Predigt zum 8. Sonntag im Jahreskreis
am 27. Februar 2011
Lesung: 1. Kor. 4, 1 - 5
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Die Predigt nimmt Bezug auf das Memorandum von TheologieprofessorInnen und auf eine "Petition Pro Ecclesia".
Sechsmal haben wir uns an den vergangenen Sonntagen
durch den Ersten Korintherbrief des Paulus anregen lassen,
über den Umgang mit Konflikten
in Gemeinde und Kirche nachzudenken.
Heute haben wir erst einmal die letzte Lesung
aus dieser Reihe von Texten aus dem Korintherbrief gehört.
Im Zentrum steht das Wort von den Verwaltern,
denen “Geheimnisse Gottes” anvertraut sind.
Von ihnen “verlangt man,
daß sie sich treu erweisen”.
Damals in Korinth und auch in der Kirche von heute
maßen sich immer wieder Menschen
ein Urteil über diese Treue gegenüber dem Auftrag Gottes an.
Paulus nimmt das persönlich zwar sehr gelassen;
der Sache nach jedoch stuft er das Urteil von Menschen
als “Weisheit dieser Welt” ein.
Denn er weiß:
Das letzte Urteil steht ausschließlich Gott zu.

Die Gedanken des Paulus zu den Konflikten in Korinth
regen mich an, heute etwas ausführlicher einzugehen
auf eine Auseinandersetzung,
die augenblicklich in der deutschen Kirche
teilweise recht heftig und auch rücksichtslos geführt wird.
Da offenbart sich die “Weisheit der Welt”
auf allen Seiten:
•    Im menschlich-allzu-menschlichen Urteil über andere,
•    in einem gerüttelten Maß an Selbstherrlichkeit
•    und nicht zuletzt in Angst und Sorge
    um Altgewohntes, um Einfluß und Macht.

Hintergrund ist eine schon lange schwelende Krise der Kirche,
die durch die Offenlegung von Mißbrauchsskandalen
wie eine Eiterblase aufplatzte.
Im September des vergangenen Jahres
sprach dann der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch,
von einem “notwendigen neuen Aufbruch in der Kirche”.
Es ging ihm darum, in einem sicher langwierigen Prozeß
das verlorene Vertrauen in die Kirche wiederzugewinnen.
So regte er an, einen breiten Dialogprozeß zu beginnen,
in dem die Bischöfe auf das hören wollen,
was die Gläubigen zu sagen haben.

Mit Berufung auf diese Einladung zum Dialog
legten 148 Theologieprofessorinnen und -professoren
Anfang Februar ein Memorandum vor unter dem Titel
“Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch”.
Im Wesentlichen zählt dieses Memorandum
sechs Handlungsfelder auf,
in denen es um zukunftsweisende Reformen gehen müsse.
Die Autoren geben zu einer Reihe von Themen
klipp und klar die Richtung an,
in die der Weg der Kirche ihrer Meinung nach gehen müsse.
Begründungen werden nur angedeutet.
Bei einem solchen Impulspapier
ist das auch kaum anders zu erwarten.

Man kann - wenn man will - aus den einzelnen Positionen
Forderungen herauslesen.
Man kann diese Positionen aber auch verstehen
als Auflistung von Themen,
die großenteils schon lange auf dem Tisch liegen
oder auch in kirchlichen Schreitischschubladen verstauben.
Die Theologen sind der Meinung,
spätestens jetzt sei der Zeitpunkt gekommen,
diese Themen anzupacken
und in einem “freien und fairen Austausch von Argumenten
nach Lösungen zu suchen”.

Erstaunlicher Weise erschien schon vier Tage später
eine ebenfalls thesenartige Antwort auf das Memorandum.
Der Titel: “Petition Pro Ecclesia”, eine Petition also für die Kirche.
Inzwischen gibt es sehr viele Stellungnahmen
zum Memorandum der Theologen -
zustimmende und auch sehr kritische.
Teilweise gibt es sogar eine differenzierende Kritik
von sehr ernst zu nehmenden Gläubigen und Wissenschaftlern.
Was allerdings noch weitgehend fehlt,
ist genau der erbetene “faire Austausch von Argumenten”.

Das Memorandum mag Schwächen aufweisen.
Aber gerade unter dieser Rücksicht wird es in meinen Augen
auf eine mehr als ärgerliche Weise
durch die “Petition Pro Ecclesia” übertroffen.
•    Das fängt schon damit an, daß dieses Papier
    inzwischen zwar mehr als 5000
    im Internet eingefangene Unterschriften aufweist,
    aber an keiner Stelle ersichtlich ist,
    wer oder welche Gruppe als Autoren verantwortlich zeichnet.
•    Ärgerlicher noch ist,
    daß diese Petition, die sich an die Bischöfe richtet,
    voll ist von Unterstellungen und Verurteilungen,
    teilweise sogar von Beleidigungen.
    - Da wird “den anderen” pauschal
    die kirchliche Gesinnung aberkannt.
    - Da wird ihnen “unredliches Verhalten” vorgeworfen
    und Verunsicherung der Gläubigen, Täuschung und Irreführung.
    - Da ist von einem “großen Schaden” die Rede,
    die der Kirche durch das Memorandum zugefügt werde.
    - Da wird vor allem ein autoritäres Einschreiten der Bischöfe gefordert - zum Schutz der Katholiken insgesamt
    und zumal zum Schutz von Theologiestudenten,
    Priesteramtskandidaten und Priestern.

