dennoch halte ich es für sinnvoll,
dem Gehalt dieses Festes ein wenig auf den Grund zu gehen
und zu fragen, ob und inwieweit es für uns heute aktuell sein kann
und für unseren Glauben hilfreich.

Zunächst einmal ist ja festzuhalten,
daß das Symbol des Herzens keineswegs ausgedient hat:
•    Immer noch und immer wieder wird das Herz
- und nicht selten das mit einem Pfeil durchbohrte Herz -
in Baumrinden geschnitzt. (Was dem Baum sicher nicht gut tut!)
•    Oder schauen Sie sich mal einen Verkaufsständer
mit Glückwunschkarten an:
Das Herzsymbol taucht da sehr häufig auf -
mal mehr, mal weniger kitschig.
•    Dieser Tage noch erhielt ich die Einladung zu einer Hochzeit;
die war gespickt mit einer Fülle ganz kleiner Herzchen.

Das Bild des Herzens bedarf keiner weiteren Kommentare.
Es sagt ganz einfach:
„Ich liebe dich!"
„Wir lieben uns!"
Das gilt übrigens nicht nur für die zweisame Liebe.
Das Herz ist auch ein Logo caritativer Organisationen
und steht daher für die liebende Hinwendung
zum bedürftigen Mitmenschen.

Aber noch ein weiterer Bedeutungsinhalt von „Herz"
scheint mir hochaktuell zu sein:
Von altersher und kulturübergreifend gilt das Herz
als Mitte der Person.
Es steht für den ganzen Menschen
mit all seinen Fähigkeiten und seinem ganzen Wesen.
Es bringt die Einmaligkeit des einzelnen Menschen zum Ausdruck
und auch seine nicht delegierbare Verantwortung vor Gott.
Das Herz ist der Ort personaler Identität.

In diesem Sinne ist auch in der Heiligen Schrift
oft und oft vom Herzen des Menschen die Rede:
•    Gott prüft und richtet das Herz. (Jer. 17,10).
•    In unserem Herzen sind wir verstockt. (Mk. 6,52).
•    Gott verwandelt unser Herz aus Stein
in ein mitfühlendes Herz aus Fleisch. (Ez. 36,26).
•    Gott schreibt Seine „Weisung" in unser Herz hinein. (Jer. 31,33).

Und Augustinus sagt:
„Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, Gott."
Gerade dieses Augustinuswort könnte heute
eine hilfreiche Orientierungshilfe sein
für die vielen Menschen - auch unter uns -,
die gehetzt und ziellos umhergetrieben sind,
die Herzinfarkt-gefährdet
und eben im Herzen ganz und gar unruhig sind.

Nun also zurück zum Herz-Jesu-Fest
und überhaupt zur Herz-Jesu-Frömmigkeit:

Weihnachten feiern wir die Geburt Jesu.
Ostern feiern wir Seine Auferstehung.
Am Christkönigssonntag feiern wir Ihn als den Herrn der Welt.
Wir besinnen uns also jeweils
auf einen Gesichtspunkt unseres Christusglaubens
und feiern Jesus Christus jeweils unter dieser bestimmten Rücksicht.

Das Herz-Jesu-Fest dagegen nimmt umfassend die Person Jesu in den Blick
und das, was Sein Wesen ausmacht: Seine Liebe.
Das Fest und die Herz-Jesu-Frömmigkeit
hat einen ganzheitlichen Ansatz.
Den kann man selbstverständlich theologisch durchleuchten
und auch aus der Heiligen Schrift begründen.
Im Neuen Testament hat das Reden vom „Herzen Jesu"
seine Wurzeln vor allem im Johannesevangelium.
Unter dieser Rücksicht ist es eigentlich erstaunlich,
daß der Begriff des „Herzens Jesu"
in der evangelischen Theologie nicht vorkommt,
und daß eine Herz-Jesu-Frömmigkeit evangelischen Christen fremd ist.

Das mag auch daran liegen, daß „Herz-Jesu-Frömmigkeit"
- so sehr sie auch biblisch begründet ist -
eine sehr persönliche, von Innerlichkeit geprägte
und kontemplative Form von Frömmigkeit ist.
Sie hat bedeutsame Wurzeln in den Traditionen der Mystik.
Es geht also um eine sehr persönliche Beziehung zu Jesus,
die geprägt ist von glaubender Liebe.
Es geht darum, diese liebende Beziehung zu pflegen,
sich in sie zu versenken.

