Immer wieder die gleiche Faszination
durch die hochaktuelle Brisanz der fast 2000 Jahre alten Evangelien!
Damals, wie heute richtet sich das Gleichnis Jesu
in seiner ganzen Schärfe
gegen das verlogene Verhalten
von einigen Musterfrommen,
die sich selbst für gerecht halten,
aber von Gottes Gerechtigkeit meilenweit entfernt sind.
Zu seiner Zeit hatte Jesus jene Pharisäer und Schriftgelehrten
im Auge,
die den Zehnten sogar von Minze, Dill und Kümmel entrichteten
und sich auf diese Gesetzestreuen in Nebensächlichkeiten etwas
einbildeten,
aber den Kern des Gesetzes außer Acht ließen:
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
Jesus schleudert ihnen entgegen:
„Weh euch, ihr Heuchler!
Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr!"
(Cf. Mt. 23,23).
Nun aber die Frage:
Wo sind heute die Ja-Sager,
die nicht daran denken zu tun, was sie versprechen?
Wir alle sind wahlerprobte Demokraten.
Natürlich fallen uns gerade in diesem Jahr
als erstes die Politiker mit ihren Wahlversprechungen ein.
Aber wir sollten nicht vergessen,
auch selbst in den Spiegel zu schauen.
Welche Eltern haben z.B. nicht schon leichtfertig Ja gesagt,
um den lästigen Quälgeist friedlich zu stimmen -
ohne im entferntesten daran zu denken,
zu ihrem Ja auch konsequent zu stehen.
Ich selbst gebe zu, hier und da einen Besuch
- z.B. bei einem alten oder kranken Menschen -
versprochen und dann doch andere Aufgaben
für wichtiger eingeschätzt zu haben.
Was jedoch die meisten von uns
gerade in diesen Tagen zutiefst erschüttert hat,
das ist das Agieren des Vatikans und etlicher deutscher Bischöfe
in der Frage der Schwangerenkonfliktberatung.
Bischof Lehmann hat am Freitag in seiner Pressekonferenz
ausdrücklich klargestellt,
daß der Vatikan zum Würzburger Kompromiß vom Juni
eindeutig Ja gesagt hat.
Schon jetzt im September stehen die maßgeblichen Leute in Rom
nicht mehr zu diesem Ja.
Kardinal Meißner hat in Würzburg unbestritten mit Ja gestimmt.
Schon kurze Zeit später wirft er den mühsam errungenen Kompromiß
wieder über den Haufen.
Wie Kardinal Meisner haben auch alle anderen
- bis auf einen -
in Würzburg mit Ja gestimmt.
Jetzt in Fulda stehen gerade noch sieben Aufrechte mehr oder weniger
zu diesem Ja.
Der jüngste Brief der Kardinäle Ratzinger und Sodano
beschwört die Einheit der Kirche.
Gleichzeitig säen sie jedoch Zwietracht in der Kirche
und sogar in der Bischofskonferenz.
„Die Zeit" titelt in dieser Woche auf der ersten Seite:
„Mit einer Fristenlösung könnte der Papst besser leben".
Sie hat damit so unrecht nicht:
Eine nackte Fristenregelung würde es der Kirche erlauben,
mit einer reinen Weste abseits zu stehen,
die Prinzipien hoch zu halten
und über die hohe Zahl der Abtreibungen zu lamentieren.
So läuft die Geschichte z.B. in Italien -
und in Polen auch nicht viel anders.
Im Zusammenwirken von Staat und Kirche
wurde in Deutschland das Beratungsmodell entwickelt,
das kirchlichen Beratungsstellen die Möglichkeit eröffnet,
erfolgreich mit Frauen ins Gespräch zu kommen,
die ernsthaft einen Abbruch ins Auge gefaßt haben,
und so die Zahl der Abtreibungen zu senken.
Und genau gegen dieses hilfreiche Modell
laufen nun fundamentalistische Prinzipienreiter Sturm,
so daß sich die Frage stellt:
Worauf kommt es denen an - auf‘s Prinzip
und darauf, die Hände in Unschuld waschen zu können
oder auf das Leben von Kindern
und auf die Konfliktlösung von Frauen in Not?
Und noch an einen weiteren Punkt sei erinnert:
Immer wieder haben unsere Bischöfe
den Begriff von der „Amtskirche" weit von sich gewiesen
und den Laien gepredigt: „Wir alle sind die Kirche!"
Jetzt auf einmal nehmen sie eine Spaltung
zwischen Amtsträgern und Laien in Kauf,
indem sie sich „amtlich" aus der Beratung zurückziehen -
wohl wissend,
daß das gewählte Zentralorgan der katholischen Laien in
Deutschland
schon dabei ist, eine Stiftung zu gründen,
die die kirchliche Beratung fortsetzen soll.
Sind wir also doch nicht alle in gleicher Weise Kirche?
Wen wundert es unter diesen Umständen noch,
daß katholische Christen und erst recht Außenstehende nicht
mehr wissen,
woran sie mit dieser Kirche sind?
Wen wundert es,
daß die Glaubwürdigkeit dieser Kirche und zumal ihrer Bischöfe
erheblichen Schaden erleidet?
Der jüngere Bruder im Evangelium sagt Nein
und tut dann doch, was der Vater ihm sagt.
Das ist sicherlich auch nicht das rechte Verhalten.
Sein brüskes Nein ist lieblos und wirkt häßlich und
abstoßend.
Aber es ist nicht sein letztes Wort.
Er denkt und kehrt um!
Deshalb ergreift Jesus für ihn Partei.
All diejenigen, die jetzt auf einmal Nein sagen
zum deutschen Kompromiß für das Leben,
lesen oder hören heute dieses Evangelium.
Vielleicht ist ja der ein oder andere unter ihnen,
der sich im Nein-Sager wiedererkennt
und sich bewegen läßt umzukehren!
Amen. |