Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis (B) 
am 16. November 2003
Zu den Lesungen:
Dan. 12, 1-3 und Mk. 13, 24-32
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Bis auf den heutigen Tag sind diese apokalyptischen /
endzeitlichen Texte zum Ende des Kirchenjahres beängstigend.
Natürlich wissen wir - oder glauben doch zu wissen,
daß die Weltuntergangsszenerie des Evangeliums
in einer zeitbedingten und bildhaften Sprache geschildert ist.
Wir trauen dem Kosmos zu, daß er noch Jahrmillionen bestehen wird,
wie er bereits seit Jahrmillionen besteht.
Aber wir wissen auch, daß unsere Erde 
nur ein Stäubchen im All ist,
und daß die Zeit des Menschen auf diesem blauen Planeten
sozusagen erst „vor kurzem" begann,
und daß die Erde selbst und das Leben auf ihr
und erst recht die Menschheit auf‘s äußerste bedroht sind.
Wir wissen das besser, als Jesus 
und die Menschen seiner Zeit es wissen konnten.

Die Demonstranten von Lüchow-Dannenberg
pochen sozusagen auf dieses Wissen
und auf die Katastrophen-Vision der heutigen Lesungen,
anstatt sie zu verdrängen - wie die meisten von uns es tun.

Eine erste Boltschaft der biblischen Texte lautet:
Unsere Zeit ist abgelaufen!
Das Verfallsdatum rückt unaufhaltsam näher.
Genau dagegen aber wehren sich Menschen -
damals wie heute.
Das bevorstehende Ende jagt uns Angst ein:
jedem einzelnen von uns als Individuum,
aber auch einer ganzen Generation.

Da erhält jemand vom Arzt die Krebsdiagnose -
es befällt ihn die Angst und er bäumt sich auf 
gegen das, was da auf ihn zukommt.

Als Kind habe ich - wie viele meiner Generation -
apokalyptische Bombennächte erlebt.
Niemals zu einem späteren Zeitpunkt
habe ich solch existentielle Ängste ausgestanden.
Da war noch nicht einmal Auflehnung möglich:
Wie ein unausweichliches Schicksal
jagten diese Nächte diese Botschaft 
in Hirn und Herz und in jede Körperzelle:
„Deine Zeit ist abgelaufen!" 

Weniger aufdringlich und unausweichlich
steckt diese Botschaft in den Zeichen unserer Zeit:

• Tschernobyl - das Zeichen des Zauberlehrlings,
dem die Geister, die er rief, nicht mehr gehorchen.

• Sich häufende Flutkatastrophen,
erschreckend sich audehnende Wüsten,
ein bedrohlicher Klimawandel -
Zeichen eines vernichtenden und fast schon unumkehrbaren 
Raubbaus an den lebenserhaltenden Ressourcen dieser Erde.

• Experimente mit menschlichen Genen - Zeichen einer Wissenschaft
à la Babylon: Der Mensch will selbst sein wie Gott -
Ursünde der Menschheit mit „diabolischen", zerstörerischen Folgen.

• Und wie immer wieder in der Geschichte der Menschheit:
Mörderische Kriege, Terror und Gewalt - 
Zeichen eines selbstzerstörerischen Wahns.

Dennoch - nur wenige bäumen sich gegen all das wirklich auf;
wohl aber macht sich mehr und intensiver als zu anderen Zeiten
Angst breit, drückt uns die Luft zum Atmen ab,
windet sich - als die „Schlange des Nichtseins" - immer enger
und bedrohlicher um das Herz der Menschen.

So ähnlich haben wohl die Menschen damals,
als das Buch Daniel entstand, ihre Zeit erfahren.
Und für die Zeit der Entstehung des Markusevangeliums
war für Juden und Christen in gleicher Weise
die Zerstörung Jerusalems - der Stadt Gottes -
eine Katastrophe sondergleichen,
die nur noch das Ende dieser Welt erwarten ließ:
„Die Zeit ist abgelaufen!"