Zum Verständnis kann durchaus unsere Erfahrung
zwischenmenschlicher Liebe hilfreich sein:
Eine Mutter beispielsweise oder auch ein Vater
können sich lange in den Anblick ihres Neugeborenen „versenken"
und so in der Liebe zu ihm wachsen.
„Verliebte" leben ihre Beziehung zueinander,
nicht nur indem sie miteinander sprechen,
sondern auch indem sie schweigend aufeinander „hören"
und sich verstehen;
sich einfach ineinander versenken
und sich an der Gegenwart des anderen freuen.

Vielleicht fehlt unserer Beziehung zu Jesus Christus
gerade dieser ganz persönliche Charakter.
So wird unser Glaube innerlich leer,
weil er zu abstrakt und zu theoretisch ist.
Wir wissen viel über diesen Jesus Christus und reden darüber;
aber es fehlt uns häufig die innere Nähe.
Wir sollten uns immer wieder darauf besinnen,
daß Glaube im Wesentlichen ein Beziehungsgeschehen ist.

Ich sagte zu Beginn,
Herz-Jesu-Frömmigkeit sei uns weitgehend fremd geworden.
Vielleicht hat das seinen Grund auch darin,
daß diese innerliche und kontemplative Frömmigkeit
in der Vergangenheit nicht selten in den Straßengraben
einer individualistischen und introvertierten Sentimentalität
gefahren ist.
Aber um eine solche Sentimentalität geht es gerade nicht!
Vielmehr geht es um eine existentielle Ergriffenheit,
die dazu drängt, die erfahrene Liebe weiterzugeben
und ihr im caritativen, sozialen und auch politischen Engagement
„Hand und Fuß" zu geben.

Auch hier wiederum der Bezug zu zwischenmenschlichen Erfahrungen:
Wenn zwei Liebende sich nur gegenseitig in die Augen schauen,
wird ihre Beziehung zueinander sehr bald in die Brüche gehen.
Auch zwischenmenschliche Liebe
braucht den gemeinsamen Blick in die gleiche Richtung.
Auch zwischenmenschliche Liebe
braucht gemeinsame Ziele und gemeinsame Aufgaben.

Abschließend noch ein Blick auf einen zentralen biblischen Text
der Frömmigkeitstradition zum Herzen Jesu:
Er findet sich in der Passionsgeschichte Jesu nach dem Johannesevangelium:
„Als die Soldaten zu Jesus kamen und sahen, daß er schon tot war,
zerschlugen sie ihm die Beine nicht,
sondern einer der Soldaten stieß mit einer Lanze in seine Seite,
und sogleich floß Blut und Wasser heraus." (Joh. 19,33 f).

Hier hat das Stichwort von der „durchbohrten Liebe"
seinen Ursprung.
Sie erinnern sich an die Parallele
des von einem Pfeil durchbohrten Herzens in mancher Baumrinde.
Oder auch an den etwas oberflächlichen und sentimentalen Reim
von „Herz" und „Schmerz".

Da steckt zugleich jedoch etwas sehr Zutreffendes und Tiefsinniges drin:
Jede Liebe - auch die zwischenmenschliche Liebe -
schwebt nicht nur auf Wolke Sieben,
ist nicht nur von himmelhoch-jauchzendem Glück bestimmt.
Jede Liebe trägt und erträgt auch gemeinsam
schwere Aufgaben, Enttäuschungen, leidvolle Erfahrungen
und vieles andere mehr.
Das gilt auch für einen von Liebe erfüllten Glauben.
Den Widerspruch, den die Liebe Jesu
- auch zu den Ausgegrenzten Seiner Zeit - erfahren hat,
haben zu allen Zeit auch diejenigen erfahren,
die Ihm auf dem Weg der Liebe gefolgt sind.
Mit diesem Widerspruch müssen auch wir
gegebenenfalls rechnen,
wenn unser Glaube nicht in purer Theorie stecken bleibt.

Das ist gemeint, wenn wir das Kreuz
oder eben auch das durchbohrte Herz
nicht nur als Zeichen hingebungsvoller Liebe deuten,
sondern auch als Zeichen
der vielfach unausweichlichen Konsequenz dieser Liebe:
als Zeichen des Widerspruchs.

Amen.