Paulus würde wohl vor allem diese Petition
als einen Ausdruck der “Weisheit dieser Welt” brandmarken.
Vielleicht würde er auch im Memorandum
Aspekte dieser “Weisheit der Welt” entdecken.
In beiden Papieren ist nämlich allenfalls am Rande
von dem die Rede,
was für Paulus das Wesentliche und das Band der Einheit ist:
Die Botschaft von Christus Jesus,
dem Gekreuzigten und Auferstandenen.

Aber ich setze eigentlich auf beiden Seiten voraus,
daß es ihnen sehr wohl um die Glaubwürdigkeit
eben dieser Kernbotschaft geht.
Gewiß muß es jederzeit und heute vielleicht im besonderen Maße
darum gehen, diese Mitte unseres Glaubens
zu vertiefen und zu verlebendigen.
Benedikt XVI. wird zu Recht nicht müde,
immer und immer wieder darauf hinzuweisen.

Andererseits gibt es heute und gab es damals in Korinth
auch ganz praktische Probleme kirchlichen Lebens.
Die Auseinandersetzung damit ist keineswegs unwichtig.
Denn diese Probleme haben sehr wohl etwas
mit dem Kern unseres Glaubens zu tun.
Sie müssen aus der Mitte des Glaubens heraus gelöst werden.
Aber sie müssen auch gelöst werden -
um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen.
Paulus befaßt sich seitenweise
mit solch praktischen Problemen der Gemeinde in Korinth.
•    Schon damals ging es um Rechtsfragen,
•    um Fragen der Sexualität,
•    um Ehe und Jungfräulichkeit.
•    Es ging auch um das Verhältnis von Christen
    zu ihrer heidnischen Umwelt.
•    Es ging um das rechte Verhalten
    gegenüber heidnischen Götzenopfern.
•    und um die Frage:
    Darf man als Christ das Götzenopferfleisch essen,
    das überall auf den Märkten angeboten wurde?
•    Es ging um die rechte Feier des Herrenmahles.
•    Es ging um die unterschiedlichen Dienste
    und Charismen in der Gemeinde.
Uns so weiter, und so fort...

Heute geht es im Grunde um ganz ähnliche Fragen:
•    Um Dienste in der Kirche und um die Beteiligung aller.
•    Um lebensfähige Gemeinden.
•    Um eine Rechtskultur in der Kirche, die dazu hilft,
    Konflikte fair und mit gegenseitigem Respekt auszutragen.
•    Um Gewissensfreiheit und Hochschätzung
    der Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit
    von Menschen in der Kirche.
•    Um Wege der Versöhnung.
•    Und immer und immer wieder auch
    um die rechte Feier des Gottesdienstes.

All diese Fragen bedürfen
um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen
dringend einer Klärung im Sinne Jesu Christi
und Seines Evangeliums.
Eine solche Klärung läßt sich nicht herbeiführen
durch autoritäre Vorgaben und Verordnungen.
Auch Paulus bemüht sich intensiv
um nachvollziehbare Argumente.
Jesus selbst war nächtelang nicht nur im Gebet,
sondern durchaus auch im Gespräch mit Seinen Jüngern versunken.
Ein offenes, faires und argumentierendes Gespräch
aus dem Glauben und aus der Kraft des Gebetes
brauchen wir auch heute.
Kommissionen und Beschlüsse hinter verschlossenen Türen
werden den Anforderungen unserer Zeit nicht gerecht
und haben schon in der Vergangenheit keine hilfreichen Antworten
auf die drängenden Fragen gebracht.
Wir brauchen heute das offene
und vor allem respektvolle Gespräch -
wohlgemerkt aus einem tiefen Glauben
an Christus den Gekreuzigten.

Diesen Glauben jedoch dem Andersdenkenden
von vornherein abzusprechen,
das ist eine tödliche Verletzung der Liebe.
In Seiner Bergpredigt sagt Jesus dazu:
“Wer zu seinem Bruder sagt: Du (gottloser) Narr,
- wer ihm also den Glauben abspricht! -
soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.”
Deutlicher geht’s nicht.

Eine Chance besteht meines Erachtens darin,
die beiden Papiere, bzw. die beiden entgegengesetzten Positionen
als These und Antithese zu verstehen
und dann in einem offenen und fairen Dialog
ernsthaft und gründlich zu argumentieren.
So ist es vielleicht möglich, zu einer Synthese
und damit zu einem Ergebnis zu kommen,
das vom gemeinsamen Glauben
und zumal von der Liebe Jesu Christi getragen ist.

Verurteilungen der einen oder der anderen Seite
können sich nicht auf das Evangelium Jesu Christi berufen
und wirken kontraproduktiv!
Die ein oder andere geschwisterliche Zurechtweisung
- nicht so sehr bezüglich der Inhalte,
sondern vor allem im Blick auf den Umgang miteinander -
und eine innere Bereitschaft, darauf zu hören,
wären allerdings sehr wohl im Sinne Jesu Christi
und sind wohl auch notwendig.

Amen.