Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis (B): 23.07.2000
Predigt zum Evangelium: Mk. 6, 30 - 34.
Zwei Aspekte kommen zur Sprache:
1) "Kommt und ruht ein wenig aus!" - zur Urlaubszeit.
2) "Sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben." - und das heute, wo wir doch meinen, gar keinen Hirten zu brauchen.

P.Heribert Graab S.J.

Das Evangelium dieses Sonntags
kommt gerade gelegen zur Urlaubszeit.
Viele von uns haben sich wochen- und monatelang
nach Urlaub gesehnt und auf diese Zeit der Erholung hingelebt.
Und nun erzählt uns das Evangelium,
auch Jesus habe sich und seinen Jüngern
Urlaub „gegönnt".
Das ist wichtig festzuhalten:
Denn es gibt Menschen, 
die halten sich für unentbehrlich,
rackern sich pausenlos ab
und halten nach dem alten Motto
„Sich regen bringt Segen"
Zeiten der Muße -
wer kennt schon noch dieses Wort? -
für vertane Zeit.

Solche Menschen machen vielleicht sogar Jesus Vorwürfe:
Hätte er nicht bei der Kürze der Zeit,
die ihm zur Verfügung stand,
soviel wie möglich unter den Menschen sein,
ihre Krankheiten heilen
und möglichst vielen von ihnen Gottes Botschaft
verkünden müssen??? 

Er aber sucht einen ruhigen Ort auf,
um mit sich selbst und mit seinen Freunden allein zu sein.
Dahinter steckt eine Erkenntnis,
die zu allen Zeiten, heute aber erst recht
im wörtlichen Sinne lebensnotwendig ist:
Wie viele Menschen werden regelrecht krank
durch den Leistungsdruck, 
den sie sich selbst und den ihnen andere auferlegen?
Wie viele Menschen sterben z.B. am Herzinfarkt
als Konsequenz all ihrer Hetze?

Um wirklich gesund leben,
und um dieses Leben menschlich gestalten zu können,
um also als Menschen zu wachsen und sich zu entfalten,
brauchen wir das harmonische Hin- und Herschwingen
zwischen Kontemplation und Aktion,
zwischen Bei-sich-selber-Sein und Zuwendung,
zwischen Einkehr und Mitteilung.
Wie das Ein- und Ausatmen brauchen wir
das Allein- und das Miteinandersein,

Bewahrung und Bewährung,
Sein und Handeln.

Unser Problem ist,
daß wir immer wieder vor uns selbst weglaufen,
daß wir in den Aktionismus fliehen,
bis wir schließlich erschöpft zusammenbrechen.
Wir lassen uns so sehr „von außen" leben,
daß wir schließlich nicht mehr wissen,
wozu all unser Rennen und Laufen gut sein soll.
Wir sind vielfach so sehr von außen gesteuert,
daß wir sogar in der Freizeit, im Urlaub
zu Opfern aller möglichen Angebote „von außen" werden,
und nicht mehr fähig sind,
selbstbestimmt zu leben
und uns wirklich zu erholen (= sich selbst einholen).

In diesem Zusammenhang fällt mir noch 
eine kleine Randbemerkung des Evangeliums auf:
Es heißt: Die Jünger kamen bei Jesus zusammen
und „erzählten ihm alles, was sie getan hatten.
Diese Randbemerkung sollten wir festhalten:
Denn auch wir brauchen - wie die Jünger -
immer wieder einen Raum, wo das, was uns bewegt,
zur Sprache kommen kann.
Nicht nur im Urlaub müssen wir uns 
diesen Raum des Erzählens frei halten.
Nur so kann sich klären und ordnen,
was wir erlebt haben.
Nur so kann das Erlebte zur reflektierten Erfahrung werden,
die uns Orientierung für neues sein kann.

Nun ist das Merkwürdige:
Wir leben gehetzt wie kaum jemals Menschen in der Geschichte.
Zugleich aber haben wir soviel Freizeit
wie keine andere Generation vor uns.
Dennoch finden unzählige Menschen nicht zu selbst,
finden keine Orientierung für ihr Leben.
Nicht nur junge Menschen „hängen rum",
wissen nicht, ihre Zeit zu füllen,
finden nicht, was sie selbst „erfüllen" kann.

Das Evangelium sagt dazu:
„Sie sind wie Schafe, die keinen Hirten haben."
Dieses Wort scheint ausgesprochen unmodern zu sein:
Wir sind heute Menschen, die selbst ihren Weg gehen,
die ihr Leben alleine meistern 
und möglichst wenig auf die Hilfe anderer angewiesen wein wollen.
Selbst ist der Mann! Selbst ist die Frau!
Wir könnten von uns selbst sagen:
„Wir sind wie Schafe,
die keinen Hirten nötig haben."

Für die Bibel ist eine solche Einstellung
und Lebensweise undenkbar.
Und doch will sie uns nicht unmündig machen,
will uns keine Abhängigkeit einreden,
die uns um unseren Selbststand bringen würde.
Wohl aber bringt die Bibel zum Ausdruck,
was einfach das Wesen des Menschen ausmacht:
Wir sind verwiesen auf andere.
Wir brauchen die Beziehung zum Du.
Nur so können wir zum Ich werden.
Und letztlich und in allem
sind wir verwiesen auf jenes Du,
das wir Gott nennen,
und das allein unserem Leben 
den Halt, die Geborgenheit und den Sinn schenkt,
ohne die menschliches Leben scheitert.

Die Botschaft Jesu und die Botschaft der ganzen Bibel lautet:
Dieser Gott ist da!
Dieser Gott ist für uns da! 
Dieser Gott weiß um uns.
Dieser Gott weiß um einen jeden von uns.

„Wir sind wie Schafe,
die einen Hirten haben."

Amen.