Diese beängstigende Botschaft findet nun in den biblischen Texten
eine trostreiche und ermutigende Ergänzung:
Die alte und vergehende Wirklichkeit 
kündigt nicht das endgültige „Aus" an,
sondern findet ihre wahre Vollendung 
in der neuen Wirklichkeit des „Reiches Gottes".
Allerdings tun wir uns schwer, das „Alte" loszulassen,
und die „Mächte, deren Zeit abläuft",
wehren sich, die neue Realität zur Kenntnis zu nehmen.
Daher kommt es zu einer existentiellen Auseinandersetzung
mit dem Neuen, das alles Dagewesene in Frage stellt.

In dieser Auseinandersetzung steht Michael als Gottes Bote
als Garant ein für den endgültigen Sieg der neuen Welt.
„Wer ist wie Gott?" lautet sein Name.
Diese Frage sucht nach einer Antwort.
Nicht nur das Böse, sondern auch unsere Angst macht sich groß
und scheint zu groß für uns.
Wie oft verfallen wir der Versuchung,
zu denken und zu sagen:
Hier ist etwas - zu groß für Gottes Macht!
Michael dagegen steht dafür ein,
daß die derzeitige Bedrängnis und Not
durch Gottes absolutes Heilsversprechen schon überwunden ist. 

Im Evangelium leuchtet - ganz im gleichen Sinne - mitten in der Finsternis
das strahlende Licht des „Menschensohnes" auf.
Es ist jener Menschensohn - Jesus Christus -
der selbst nicht einmal in seinem Untergang am Kreuz
in Angst und Resignation ertrank,
sondern als gekreuzigter Auferstandener 
allen, die sich zu ihm bekennen, den Auftrag gab,
das Licht des heraufziehenden Äons in alle Welt weiterzugeben.

Nicht Weltflucht ist also die angemessene Antwort
auf den drohenden Untergang -
nicht die resignative Feststellung
„Es hat sowieso alles keinen Sinn mehr!",
vielmehr geht es darum,
im Vertrauen auf Gottes Verheißung
und auf dem felsenfesten Fundament eines österlichen Glaubens
mitzuwirken am Kommen jener neuen Welt Gottes.

So schwenkt der Evangelist unvermittelt seinen Blick
auf das Bild vom Feigenbaum:
Im Winter erscheint der Baum wie tot.
Aber die scheinbar toten Zweige erwachen zu neuem Leben.
Und jeder, der das sieht, weiß:
Der Sommer steht vor der Tür.

Und nun ergibt sich ein Übersetzungsproblem:
Die Einheitsübersetzung, die wir eben im Evangelium gehört haben, sagt:
„Genau so sollt ihr erkennen,
wenn ihr all das geschehen seht,
daß das Ende vor der Tür steht." (Mk. 13, 29)
Im griechischen Urtext taucht jedoch an dieser Stelle 
das Wort „Ende" nicht auf.
Wörtlich heißt es vielmehr:
„...ihr sollt erkennen, daß er nahe ist vor den Türen."
Gemeint ist nicht das Ende, sondern der Sommer
als ein Bild für das Neue, das da kommt -
ja sogar für den, der da kommt:
für den Menschensohn, für Christus.

Es geht um ein Hoffnungsbild für die gegenwärtige Zeit:
Ihr braucht euch nicht durch Katastrophenängste beherrschen lassen!
Blickt auf Christus, der vor der Tür steht.
Entdeckt Ihn - den wahrhaft großen „Lichtblick" - 
in den kleinen „Lichtblicken" eures Alltags.
Das neue Leben von Gott ist nahe.
Tod und Leid sind nicht mehr Ausdruck der Gottesferne.
Tod und Leid sind vielmehr - wie Leben und Freude -
Ausdruck für Gottes Nähe!
Ihr dürft - gegen alle Schwarzseherei -
die gegenwärtigen Hoffnungszeichen nicht übersehen.
Selbst die angstmachende Zukunft
enthält das Bild des rettenden Menschensohnes.

Ganz am Anfang seiner Abschiedsreden im Kreis seiner Jünger
sagt Jesus:
„Euer Herz ängstige sich nicht!" (Joh. 14, 1)
Und diese Abschiedsrede schließt Jesus dann mit den Worten:
„In der Welt habt ihr Angst;
doch seid getrost: Ich habe die Welt überwunden." (Joh. 16, 33)

Diesen Trost, diese Ermutigung laßt uns mitnehmen
in unseren Alltag.

Amen.